Mörderhus - Der Usedom-Krimi: Katrin Sass, Lisa Maria Potthoff und die Insel Usedom im reizvollen Auftakt zu einer neuen ARD-Krimireihe.
Natürlich sind es auch die Bilder, die einen frösteln lassen: Der Usedom-Krimi ist im Spätwinter gedreht worden; selbst die Sonne wirkt kalt.
Philipp Sichlers Bildgestaltung lässt die Insel erst recht unwirtlich erscheinen. Aber auch die Atmosphäre ist alles andere als einladend, was sich jedoch nachvollziehen lässt. Das gilt vor allem für den kühlen Empfang, den die Insulaner ihrer Mitbürgerin Karin Lossow (Katrin Sass) bereiten: Die frühere Staatsanwältin hat einige Jahre im Gefängnis verbracht, weil sie im Affekt ihren untreuen Mann erschossen hat. Ihr Haus heißt seither „das Mörderhus“. Das Drehbuch-Team (Scarlett Kleint, Michael Illner, Alfred Roesler-Kleint) leistet sich allerdings den Luxus, diese Geschichte derart beiläufig zu erzählen, das sie fast in Vergessenheit geriete, wenn die zweite Hauptfigur nicht direkt davon betroffen wäre: Julia Thiel (Lisa Maria Potthoff) ist Polizistin. Mit ihrer Waffe hat Karin Lossow damals auf ihren Mann geschossen und ihrer Tochter Julia auf diese Weise den Vater genommen.
Im Vordergrund der Handlung steht jedoch eine ganz andere Ebene. Julia, mittlerweile Kriminalhauptkommissarin, soll einen Todesfall untersuchen: Ein schwerstbehinderter junger Mann, Thomas Krenzlin, ist seit einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt. Sein polnischer Pfleger stellt ihn auf einem Steg ab, um sich ungestört mit Thomas‘ Schwester Anke (Mathilde Bundschuh) vergnügen zu können. Kurz drauf muss Thomas‘ Leiche aus dem Wasser geholt werden. Als Julia den Vorfall rekonstruiert und feststellt, dass sich der Rollstuhl auch bei gelöster Bremse unmöglich von allein in Bewegung gesetzt haben kann, steht außer Frage, dass der junge Mann ermordet worden ist.
Natürlich ist das eine typische Kriminalgeschichte, und es wäre Unfug zu behaupten, „Mörderhus“ sei kein Krimi; aber Regisseur Andreas Herzog tut viel dafür, diesem Etikett nicht gerecht zu werden. Das gilt vor allem für die personelle Konstellation: Die Angelegenheit zwischen Mutter und Tochter ist selbstredend ein Drama. Zu allem Überfluss hat Julia ein Verhältnis mit einem polnischen Kollegen, obwohl sie eine gute Ehe zu führen scheint. Auf der kriminalistischen Ebene spielen ebenfalls innerfamiliäre Beziehungen eine große Rolle: Thomas Krenzlin war Schuld am Tod zweier Mädchen, seine Behinderung war eine Belastung für die Familie. Geschickt sorgt das Autorenteam dafür, dass sich die beiden Ebenen immer wieder überschneiden: weil Vater Krenzlin (Dirk Borchardt) regelmäßig der früheren Staatsanwältin sein Herz ausschüttet. Am Ende gelangen beide, Mutter und Tochter, auf unterschiedlichen Wegen ans Ziel; allerdings nur, was den Fall angeht.
Der frühere Cutter Andreas Herzog führt erst seit einigen Jahren auch Regie, hat seither aber zu Recht alle Hände voll zu tun; gerade seine Beiträge zur ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“ waren bemerkenswert. Das gilt auch für diesen Usedom-Film, mit dem NDR und Degeto eine neue Krimireihe eröffnen. Der Reiz von „Mörderhus“ liegt gerade in der Beiläufigkeit, mit der Herzog viele Aspekte der Geschichte inszeniert. Noch imposanter ist das harmonische Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche. Die Musik (Colin Towns) passt wunderbar zu den mitunter melancholischen Inselaufnahmen. Wie sorgfältig und überlegt die Bilder gestaltet wurden, zeigt sich auch bei den Szenenwechseln, die zwar kunstvoll sind, aber nie den Fluss des Films stören. Lisa Maria Potthoff ist als innerlich zerrissene Hauptfigur ohnehin eine wunderbare Besetzung, zumal sie ein besonderes Talent hat: Im Unterschied zu vielen anderen Schauspielerinnen muss sie Emotionen nicht betonen, um sie zu vermitteln. Umso trefflicher ist Kombination mit der stets kühl und kontrolliert wirkenden Katrin Sass. Da die Geschichte von Mutter und Tochter noch längst nicht zu Ende erzählt ist, macht „Mörderhus“ neugierig auf die weiteren Filme. Die deutsch-polnische Insel ist ohnehin ein Schauplatz mit großem Potenzial. tpg.