Als im Jahr 2005 durch einen Artikel in der amerikanischen Fachzeitschrift Variety bekannt wurde, dass das zum Comic-Giganten Marvel Entertainment gehörenden Filmstudio Marvel Studios den Schritt in die Unabhängigkeit wagen würde und seine eigenen Filmprojekte fortan unabhängig von den etablierten Hollywood-Platzhirschen und auf eigenes finanzielles Risiko vorantreiben würde, begann eines der ambitioniertesten Langzeit-Filmprojekte der Filmgeschichte: In insgesamt fünf Filmen sollten zunächst die Comic-Heroen Iron-Man, Hulk, Thor und Captain America eingeführt und miteinander vernetzt werden - um dann letztlich im großen Superhelden-Klassentreffen "The Avengers", dem Heiligen Gral der Superhelden-Crossovers, gemeinsam gegen das Böse zu kämpfen. Ein kolossales Vorhaben, das in seiner Dimension vielleicht einzig noch durch die "Harry Potter"-Verfilmungen (acht Filme innerhalb von 10 Jahren mit der nahezu identischen Stammbesetzung) übertroffen wird und nur durch die Starthilfe der Investment-Banker von Merrill Lynch in Form eines 525-Millionen-Darlehen überhaupt möglich wurde.
Das Vorhaben von Marvel war jedoch nicht nur ambitioniert - es war mindestens genau so mutig und ein enormes Wagnis. Die Erfahrung, dass ein Multi-Millionen-Dollar-Budget und eine zugkräftige Lizenz noch keinen garantierten Hit ausmachen, musste zuletzt Disney bitter am eigenen Leib erfahren. "John Carter" lässt grüßen. In Anbetracht des Risikos und der potentiellen Fallhöhe ist es umso erstaunlicher, welchen Mut Marvel bei der Auswahl der Regisseure für die bisherigen Filmprojekte zur Schau getragen hat. Wer hatte Jon Favreau vor "Iron Man" (2008) bitte als Blockbuster-Regisseur auf der Rechnung? Seine bisherige Vita als zweitklassiger Schauspieler und Regisseur von "Buddy - Der Weihnachtself" (2003) und "Zathura - Ein Abenteuer im Weltraum" (2005) qualifizierten ihn nicht unbedingt für diese Aufgabe. Doch Marvel bewies Mut und Favreau lieferte ab - in Form eines weltweiten Umsatzes von 585 Mio. Dollar an den Kinokassen. Auch Charakterkopf und Hamlet-Darsteller Kenneth Branagh war sicherlich nicht die offensichtlichste Wahl für "Thor" (2011). Genau so wenig wie Joe Johnston für "Captain America" (2011), über dessen "Wolfman"-Fiasko (geplantes Budget: 85 Mio. Dollar, tatsächliche Kosten: 150 Mio. Dollar) noch nicht wirklich Gras gewachsen war. Doch die Ergebnisse überzeugten sowohl kommerziell, als auch künstlerisch. Einzig Krawall-Regisseur Louis Leterrier konnte mit seiner Interpretation von "Der unglaubliche Hulk" (2008) nur bedingt die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen.
Dementsprechend ist es im Rückblick wenig überraschend, dass Marvel auch bei "The Avengers" einem Regisseur das Steuer in die Hand gedrückt hat, der zwar in gewissen Kreisen Kultstatus genießt, auf den jedoch bei einer Produktion mit einem kolportierten Budget von jenseits der 220-Millionen-Dollar-Grenze nur wenige Fachleute gekommen wären: Joss Whedon. Zwar ist Whedon dank "Buffy" (1997-2003) und "Firefly" (2002) fester Bestandteil der Popkultur und unumstrittene Fanboy-Ikone, doch seine Karriere weist eben auch den Makel auf, dass er mit Ausnahme von "Serenity" (2005) bisher ausschließlich im TV-Segment als Regisseur aktiv war und seine letzten beiden Serien "Firefly" und "Dollhouse" (2009) jeweils frühzeitig abgesetzt wurden. Das hierbei erkennbare Hauptproblem: Whedon hat die Tendenz, sich gerne einmal an sich selbst zu berauschen und vor lauter Spaß an der Entwicklung seiner Charaktere und an seinen Talenten als Dialog-Autor die Hauptgeschichte aus den Augen zu verlieren. Doch Whedon bringt eben auch einige Eigenschaften mit, die ihn als "Avengers"-Regisseur geradezu prädestinieren: Whedon ist genau dann in seinem Element, wenn er mit einer Vielzahl von gegensätzlichen Charakteren jonglieren und alle unter einen Hut bringen muss. Und noch viel wichtiger: Whedon ist ein ausgewiesener Fachmann darin, von Männern dominierte Genres durch starke Frauenrollen frischen Wind einzuhauchen. Und um es kurz zu machen: Whedon ist gerade durch diese beiden Punkte der perfekte Regisseur für "Marvel´s The Avengers" und erweist sich als absoluter Glücksgriff!
Dabei ist der Einstieg in den Film zunächst etwas holprig. Auf einen umfangreichen Prolog wird weitestgehend verzichtet. Noch bevor mit Maria Hill (Cobie Smulders) und Hawkeye (Jeremy Renner) die ersten beiden neuen Charaktere eingeführt werden ist Loki (Tom Hiddleston) zurück und hat den Tesseract, der als handlungstreibender MacGuffin im Hitchcockschen Sinne fungiert, in seinen Besitz gebracht und Nick Fury (Samuel L. Jackson) beginnt damit, das "Avengers"-Team um sich zu versammeln und die Team-Mitglieder, auch wenn dies eigentlich kaum notwendig sein dürfte, nochmals vorzustellen. Dabei beschränkt sich Whedon nicht nur auf die "Big Four" - Tony Stark / Iron Man (Robert Downey Jr.), Steve Rogers / Captain America (Chris Evans), Bruce Banner / Hulk (Mark Ruffalo) und Thor (Chris Hemsworth) - auch Natasha Romanoff / Black Widow (Scarlett Johansson) bekommt ihre eigene Exposition und darf bereits hier beweisen, dass sie ihren männlichen Kollegen in den Action-Szenen tatsächlich das Wasser reichen kann und dabei noch jede Menge Sex-Appeal mitbringt. Und weil dies Whedon immer noch zu maskulin ist, darf auch Oscar-Preisträgerin Gwyneth Paltrow nicht fehlen, die Tony Stark in ihren gefühlten drei Leinwand-Minuten als Pepper Potts wie einen Schuljungen um den kleinen Finger wickelt. In dieser Szene degradiert Whedon eines seiner Alpha-Tiere zum Schoßhündchen. Und das ist gut so, denn es ist menschlich und sorgt hinter der eisernen Maske des Superhelden für Identifikations-Potential.
Die Stärken von Whedon kommen jedoch erst im zweiten Akt des Films so richtig zu tragen. Auch wenn dieser trotzdem klar der schwächste Teil des Films bleibt, so hätte ein anderer Regisseur sein Multi-Millionen-Dollar-Schiff hier problemlos versenken können. Formell bedient sich "The Avengers" im zweiten Akt aus dem kleinen Einmaleins der Superhelden-Crossover-Stories: "Wenn Du den Feind gemeinsam besiegen möchtest, dann musst du erst einmal gegeneinander kämpfen." Whedon macht an dieser Stelle nun mehrere Dinge genau richtig. Zunächst zelebriert er das alte Sprichwort "wenn, dann richtig" indem er seine Heroen zunächst verschiedene kleine Scharmützel gegeneinander austragen und diese dann schlussendlich im Duell der Giganten münden lässt: Thor gegen den Hulk. Das ist nicht nur unheimlich unterhaltsam anzusehen, sondern dürfte bei Fanboys auch für kollektive Schnappatmung sorgen. Andererseits stellt Whedon aber auch unter Beweis, warum er seine Hollywood-Karriere einstmals als "Script Doctor" begann und unter anderem für den finalen Feinschliff an den Drehbüchern zu Pixars "Toy Story" (1995) und "Titan A.E." (2000) sorgte. Auch wenn der Ton von "The Avengers" grundsätzlich rauer und die Stimmung düsterer als noch bei "Iron Man" und "Thor" ist, so sitzen die kernigen Oneliner eben doch ein ums andere Mal und die verschiedenen Streitgespräche innerhalb des Teams wider Willen haben was Wortwitz und Tempo betrifft mehr mit den Screwball-Komödien der 30er- und 40er-Jahre gemein als mit dem banal-infamen Geschwafel, mit dem die "Transformers" und "G.I. Joes" dieser Welt versuchen, die Zeit zwischen den einzelnen Action-Szenen zu überbrücken. Ferner wird in den ruhigen Momenten des zweiten Aktes die Gunst der Stunde genutzt um den Charakteren aus der zweiten Reihe mehr Leinwandzeit zu geben.
Aber kommen wir zum Wesentlichen: Was Whedon im dritten Akt über das Publikum hereinbrechen lässt, ist verdammt nahe dran am perfekten Action-Blockbuster. Was er bereits mit einem Budget von weniger als 40 Mio. Dollar zu leisten im Stande ist, hat Whedon mit "Serenity" eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nun sind es 220 Mio. Dollar. Und Whedon nutzt jeden einzelnen Cent, um New York in einer spektakulären Destruktions-Orgie in Schutt und Asche zu legen. Jeder einzelne seiner Helden darf zeigen, was er drauf hat. Allen voran der Hulk, der die mit großem Abstand spektakulärsten Szenen auf sich vereint. Doch wenn aus den Einzelkämpfern dann schlussendlich das "Avengers"-Team wird und diese sich gegenseitig unterstützen, wird dem Affen so richtig Zucker gegeben. So muss Popcorn-Kino aussehen! Und der größte Verdienst hierbei ist, dass das Publikum nie den Überblick verliert. Den Herren Michael Bay ("Transformers") und Peter Berg ("Battleship") ist dies zuletzt leider nicht gelungen.
Und dennoch sind es gerade die ruhigen Momente, die "The Avengers" wohltuend vom Krawall-Kino der jüngeren Vergangenheit abhebt. Was auch kein Wunder ist. Denn wer es sich neben alle dem Bombast noch leisten kann ein Darsteller-Ensemble mit Robert Downey Jr., Scarlett Johansson, Stellan Skarsgård, Jeremy Renner, Samuel L. Jackson und den beiden groß aufspielenden Mark Ruffalo und Tom Hiddleston gemeinsam vor die Kamera zu bringen, der kann nur wenig falsch machen. Diese Besetzung wäre auch abseits des Action-Kinos zu großen Leistungen im Stande.
Was Whedon mit "Marvel´s The Avengers" abliefert ist nicht nur ein ganz heißer Anwärter auf den Fanboy-Film des Jahres (gefährlich könnte allenfalls noch "Knights Of Badassdom" von Joe Lynch werden), sondern nahezu perfektes Popcorn-Kino. Und was gerade für Marvel am Wichtigsten sein dürfte: In einer zusätzlichen Szene auf halber Strecke durch den Abspann führt Whedon einen Schurken an, auf den in einer kleinen Szene in "Thor" bereits ein versteckter Hinweis untergebracht wurde und der nun endgültig die Brücke zum "fantastischen" Teil des Marvel-Kanons schlägt. Damit dürfte auch die Ankündigung einer "Dr. Strange"-Verfilmung nur noch eine Frage der Zeit sein.
Fazit: Beide Daumen hoch! So muss Blockbuster-Unterhaltung aussehen. "Marvel´s The Avengers" ist actiongeladenes Popcorn-Kino nahe an der Perfektion, das nicht nur Fanboy-Herzen höher schlagen lässt.