Anzeige
Anzeige
Für Links auf dieser Seite erhält kino.de ggf. eine Provision vom Händler, z.B. für mit oder blauer Unterstreichung gekennzeichnete. Mehr Infos.

Trotz des jahrelangen Widerstandes der Bewohner des an der türkischen Schwarzmeerküste gelegenen Dorfes Camburnu wurde unweit davon eine Mülldeponie gebaut, auf der auch der Müll aus der Großstadt Trapzon landet. Schon nach kurzer Zeit erwiesen sich die Befürchtungen der Anwohner als begründet: die unter großzügiger Auslegung der Vorschriften gebaute Anlage verpestet nicht nur mit ihrem Gestank die Luft, sondern verseucht auch das Grundwasser. Bei stärkerem Regen strömt zudem verschmutztes Wasser aus der Anlage direkt in das Dorf.

Dokumentarfilm von Fatih Akin, der sich mit einer Mülldeponie unweit des Dorfes seiner Vorfahren beschäftigt.

Besetzung und Crew

Regisseur
  • Fatih Akin
Produzent
  • Klaus Maeck,
  • Alberto Fanni,
  • Flaminio Zadra,
  • Paolo Colombo
Drehbuch
  • Fatih Akin
Musik
  • Alexander Hacke
Kamera
  • Hervé Dieu,
  • Bünyamin Seyrekbasan
Schnitt
  • Andrew Bird

Kritikerrezensionen

    1. Fatih Akin widmet den Film über das Dorf Çamburnu seinem Vater, dessen Eltern dort lebten. Gäbe es nicht die Mülldeponie am oberen Ende des Ortes, sähe er mit seiner Hanglage über der Schwarzmeerküste im Nordosten der Türkei wie ein grünes Urlaubsparadies aus. Die Einwohner leben vom Teeanbau und gingen von Anfang an auf die Barrikaden gegen die riesige Deponie, die in weniger als einem Kilometer Entfernung auf einer Terrasse über ihren Köpfen seit 2007 den Müll von 88 Gemeinden aufnimmt. Akins Langzeitdokumentation verfolgt aus nächster Nähe, wie das Leben im Dorf durch die Deponie belastet wird und ist zugleich auch eine Liebeserklärung an die ländliche Heimat seiner Großeltern.

      In einer aufgelassenen Kupfermine direkt oberhalb von Çamburnu wird der Müll aus zwei Provinzen ausgekippt, der vorher einfach im Meer oder seinen Zuflüssen entsorgt wurde. Der Beschluss, eine zentrale Mülldeponie zu errichten, klingt also, zumindest wenn man seine behördlichen Befürworter im Film sprechen hört, recht vernünftig und fortschrittlich. Vor allem aber ist er unabänderlich, und das muss der Bürgermeister des Dorfs, der sich gerichtlich gegen die Deponie wehrt, schmerzlich erfahren. Am Ende des Films wird er bilanzieren, dass auf dem Rechtsweg nichts zu erreichen gewesen war. Und dennoch kündigt er weiteren Protest an, wie auch verschiedene Dorfbewohner im Verlauf der Aufnahmen erstaunlich kämpferisch die Auseinandersetzung mit den Betreibern der Deponie suchen.

      Der Fotograf des Dorfes wird für Akin zum zweiten Kameramann, der vor Ort schnell reagieren kann, wenn es einen neuen Vorfall gibt. Eine ältere Frau mit Kopftuch scheut sich nicht, am Eingang der Deponie lautstark zu protestieren und selbst den Gouverneur bei seinem Besuch mit deutlichen Worten zu bedrängen. In der Dorfkneipe wird ein Spottlied auf die Politiker gesungen, die die Heimat verschandeln. Aber alle Aktionen können nicht verhindern, dass die vorhersehbare Umweltkatastrophe tatsächlich eintritt. Die Folie, die den Boden vor dem Müll abdichten soll, hat bald Risse und Löcher, die Kläranlage, die das Abwasser der Deponie aufnimmt, ist nicht für Zeiten mit starkem Regen ausgelegt. Dann strömen die Abwässer direkt in den Bach und ins Meer, fließen schäumend an den Häusern im Dorf vorbei oder rinnen nach einer Überschwemmung den Hang hinunter. Die Menschen halten sich die Nase zu wegen des Gestanks, schimpfen wegen der streunenden Hunde und Vögel, die die Deponie anzieht und die die Teeplantagen verschmutzen.

      Vieles, was die Filmkamera sieht, wirkt wie ein Schildbürgerstreich. Die Betreiber der Deponie und die Umweltbehörde werden auch befragt und sind bemüht, die Dinge schönzureden. Oft sind sie auch einfach überfordert, etwa wenn sie die Missstände mit dem starken Regen erklären, oder den Gestank mit dem Sprühen von Parfüm überdecken wollen. Der Bau einer Mauer verursacht 2011 sogar den Einsturz des Klärbeckens und die Abwässer ergießen sich über den Hang. Das Baden im verdreckten Meer macht keinen Spaß, der Bürgermeister klagt, dass viele Einwohner fortziehen und niemand mehr investieren will.

      Der Dokumentation gelingt es, unglaubliche Umweltsünden vor Ort sichtbar zu machen. So direkt hat man wohl noch nie die Problematik einer Mülldeponie vor Augen geführt bekommen. Aber sie ist auch ein Zeugnis für die bemerkenswerte Wehrhaftigkeit der Dorfbewohner, einfacher Bauern und Fischer, die für ihre Heimat selbstbewusst auf die Straße gehen. Die Demokratisierung des Landes kommt auch im hintersten Winkel voran, wird vermutlich durch solche Konflikte sogar beschleunigt. Eine Vielzahl atmosphärisch intensiver Szenen widmen sich dem beschaulichen Dorfleben und den Porträts verschiedener Bewohner. So erfährt man auch einiges über die Mentalität der Menschen in diesem abgelegenen Gebiet der Türkei.

      Fazit: Fatih Akins Langzeitdokumentation „Müll im Garten Eden“ schildert anschaulich, wie über ein idyllisches türkisches Dorf eine albtraumhafte Umweltzerstörung hereinbricht.
      Mehr anzeigen
      1. Das türkische Bergdorf Çamburnu an der Schwarzmeerküste ist idyllisch gelegen. Seine Einwohner leben seit Generationen im Einklang mit der Natur, ernähren sich von Fischerei und Teeanbau. Doch oberhalb des Dorfes Çamburnu entsteht eine Mülldeponie. Und seitdem leidet das Dorf und mit ihm die Bewohner. Das Grundwasser ist verseucht, die Luft ist verschmutzt und jeden Tag wird mehr Abfall in die Grube geladen. Den Filmemacher Fatih Akin verbindet mit Çamburnu eine ganz persönliche Geschichte, denn das Dorf ist die Heimat seiner Großeltern. Als er vor Jahren wegen eines anderen Filmprojektes dort drehte, wurde er auf die Umweltkatastrophe, die das Dorf zu vernichten drohte, aufmerksam. Und so fing er an, das wachsende Leid der Bewohner und der Natur zu dokumentieren. Zu Wort kommen die direkt Betroffenen, die Teebauern, die Anwohner, der Bürgermeister des immer kleiner werdenden Dorfes, aber auch die Industrie und die Betreiber der Deponie, die stolz über Gesetzeslücken berichten. So entsteht ein umfangreiches Stimmungsbild, das von einer vorzüglichen Kamera dokumentiert, immer auch angenehme Zurückhaltung wahrt. Akin lässt die beunruhigenden und konsternierenden Bilder für sich sprechen. Dabei gelingt ihm ein alarmierender Rückschluss auf die globale Lage in Sachen Umweltschutz und Profitgier. Ein Kampf von David gegen Goliath, der nie aufhören darf. Ein dokumentarischer Weckruf, den man gesehen haben sollte.

        Jurybegründung:

        Fatih Akins Großeltern stammen aus dem Bergdorf Camburnu an der Schwarzmeerküste der Türkei. Ein idyllischer Flecken in einer wahrhaft paradiesischen Landschaft, dessen Bewohner seit Generationen vom Teeanbau und der Fischerei leben. Als seitens der Regierung beschlossen wird, direkt neben dem Dorf eine Mülldeponie für die ganze Region anzulegen, ist der „Garten Eden“ in höchster Gefahr. Trotz aller Proteste von Bürgermeister und Dorfbevölkerung wird das Vorhaben umgesetzt. Alle Versprechungen, dies unter größtem Schutz von Bewohnern und der Natur zu bewerkstelligen, werden nicht eingehalten. Sämtliche Proteste, Klagen und gerichtliche Verfahren werden auf politischer Ebene abgeblockt. Ohnmächtig müssen die Bewohner von Camburnu erleben, wie unerträglicher Gestank und vergiftetes Wasser aus der Deponie ihr Dorf, ihr Land und das Meer davor zerstören. Dass die junge Bevölkerung zuerst das Heimatdorf verlässt und andere Bürger des Landes nicht mehr hierher ziehen möchten, ist erklärlich. Und so ist die Gemeinde auf dem absterbenden Weg…
        Fatih Akin dokumentiert in einer Langzeitbeobachtung über fünf Jahre die stetige Veränderung und den Zerfall von Natur und urbanem Leben in einem einstmals blühenden Landstrich. So wird der Film zu einem Aufschrei gegen bewusste Verdrängung, Willkür, Korruption und politische Ignoranz und Machenschaften. Er zeigt die Ohmacht der Betroffenen, aber auch den nicht verstummenden Protest der Menschen, welche ihre Heimat nicht verlieren und verlassen möchten.
        Fatih Akin klagt nicht mit hartem Kommentar und spekulativem Szenenaufbau an. Traumhaft schöne Bilder der paradiesischen Landschaft vermischen sich mit den Belegen einer systematischen Zerstörung durch die Deponie. Er lässt die Jungen und die Alten zu Wort kommen, er liefert die Kommentare von Bürgermeister und Ortsverantwortlichen, er zeigt die Vertreter der Bauherren der Deponie und der politischen Obrigkeit, ohne dies zu kommentieren oder diese bildlich zu denunzieren. Umso stärker ist die Wirkung dieses nicht nur glänzend gefilmten, sondern auch montierten Films, der trotz seiner Länge nie an Spannung verliert und den Zuschauer in Betroffenheit versetzt.
        Ein Film zur Bewusstseinsbildung auch parabelhaft für die ganze Welt und ein mahnender Ruf aufzuwachen, bevor es zu spät ist. Die kommenden Generationen werden uns für unsere Versäumnisse in die Verantwortung ziehen müssen.

        Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
        Mehr anzeigen
      Anzeige