Mit „No Country for Old Men“ erschufen die Coen-Brüder 2007 ein filmisches Meisterwerk. Das überraschende Ende des Films sorgt immer noch für viele Fragen.
Schaut euch hier nochmal den Trailer zu „No Country for Old Men“ an:
„No Country for Old Men“ hat auf den ersten Blick alles, was ein Western braucht: Einen Held mit weißem Cowboyhut, einen kaltblütigen Bösewicht und einen in die Jahre gekommenen Sheriff, der durch das texanische Brachland reitet und sich der guten alten Zeiten erinnert. Doch was auf den ersten Blick wie eine Hommage an Klassiker der Western-Ära auftritt, bricht schließlich mit all unseren Erwartungen. Am deutlichsten wird dieser Bruch am Ende des Films – einem Ende, das den einen oder anderen Zuschauer garantiert verwirrt und überrascht zurücklässt. Wir erklären euch, was es mit dem Ende von „No Country for Old Men“ auf sich hat und warum gerade die letzten Szenen des Films so genial sind.
Achtung: Spoiler!
„No Country for Old Men“: Das passiert am Ende des Films
Anders als in einem typischen Western, in dem der Bösewicht hinter Gitter gebracht wird und der einsame Held auf seinem Pferd davonreitet, entwickelt sich der Plot von „No Country for Old Men“ definitiv nicht zu einem Happy End. Der Held der Geschichte, Vietnamveteran Llewelyn Moss, wird in einem Hotel in El Paso erschossen. Der psychopathische Killer Anton Chigurh wird zwar in einen Autounfall verwickelt, kommt aber mit ein paar Knochenbrüchen davon. Am Ende des Films sieht man Sheriff Bell, der mit seiner Frau am Frühstückstisch sitzt. Er ist mittlerweile im Ruhestand und scheint schwer deprimiert. Auf ihre Nachfrage hin erzählt er seiner Frau schließlich von seinen Träumen der letzten Nacht, die beide von seinem Vater handelten. Er beendet seine Erzählungen mit den Worten: „Und dann bin ich aufgewacht.“ Der Bildschirm wird schwarz, der Film ist zu Ende.
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„No Country for Old Men“: Was bedeutet das Ende?
Obwohl der Film zeitweise suggeriert, dass Moss die Identifikationsfigur für den Zuschauer bietet und der Held der Geschichte ist, ist es tatsächlich Sheriff Bell, der uns durch die Geschichte führt. Der Film beginnt mit seiner Stimme aus dem Off, die von früheren Zeiten erzählt. Der melancholische, müde Charakter des Sheriffs wird damit bereits etabliert. Im Laufe der Handlung zeigt Bell sich vermehrt ängstlich, zurückhaltend, verstört angesichts der Grausamkeiten, die um ihn herum geschehen. Er scheint nachdenklich, erschöpft und pessimistisch zu sein. Am Ende des Films hat Bell seinen Job an den Nagel gehängt. Doch seine Entscheidung scheint ihm keine Erleichterung zu bringen; vielmehr sitzt er deprimiert am Frühstückstisch, nichtwissend was er mit seinem Leben anfangen soll. Sein Beruf als Sheriff hat tiefe Spuren in ihm hinterlassen, außerdem macht sein fortgeschrittenes Alter ihm zu schaffen. Tom Bell ist zu einem der „Old Men“ geworden, von denen im Filmtitel die Rede ist: Er gehört nicht mehr in dieses Land, in diese moderne Welt, findet in ihr keinen Platz. Seine Träume versinnbildlichen diese Tatsache.
Sheriff Bells Träume:
In den letzten Minuten des Films fragt Bells Frau ihn, was er letzte Nacht geträumt habe. Bell zeigt sich zunächst zurückhaltend, erzählt ihr aber schließlich doch von seinen Träumen. In beiden Träumen kam sein Vater vor, der bereits viele Jahre tot ist und ebenfalls Sheriff war. Im Zuge seiner Erzählungen realisiert Bell, – möglicherweise zum ersten Mal – dass er mittlerweile älter ist, als sein Vater es je war. In seinem ersten Traum gab sein Vater ihm Geld, was Bell daraufhin verlor. An seinen zweiten Traum erinnert Bell sich noch detaillierter: Bell ritt mit seinem Vater durch die Berge, fernab der Zivilisation. Sein Vater ritt vorneweg, mit einem brennenden Horn in der Hand. Obwohl die beiden Männer nicht miteinander sprachen, wusste Bell zu jeder Zeit, dass sein Vater da war.
Das bedeuten Bells Träume:
Bells erster Traum könnte eine Anspielung auf das Thema Geld in „No Country for Old Men“ sein. Alle Männer, die in dem Film hinter dem Geldkoffer her sind, sterben oder werden schwer verletzt. Bell hingegen scheint dem Geld, das sein Vater ihm im Traum gibt, nicht besonders viel Beachtung zu schenken. Er verliert das Geld – gleichzeitig ist er einer der wenigen Charaktere, die am Ende überleben. Der Traum könnte auf der anderen Seite auch dafür stehen, dass Bell das wertvolle Vermächtnis seines Vaters, also den Glauben an Gerechtigkeit und den Willen, gegen das Böse zu Kämpfen, verloren hat.
Bells Vater repräsentiert eine frühere Zeit. Eine Zeit, die von Bell idealisiert wird – und das schon zu Beginn des Films. Bell stellt sich die Vergangenheit als Zeit der Gerechtigkeit vor, als eine Zeit, in der Bösewichte hinter Gitter gebracht wurden und die Helden davonkamen. Bell wünscht sich sozusagen die „alten Western“ zurück; eine Film-Ära, die „No Country for Old Men“ zwar imitiert, letzten Endes aber mit ihren Konventionen bricht.
Bells Vater, der im Traum mit einem Licht vor ihm her reitet, steht für Sicherheit und Gewissheit. In seinem Traum wusste Bell, dass am Ende des Weges Licht auf ihn wartet. In der Realität jedoch scheint er seinen Weg verloren zu haben. Er glaubt nicht mehr an das Gute im Menschen oder an die Gerechtigkeit des Universums. Vielmehr ist er schon vor einiger Zeit „aufgewacht“ und muss der brutalen Gegenwart nun ins Auge blicken.
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Was passiert am Ende mit Chigurh?
In der Welt, die die Coens in ihrem Film zeichnen, scheint alles dem Zufall überlassen zu sein. Andersherum bedeutet das, dass nichts wirklich einen Sinn hat. Die Willkür des Lebens wird von der Filmfigur Anton Chigurh repräsentiert. Chigurh ist nicht nur skrupellos und böse, er fordert mit seinem Verhalten auch ganz gezielt das Schicksal heraus. Nicht nur einmal lässt Chigurh eine Münze darüber entscheiden, ob ein anderer Charakter lebt oder stirbt. So auch gegen Ende des Films, als er Llewelyns Frau Carla Jean aufsucht. Während diese noch versucht, ihn davon zu überzeugen, dass er selbst über seine Taten entscheiden kann, sehen wir ihn in der nächsten Szene ihr Haus verlassen. Carla Jeans Schicksal wird dem Zuschauer bewusst vorenthalten; da Chigurh beim Herausgehen allerdings seine Fußsohlen überprüft, weißt viel darauf hin, dass er sie umgebracht hat. Bereits in einer früheren Szene war der Bösewicht sehr darauf bedacht, dass seine Stiefel nicht durch das Blut seiner Opfer befleckt werden. Chigurh steigt in ein Auto und fährt davon. Kurz darauf wird er von einem anderen Fahrzeug erfasst. An dieser Stelle hätte der Film enden und dem Zuschauer damit suggerieren können, dass es doch so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit gibt. Stattdessen sehen wir Chigurh schwerverletzt, jedoch lebendig davonhumpeln und der Film endet schließlich mit Bells Frühstückstisch-Sequenz.
Jedes filmische Bild wird dem Zuschauer aus einem Grund gezeigt. Und das Ende von „No Country for Old Men“ will uns ganz klar deutlich machen: Das echte Leben läuft nicht wie in einem klassischen Hollywood-Western. Helden begehen auch Dummheiten und können sterben. Bösewichte kommen nicht immer hinter Gitter. Und es gibt keine höhere Instanz, die für Gerechtigkeit sorgt. Am Ende des Films sitzen wir als Zuschauer mit Bell am Frühstückstisch. Wie der Sheriff wünschen wir uns ein Licht, das uns den Weg leitet und uns sicher nach Hause bringt. Genauso abrupt wie wir manchmal aus einem Traum hochschrecken, schneidet das filmische Bild plötzlich von Bell zu einem schwarzen Screen. Der Film kommt zu einem abrupten Ende und macht damit auch auf die Paralellen zwischen Film und Traum aufmerksam. „No Country for Old Men“ wirkt auf diese Art desillusionierend: Am Ende müssen wir alle aufwachen und verstehen, dass die Realität kein Traum ist und Film nicht die Realität wiederspiegelt.
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