Diese außergewöhnliche Geschichte zweier tragischer Figuren, die über einen Briefkontakt zueinanderfinden und gemeinsam zum ersten Mal Freundschaft erleben, berührt zutiefst. Zum einen ist da in Australien das traurige Mädchen Mary, deren Eltern sie vernachlässigen und die in der Schule gehänselt wird. Zum anderen der vierzigjährige, übergewichtige, depressive Max in New York, der von Marys Briefen immer wieder Panikattacken bekommt. Doch ihre kindlichen Fragen - wie: „Schuldet der Taxifahrer einem Geld, wenn er rückwärts fährt?“ - bewegen ihn zu überraschend tiefsinnigen und gleichzeitig schlicht formulierten philosophischen Gedankenspielen. Ein hinreißender Stop-Trick-Animationsfilm, der in vielfacher Hinsicht Grenzen sprengt. MARY UND MAX ist ein poetisches Kunstwerk über die Höhen und Tiefen von Freundschaft. Ein Film der mit seinen unglaublich vielschichtigen Protagonisten und seiner ganz eigenwilligen, von morbider Schönheit geprägten Ästhetik überzeugt. Bezaubernd skurril und absolut kultverdächtig. Jurybegründung: Hinter diesem Titel MARY & MAX ODER SCHRUMPFEN SCHAFE, WENN ES REGNET… verbirgt sich ein erstaunlicher Film. Wie kann man dessen außergewöhnliche Ästhetik in einem Gutachten angemessen würdigen und auf den Begriff bringen? Der Film ist grotesk, tiefsinnig, traurig-schön - quasi zu schön um wahr zu sein, aber er basiert sogar auf einer wahren Geschichte. Es wird die Brieffreundschaft von zwei benachteiligten Menschen erzählt, die in ihrem Alltag bzw. auf ihrem jeweiligen ‚Gehweg mit Kippen und Rissen‘ und anderen Hindernissen einen großartigen inneren Reichtum anhäufen. Handelt es sich hier um eine Multimedia-Lesung oder um ein Hörbuch, dessen Wirkung mit fantastisch animierten Illustrationen verstärkt wird? Diese nur unzulängliche Umschreibung verriete noch nichts über das eindrucksvolle Filmerlebnis, welches die Zuschauer erwartet. Sicherlich hat schon die Leistung der Sprecher einen hohen Eigenwert, aber das Ganze ist weit mehr als die Summe seiner Teile. Auch die anderen Komponenten sind zu würdigen: Farbgebung, musikalische Untermalung, viele ästhetisch bemerkenswerte Gegenstände und Hintergründe, aber vor allem die animierten Figuren vermitteln eine sonderbare Schönheit. Dabei sind die Protagonisten Max und Mary ziemlich hässlich, dick, ungesund. Mary hat ‚Augen wie schmutzige Pfützen‘. Ihre Mutter ist dem Sherry verfallen, dem ‚Tee für Erwachsene‘, den man ständig kosten müsse, wie sie ihrer Tochter erklärt. Marys Vater heftet in einer Fabrik Fäden an Teebeutel und präpariert in seiner Freizeit tote Vögel, die er von der Landstrasse aufsammelt. Das kleine australische Mädchen fühlt sich einsam, findet Gefallen an dem Namen Earl Grey und träumt von einem Schloss in Schottland. Die poetische Kraft dieser Geschichte kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass Mary den ‚Geruch eines nassen Hahns‘ genießen kann. Ihre Präferenzen sind freilich nicht nur auf natürliche, einfache Dinge des Alltags gerichtet, sondern ebenfalls durch Zivilisation geprägt. Symptomatisch zeigt sich dies in ihrer Vorliebe für gezuckerte Kondensmilch und die TV-Trickfilmserie ‚Noblets‘. Diese Vorliebe für Kitsch und Süßigkeiten teilt sie mit Max Jerry Horowitz, dessen Namen sie zufällig in einem Telefonbuch findet und an den sie einen Brief richtet. Max hat psychische Probleme - man kann aber auch sagen: er ist ein Autist mit genialen geheimen Ideen. Er kann die nonverbalen Signale anderer Personen nicht richtig deuten; er kann auch nicht lachen oder weinen - - daher wird Mary für ihn später ihre Tränen spenden. Allerdings kann Max innerlich ‚im Hirn lachen‘. Er betrachtet die Welt zuweilen zynisch. Mit Einstein stimmt er darin überein, dass das Universum und die menschliche Dummheit unendlich sind. Kindheitstraumata machen ihm noch immer zu schaffen. Die Ratschläge seines Psychiaters helfen ebenso wenig wie der ‚unsichtbare Freund‘, den er sich in seiner Einsamkeit erfunden hat. Max hat sich Ziele gestellt, die auf Schokolade und auf eine komplette ‚Noblets‘-Figuren-Sammlung gerichtet sind. Durch einen Lottogewinn werden diese trivialen Ziele erfüllt. Sein primäres Ziel allerdings: einen Freund zu haben, erfüllt sich erst mühsam und langwierig durch den Briefwechsel mit Mary. Die beiden Protagonisten sind einerseits sehr verschieden, andererseits haben sie gemeinsame Vorlieben. Mary wird erwachsen, studiert, schreibt ein Buch über Max und dessen Aspergersyndrom… - und es kommt zum Bruch der Freundschaft. Tragische Ereignisse sorgen für Dramatik. Dem Film gelingt es, viele traurige Wahrheiten zu verkünden. Es geht um ‚Warzen und den ganzen Rest.‘ Dabei entfaltet sich sehr stimmig die Weltsicht der Figuren, deren Leben im Umfeld von Kitsch und Müll verläuft und ein breites Spektrum von Verzweiflung und Bosheit über kleine Freuden bis hin zur großen Liebe oder Freundschaft umfasst. Zufällig erhält Max eine Süßigkeit mit der Aufschrift: ‚Liebe zuerst dich selbst‘. Diese Botschaft sendet er nach Australien. Er vergibt seiner Freundin Mary und weiß um die Unvollkommenheit der Menschen; er versteht, dass Verwandtschaft vorgegeben ist, aber ein Freund selbst gesucht und gefunden werden kann. MAX & MARY ist eine sehr gelungene Literaturadaption und gleichermaßen Poesie-Inszenierung. Bis ins Detail sind die Figuren und Bildhintergründe sorgfältig gestaltet. Musikalische Untermalung und wohlklingende Stimmen bereichern die ästhetische Gesamtwirkung. Das Ergebnis wurde von der FBW-Jury als besonders wertvoll eingeschätzt.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)