Dieses Wunder, der unvermittelte Frieden auf Zeit am ersten Weihnachtsfest des Ersten Weltkrieges, hat es 1914 tatsächlich gegeben. Briefe von Soldaten dokumentieren es, Bücher sind darüber verfasst worden, u.a. Michael Jürgs Der kleine Frieden im Großen Krieg.
Der Franzose Christian Carion (Drehbuch und Regie) hat dazu nun einen Film gemacht. Doch was Merry Christmas, eine französisch-deutsch-englich-belgisch-rumänische Koproduktion, darstellt, enthüllt der Film unfreiwillig im Guten leider auch wie im überwiegend Schlechten bereits am Anfang. Noch vor den Titeln stehen hintereinander ein französischer, ein englischer und ein deutscher Schulbub vor der Tafel und sagen in die Kamera zeitgenössische Hetzgedichte auf. Man muss schon schlucken, so wenn der kleine Engländer die Forderung nach Ausrottung jedes einzelnen Hunnen zum Besten gibt. Doch mehr, als dass Merry Christmas als Opfer und Menschen alle gleich bewertet, gereicht ihm nicht zur Ehre. Eher macht er sogar das noch selbst zunichte. Denn Merry Christmas ist eine Lehrstunde der unglücklichsten Sorte.
Pater Palmer (Lewis) steht in der Kirche, zündet Kerzen an, als Jonathan (Steven Robertson) von seinem Bruder überrascht wird: Juhu, es ist Krieg! Und Jonathan lässt sich gerne mitreißen. Nur dem Priester kommen in schlimmer Vorahnung die Tränen. Zumal die zuknallende Kirchentür prompt und höchst bedeutungsschwanger die gerade von ihm entflammten Kerzen ausgeblasen hat. Glücklicherweise hält sich der Film mit derart plumper Symbolik halbwegs zurück. Nur hin und wieder trifft man sie. So wenn Benno Fürmann als Opernstar auf die Bühne will, sein Auftritt jedoch von der Kriegsmeldung vereitelt wird. Doch damit sind Vorgeschichte und anfangs herrschende Kriegsbegeisterung schon abgehakt. Es geht in die Schützengräben, damit ebenso kurz und obligatorisch bebildert wird, wie grausam der Krieg ist. Nachdem auch das abgehakt ist, kann man sich langsam aber sicher auf die Hauptsache hinarbeiten, den Weihnachtsfrieden.
Um den filmisch umzusetzen braucht es dummerweise Figuren. Dass diese und ihr Schicksal bloßes und darüber hinaus höchst notdürftiges Gerüst sind, bekommt man vor allem an den verkopften wie verkitschten Dialogen permanent zu spüren. Dem Film liegt überhaupt wenig daran, die Geschichte seiner Protagonisten zu erzählen. Aber weil sowas leider irgendwie dazugehört, bedient sich Carion ungelenk der üblichen Standartsituation die er mit dem Holzhammer zu einer Kolportage zusammenzimmert. Gut und tapfer sind die Soldaten im Feld, böse und verbohrt ihre kriegstreibenden Vorgesetzten. Wie klischeehaft das bewiesen wird, wie erschreckend wenig Carion die Schablonen variieren kann oder will, enthüllt die allseitige Perspektive. Hochnäsig-dumm ist der schottische General, perfide der französische, und augenrollend verblendet der deutsche Kronprinz (ganz schlimm: Thomas Schmauser). Zu nichts anderem als um diese Eigenschaften auszustellen, sind die Figuren da.
Auf der anderen Seite die braven kleinen Leute, die alle, alle ihre Kameraden nicht im Stich lassen wollen. Der Pater verlässt seine Schäflein nicht, der französische Leutnant schlägt eine Karriere bei der Artillerie aus um bei seinen Männern im Graben zu bleiben und der Tenor Nikolaus (!) hat nichts anderes im Sinn, als gleich wieder zurück zu seinen Kameraden zu kommen, denn für die will er ja unbedingt an Heiligabend singen. Da kuckt Diane Krüger mit ihren großen Augen. Um dann natürlich mitzukommen. (Krügers und mehr noch Fürmanns Spiel bilden mit ihrer unfreiwillig komischen Laienspiel-Qualität auch den Bodensatz des Films).
Für sein Pathos und Sentiment ordnet Merry Christmas alles unter, ob Figurenzeichnungen, Logik oder kleine dramaturgische Konflikte, die damit nur reine Behauptung bleiben (als Extremfall zwischen dem Tenor und seinem Oberleutnant, verkörpert durch den unvermeidlichen Daniel Brühl, dem es allerdings auch nicht gelingt, seinem Holzschnitt Leben einzuhauchen). Die kleinen humoristischen Auflockerungen, z.B. der Streit zwischen einem französischen und einem deutschen Soldaten um eine Katze oder die Massenlieferung von Weihnachtsbäumen an die Front wirken vor diesem kalkulierten Krampf statt entblößend nur peinlich und ärgerlich.
Mit welchen Dimensionen der Film dann aber tatsächlich zu tun hat, blitzt nur in wenigen Momenten auf und verraten das Potential, das das Kernereignis des Films als historisches Faszinosum bedeutet (hätte): Wenn der junge Schotte Jonathan seiner Mutter immer noch von den Heldentaten seines toten Bruders schreibt. Oder wenn er halb wahnsinnig vor Trauer dessen Leiche im Schnee beweint und ein Messer zückt, als sich ihm ein Deutscher nähert derweil sich, mit dem Rücken zu ihm, Kameraden und Feinde zum Festgottesdienst im Feindesland versammelt haben.
Doch derlei Abgründe, die Frage, wo die Grenzen individueller und sozialer Vernunft verlaufen - und verwischen -, die Überlegung, was verrückter ist, ein plötzlicher Interimsfrieden mal eben so oder der Krieg drumherum, all das interessiert Carion insofern wenig als dass er lieber seine wohlfeile wie platte Pazifismusbotschaft unters Volk bringen will: Krieg ist schlimm. Und stell dir mal vor: keiner ginge hin!
Er wolle einen humanistischen Film drehen, bekennt Carion, und dass das Kino natürlich ein Unterhaltungsmedium sei, aber nicht ausschließlich.
Fazit: Nach einer wahren Begebenheit des Ersten Weltkriegs gerät Christian Carions Film um die spontane Weihnachtsverbrüderung zwischen den Feinden zu einem handwerklich haarsträubenden, so plattitüdenhaften wie hölzernen Gutmenschen-Machwerk.