Macbeth hat die Worte der drei Hexen noch im Ohr, als er von einer erfolgreichen Schlacht zurückkehrt: Er werde König von Schottland werden und die absolute Macht erringen. Als Lady Macbeth davon erfährt, redet sie beschwörend auf ihren Mann ein, diese Prophezeiung wahr werden zu lassen. Dafür muss der momentan herrschende König sterben. Macbeth jedoch zweifelt. Denn dies ist nicht die einzige Prophezeiung, die sein Schicksal von diesem Moment an bestimmen wird. Das ewige Streben nach Macht und das Zerbrechen an den begangenen Sünden - dies sind die Themen, die William Shakespeare im Jahr 1606 in seiner Tragödie rund um den schottischen König Macbeth aufgriff. Angesiedelt ist die Geschichte im 11. Jahrhundert. Doch die Verse Shakespeares und die verhandelten Themen könnten auch heute nicht aktueller und zutreffender sein. Der australische Regisseur Justin Kurzel verwendet in seiner grandiosen und epochalen Verfilmung des Stoffes die klassische Sprache Shakespeares und kürzt den Text auf genau das richtige Maß. Als Lady Macbeth, die von Ehrgeiz und Lebensfrust zerfressene Frau, brilliert Marion Cotillard. Durch einen von Kurzel und den Autoren hinzugefügten Prolog wird die Psychologie ihrer Figur noch komplexer und ihre Motive klarer. Paddy Considine als loyaler Banquo, der sich gegen den Tyrannen auflehnt, und David Thewlis als gütiger König spielen ihre Rollen, ebenso wie der Rest des Casts, mehr als überzeugend. Für Macbeth selbst scheint es keine idealere Besetzung als Michael Fassbender zu geben. Die Wandlung vom rückratlosen Zauderer hin zum rücksichtslosen und machtbesessenen Tyrannen, der an den Konsequenzen seines Tuns zerbricht, stellt Fassbender absolut glaubhaft dar. Oftmals sind es nur Nuancen in der Mimik, die seine charakterliche Wandlung verraten. Fassbenders Spiel ist kraftvoll, intensiv und unglaublich nuanciert. Die fantastische Kamera von Adam Arkapaw geht ganz auf das Spiel der Darsteller ein, schafft beeindruckende Panoramen der mythisch aufgeladenen und nebelumrankten Highlands und kammerspielartige darstellerische Duelle im Nahen zugleich. Immer wieder greift Kurzel auf das dramaturgisch perfekt gesetzte Spiel mit Farben, Licht und Symbolen zurück. Atmosphärisch abgerundet wird die Inszenierung von einem bass- und kraftbetonten Sounddesign. Am Ende besiegelt der Film die Interpretation des Stückes mit einem Ausblick in eine Zukunft, die den ewigen Kreislauf von Machtkampf und Intrige fortsetzt. Mit MACBETH gelingt es Kurzel, die Faszination von Shakespeares Vorlage nicht nur zu vermitteln, sondern sie noch zu verstärken. Eine kraftvolle, kongeniale und beeindruckende Neuverfilmung eines ewigen Klassikers.
Jurybegründung:
Um Aufstieg und Fall eines von Ehrgeiz und Machthunger besessenen Herrschers geht es in William Shakespeares 1611 uraufgeführtem Drama „Macbeth“, ein Stoff, der auch Filmemacher wie Orson Welles, Akira Kurosawa und Roman Polanski inspiriert hat. Zwar hat Shakespeare dieses Thema immer wieder in den Mittelpunkt seiner historischen Dramen gestellt wie in „Richard III.“ und „Julius Cäsar“. Doch die zentrale Frage nach den seelischen Ursachen von hemmungslosem Machtstreben, nach Schuld und Sühne, der Vergänglichkeit allen menschlichen Handelns und Seins („Leben ist nur ein wandelnd‘ Schattenbild… ein Märchen ist’s, erzählt von einem Toren, voller Klang und Wut“) und des Verhältnisses zwischen einem Mann, der an seiner eigenen Männlichkeit zweifelt, und einer Frau, die ihn zwingt, sich seinen Wünschen zu stellen und so seine Männlichkeit zu beweisen, ist gerade in diesem Drama besonders präsent. Zeitlos an der Geschichte von Macbeth ist sicherlich, dass Macht blendet und korrumpiert und die Spirale der Gewalt sich selten wieder zurück schrauben lässt. Regisseur Justin Kurzel konzentriert seinen Film dabei auf wesentliche Szenen, auf die elementaren Motive des Dramas. Vor der wilden Kulisse des schottischen Hochlands, das die emotionalen Zustände der Hauptfiguren widerspiegelt, spielt die Geschichte, die als Familiendrama beginnt, dessen Zeuginnen die „magischen Schwestern“, die Hexen, sind. Macbeth und seine Frau begraben ihr einziges Kind. Im Verlust dieses Kindes liegt die Wurzel für Lady Macbeth‘ Bitterkeit und Absterben aller menschlichen Regungen. Die nachfolgende Schlachtszene verzichtet auf übertriebenes Waffengetümmel, zeigt vielmehr die Angst in den Gesichtern junger Krieger und die sinnlose Brutalität, fest gehalten in Slow Motion und düsteren Farben. Das mag an Filme wie 300 von Zack Snyder erinnern, ist aber längst gängige Filmsprache. In diesem MACBETH gibt es keinen Prunk, wie er in anderen Historiendramen so beliebt ist, die in kostbaren Stoffen oder gewaltigen Bauten schwelgen. Schottland im elften Jahrhundert ist ein armes, von Kriegen zerrissenes Land voller Verrat und Gewalt. Macbeth, der Than von Glamis, also eine Art Regionalfürst, haust in einem aus Zelten und Holzhütten bestehenden Dorf, und erst nach dem Mord an seinem königlichen Vetter zieht er in dessen Burg ein, die aber auch eher puritanisch karg wirkt im Vergleich zu manchem Filmschloss.
Die auf das wesentliche reduzierte Kamera, die oft nahe an die Gesichter der Protagonisten geht und immer wieder die düstere Schönheit der zerfurchten Berge einfängt, und das klug eingesetzte Sound Design, das wichtige musikalische Akzente setzt, verleihen dem Film, selbst wenn das Original um etliche Szenen und Personen gekürzt wurde, eine intensive und bedrohliche Atmosphäre, die den wachsenden Wahnsinn des machtbesessenen Macbeth und seiner von Schuld überwältigten Frau detailliert nachvollzieht.
Vor allem aber sind es die beeindruckenden schauspielerischen Leistungen von Michael Fassbender, Marion Cotillard, Sean Harris und allen anderen Darstellern, die die Handlung vorantreiben. In der dem Ausschuss vorgelegten Fassung sprechen fast alle Darsteller die Texte Shakespeares mit schottischem Akzent, was die Authentizität der Tragödie noch verstärkt. Die Untertitel sind in diesem Fall sehr nützlich, selbst wenn sie stellenweise etwas antiquiert wirken, da sie auf einer der alten Shakespeare-Übersetzungen basieren. Dass diese Menschen auf der Schwelle zwischen heidnischem Aberglauben und Christentum noch an Hexen, Geister und Visionen glauben, die „zwischen Himmel und Erde“ angesiedelt sind, entspricht der Weltsicht Shakespeares im frühen 17. Jahrhundert, der Träume, Schlaf und Geisterwesen in alle seine Werke eingebaut hat. Und auch im heutigen Schottland sind die Geister der Vergangenheit im Volksglauben noch immer gegenwärtig.
Das höchste Prädikat erscheint dem Hauptausschuss als die gerechtfertige Anerkennung dieser mutigen Interpretation der Tragödie um die Verkehrung aller menschlicher Ordnung in unheilvolles Chaos, wie es die Hexen formulieren: „Schön ist wüst und wüst ist schön“.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)