Europa, 16. Jahrhundert. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas möchte seine Tiere zu einem Markt bringen. Doch unterwegs werden sie ihm aufgrund eines fehlenden Passierscheins abgenommen. Als Kohlhaas merkt, dass ihm die Justiz in diesem ungerechten Prozess nicht beistehen wird, entschließt er sich zur Selbstjustiz, als Rache für das, was ihm genommen wurde. Doch sein persönlicher Kampf mit den Obrigkeiten breitet sich bald aus und entfacht ein Feuer, das nicht mehr zu kontrollieren ist. Vor über 200 Jahren verfasste Heinrich von Kleist die Novelle rund um Michael Kohlhaas, die zu einer der wichtigsten Werke der deutschen bzw. europäischen Literatur gehört. Der französische Regisseur Arnaud des Pallières hat sich in seinem Langfilmdebüt der Geschichte nun erneut angenommen und stellt sie, trotz des historischen Settings, in einen brandaktuellen Kontext. Denn die Situation des Michael Kohlhaas, also der Kampf des kleinen Bürgers gegen die allmächtig wirkende Obrigkeit, ist gerade in heutiger Zeit wieder mehr als nachvollziehbar. Verkörpert wird Kohlhaas von Mads Mikkelsen, der durch sein intensives Spiel sowohl die wilde Entschlossenheit und Wut als auch die hoffnungslose Verletzlichkeit des geschlagenen Rebellen verkörpert. Die raue französische Landschaft liefert die perfekte Kulisse für das tragische Schauspiel und durch ein überragendes Sound-Design erhält sie die passende atmosphärische Tiefe. Ein beeindruckender Film über die Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit und eine gelungene Literaturverfilmung eines Werkes mit ungebrochener gesellschaftlicher Relevanz.
Jurybegründung:
Zu Unrecht wird der Pferdehändler Michael Kohlhaas gezwungen, an einer Grenzstation zwei seiner Pferde als Pfand zurück zu lassen. Bei der Rückkehr erkennt er seine Tiere nicht wieder: Sie wurden zu schwerer Feldarbeit missbraucht, geschunden, ausgemergelt, verletzt und sind schwer verwahrlost. So mag er sie nicht zurücknehmen. Auch seinen Knecht findet er schwer misshandelt vor. Als Kohlhaas das Recht auf dem Klageweg verwehrt wird, rächt er sich mit Waffengewalt und einem nächtlichen Überfall mit zahlreichen Toten. Erst nachdem sein Widerstand Unterstützung findet und zum Aufstand wird, lenkt die Obrigkeit ein. Kohlhaas erhält schließlich zurück, was er beanspruchen kann, muss aber seinerseits einstehen für seine Taten und stirbt durch das Schwert.
Es geht in diesem Film um die großen Fragen von Gerechtigkeit, Widerstand gegen Willkür, zivilen Ungehorsam, um den aufrechten Kampf eines unbeugsamen Individuums gegen die Obrigkeit, um Selbstjustiz, um Terrorismus - und um Verantwortung.
Der französische Regisseur Arnaud des Pallières verlegt die Handlung der berühmten Kleistschen Novelle aus dem Brandenburgischen in die Cévennen, in deren karger Gegend die universelle Geschichte aus dem 16. Jahrhunderts neu erzählt wird. Die Natur ist übermächtig, und was aus der literarischen Vorlage nach draußen verlegt werden konnte, wird in dieser Kulisse gezeigt. Wind, Wolken und Nebel sind stets sehr präsent, der beunruhigende Ton des ständigen Windes, der Trommeln, der Pferde zieht sich durch den ganzen Film. Eine hochzivilisatorische Frage wird entwickelt in einer archaischen Kulisse. Was nahezu surreal klingt, erweist sich filmisch als höchst stimmig. Des Pallières erzählt die Geschichte in sehr klaren und ruhigen wie höchst imposanten Bildern für die große Leinwand (Kamera: Jeanne Lapoirie), die den oft nervösen und atemlosen Grundton des Filmes kontrastieren und ergänzen. In höchstem Maße beeindruckend der dänische Hauptdarsteller Mads Mikkelsen, dessen Präsenz und dessen Gesicht weite Strecken des Filmes allein tragen können. Da ist kein Zorn, kein Berserker, der die Kontrolle verloren hat und in höchster Wut in einen Rausch der Rache gerät: wir sehen einen liebevollen und stets verantwortungsvollen, bei aller historischen Kostümierung höchst heutigen (auch Ehe-)Mann und Vater, der seine Besonnenheit nie verliert. Besonderes Augenmerk legt die Regie auf den Moment, in dem der Führer des Aufstandes diesen ohne Not abbricht, sobald der Gerechtigkeit wieder Geltung verschafft werden konnte - auch wenn der Preis nun der eigene Untergang ist. Wer Wind gesät hat, soll sich dem Sturm nicht verschließen.
Die radikale, aber nie eigensinnige Art, die Geschichte zu erzählen, verliert ihre Fallhöhe zu keinem Zeitpunkt. Ein Film, der ohne viel Sprache auskommt, der etwa allein über die Zwischenschnitte auf das Gesicht der Tochter unglaubliche Geschichten erzählt und eine kluge Nachdenklichkeit ermöglicht.
Arnaud des Pallières MICHAEL KOHLHAAS steht als Solitär in der oft nur leicht variierten Dutzendware der aktuellen Bilderproduktion. Ein Meisterwerk. Ob des Pallières die kurze Novelle von Kleist auch in 90 statt der 122 Minuten hätte erzählen können? Von unsere Seite ein klares Nein.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)