Auf der Hochzeitsfeier der erfolgreichen und selbstbewussten Justine im Landhaus ihrer Schwester Claire herrscht zunächst eitel Sonnenschein. Doch das Glück ist nur Fassade. Justine versinkt bereits auf dem Fest in tiefe Depressionen. Kurze Zeit später kehrt Justine zu Claire zurück, völlig ihrer seelischen Krankheit ergeben und überzeugt vom Untergang der Welt. Und über allem schwebt der Planet Melancholia, dessen Umlaufbahn der Erde gefährlich nahe kommt. Lars von Trier hat mit MELANCHOLIA ein apokalyptisches Meisterwerk geschaffen, voller Traurigkeit, poetischen Bildern und der absoluten Hinwendung zu tiefen Gefühlen. Die Darsteller, allen voran die in Cannes ausgezeichnete Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg, liefern eine wahre Tour de Force ihres Spiels ab, die Kamera erschafft starke Bilder, die den Zuschauer gebannt durch die Handlung führen. Die Magie der Bildkomposition und das unausweichliche Ende der Erzählung halten dem Betrachter die eigene Vergänglichkeit vor Augen und berühren zutiefst, wozu auch die musikalische Untermalung durch Wagners „Tristan und Isolde“ ihren großen Anteil beiträgt. Ein Meilenstein der modernen Kinogeschichte.
Jurybegründung:
Das Ende der Welt - nichts anderes hat sich der dänische Filmemacher Lars von Trier zum Thema seines neuen Films gemacht. Wie und auf welche Weise er dies tut, ist als großartig und als Höhepunkt in der Karriere seines bisherigen Regie-Schaffens zu bezeichnen.
Eine wartende Hochzeitsgesellschaft, abgeschieden in einem herrschaftlichen Haus auf dem Land, das Hochzeitspaar ist auf dem Weg - und schon von Beginn an geht es nicht so recht weiter. Denn die Frischverliebten bleiben in der Stretch-Limousine, die sie auf dem viel zu schmalen Weg zur Feier bringen soll, immer wieder stecken. Nur mühsam geht es voran. Ein erstes, wenig erfreuliches Omen für den weiteren Verlauf des Abends. Denn die Braut, die sensible, schöne und kluge Justine (Kirsten Dunst), leidet unter Schwermut, die sich während ihres Festtages immer mehr Gehör verschaffen wird. Daran ändern auch ausgelassene, heitere Momente mit ihrem sich sehr um sie bemühenden Bräutigam Michael (Michael Skarsgård) nichts - immer wieder kommt es nun zu Misstönen, die Reden werden launischer, man merkt bald: mit ihr und mit den anwesenden Familien ist vieles nicht in Ordnung, ist vieles mehr Schein als Sein. Als Justine zwischenzeitlich verschwindet und immer merkwürdiger wird, was ihre Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), die das Fest organisiert hat, zunehmend nervt, mündet die Hochzeit schließlich in die Katastrophe … doch das alles ist nur ein Vorgeschmack darauf, was in Folge passieren wird. Während sich Claire im Verlauf der Geschichte noch um ihre strauchelnde Schwester kümmert, nähert sich der Planet Melancholia immer schneller der Erde, anscheinend auf Kollisionskurs. Und wird die labile Justine immer ruhiger und klarer, gerät Claire zunehmend in Panik. Wer wird Recht behalten? Wer von beiden Schwestern wird stärker sein? Und was zählt am Ende wirklich?
Überwältigende Augenblicke der Anmut und auch der Romantik; Zeitlupen-Sequenzen schon im Prolog, die wie feinste Gemälde daherkommen; die Beschreibung von Niedergang als eine Art Schönheit, stille Momente der bedrohlichen, reinen, „aufgeladenen“ Natur, aber auch intensive Handkamera-Sequenzen, faszinierende Gesichter, eine Kirsten Dunst, wie sie dunkler und überwältigender nie zu sehen war: Lars von Trier ist mit MELANCHOLIA ein unbarmherziges, kaum vollständig zu erfassendes, atmosphärisch einzigartiges Werk gelungen, in dem man während des Betrachtens wie ein Süchtiger an der Nadel hängt. Dass dieses hohe Maß an Ästhetisierung, dieser Bilderrausch gleichermaßen auch gezielt auf eine physische Wirkung beim Betrachter abzielt, bei Wagner-Musik den Zuschauer psychologisch anführt und ihm somit keine andere Wahl als eine Überwältigung lässt, kann man dem Regisseur dabei gleichermaßen als ein Zuviel an Selbstreflexion (Filmemachen als Therapie), Manipulation und Provokation vorhalten - oder ihm wahlweise einen Geniestreich zusprechen.
Wenn Unausweichliches beschrieben, wenn der Blick durch ein Teleskop zur Mutprobe wird, wenn am Ende existentielle menschliche Angst nur noch den (überraschend versöhnlichen) Ausweg in die Menschlichkeit als letzte Zuflucht zulässt, wenn man durch einen Film die eigene Vergänglichkeit so unvermittelt spüren kann, wenn aus Schauspielern das intensivste nur denkbare Spiel herausholt wird: dann, ja dann sind wir in einem Film von Lars von Trier. Dessen eigene, vielpublizierte Erkrankung an Depression / Melancholie, ja dessen eigener „Wahnsinn“ lotet erneut die Grenzen des Filmeschaffens aus und macht von Trier zu einem der größten Regisseure aller Zeiten.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)