Das Medikament Contergan wurde von Oktober 1957 und November 1961 produziert und vertrieben. Anfangs hielt man es wohl für ein Wundermittel, da es als effektive Hilfe gegen Übelkeit während der Schwangerschaft sowie als Beruhigungs- und Schlafmittel galt, das nicht süchtig macht. Es wurde sogar mit der völligen Unschädlichkeit des Wirkstoffs geworben und so bald in 46 Ländern vertrieben. Erst als sich Hinweise mehrten, die bewiesen, dass die angebliche Ungiftigkeit wissenschaftlich nicht haltbar war, beantragte die für die Vertreibung verantwortliche Firma Chemie Grünenthal 1961 die Rezeptpflicht, welche einige Monate später nur in wenigen Bundesländern in Kraft trat. Zu spät, denn bereits seit 1959 sahen sich Ärzte mit einer enormen Anzahl an fruchtbaren Missbildungen bei Neugeborenen konfrontiert und es dauerte nicht lange bis ein Zusammenhang mit der Einnahme von Contergan nachgewiesen werden konnte. Obwohl Grünenthal bereits 1961 1600 Warnungen über die verheerende Gefahr und Fehlbildungen bei Neugeborenen vorlag, sorgte erst ein Artikel in der Welt am Sonntag im November desselben Jahres für eine Vertriebseinstellung des Medikaments. Zwar sind die Zahlen ungenau, aber man geht von 10 000 geschädigten Kindern aus, wovon 4 000 allein in Deutschland geboren wurden, allerdings überlebte nur die Hälfte. 1968 kam es zum Prozess: Die Anklage lautete vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung sowie fahrlässige Tötung. Den drei Staatsanwälten und dem Hauptverteidiger der 312 Nebenkläger standen 20 Strafverteidiger der zuletzt nur noch 5 Angeklagten gegenüber. Die betroffenen Eltern entschieden sich für einen Vergleich und verzichteten somit einerseits auf einen Schadensersatzanspruch in Milliardenhöhe und andererseits auf das Recht weiter gerichtlich gegen Grünenthal vorzugehen sie erhielten stattdessen eine einmalige Entschädigung von 100 Millionen Mark, welche bereits 1987 verbraucht waren. Das Strafverfahren wurde 1970 wegen geringfügiger Schuld und mangelnden öffentlichen Interesses nach § 153 StPO eingestellt.
Nobody´s perfect was schon 1959 als Schlusspointe in Manche mögen´s heiß funktionierte, ist nicht nur Titel, sondern praktisch Mantra dieses Dokumentarfilms. Niko von Glasow portraitiert 12 erwachsen gewordene Contergan-Kinder sich selbst mit eingeschlossen. Diese Menschen eint einzig und allein die Contergan-Schädigung und die Tatsache, dass sie alle besser als viele andere mit ihrer Behinderung zurechtkommen. Jedoch könnten sie ansonsten unterschiedlicher nicht sein, was bereits die Berufswahl zeigt: Schauspieler, Bürgermeister, Maler, Astrophysiker, Gärtner, um nur einige zu nennen.Von Glasow besucht jeden einzelnen Protagonisten, lässt sich von einigen etwas von ihrer Vergangenheit und von anderen etwas aus deren Gegenwart erzählen. Jedes Portrait ist dabei geprägt von enormer Lebensfreude. Selbstverständlich gibt es auch nachdenkliche Momente, denn von Glasow spricht diverse Probleme, wie Partnersuche und eventuelle Selbstmordgedanken sowie das simple, aber manchmal gravierende Problem an, sich an manchen Stellen nicht selbst kratzen zu können. Die Kandidaten für einen Aktkalender geben von Glasow und dem Zuschauer einen genauen, wenn auch kurzen Einblick in ihr Leben.
Musikalisch werden allein die lebensbejahenden Momente unterstützt. So wird beispielsweise der Gang zum Meer nur mit Badehose bekleidet von triumphierender Marschmusik begleitet. Wenn aber die erfolgreiche Dressurreiterin Bianca erzählt, ihre Mutter habe bloß eine einzige Tablette Contergan genommen, verzichtet von Glasow intelligenter Weise auf die Verwendung von dramatischer Musik. Dieser und auch alle anderen Momente, in denen Details aus dem Contergan-Skandal angesprochen werden sind auch ohne jeglichen Einsatz von Musik stark genug und verfehlen nicht - trotz der generellen positiven Stimmung ihre Wirkung.Wie bei jedem guten Dokumentarfilm drängt sich die Kamera hier nicht in den Vordergrund, sondern beobachtet das Geschehen meist stillstehend und aus einer distanzierten Position heraus. Es geschieht selten, dass jemand in einer Großaufnahme gezeigt wird. Die Dramaturgie hält zwar keine Überraschungen bereit, überzeugt jedoch trotzdem, weil es in dieser Dokumentation nicht vordergründig um ein raffiniertes filmisches Werk geht, sondern um die Menschen, die portraitiert werden und darum, der übrigen Gesellschaft zu zeigen, dass es durchaus noch Contergan-Kinder gibt, sie sind inzwischen bloß erwachsen geworden, aber trotz ihrer Behinderung ein Teil eben dieser Gesellschaft. Und es stimmt, was eine Passantin über die Fotoausstellung direkt vor dem Kölner Dom sagt: Es sind schöne Menschen, weil sie Lebensfreude ausstrahlen und glücklich sind. Die kurzen Arme fallen plötzlich gar nicht mehr auf.
Als eventuelle Kritikpunkte könnte angebracht werden, dass die Contergan-Menschen nie bei Situationen gezeigt werden, mit denen sie allein nicht oder eben nur schwer zurechtkommen. Wie zum Beispiel einen Pullover über den Kopf ziehen oder, dass zwar oft über diverse Lebenspartner gesprochen wird, diese selbst aber nie zu Wort kommen. Wie aber bereits erwähnt, geht es nicht um das Umfeld dieser Personen, sondern um die Menschen selbst. Im Vordergrund steht nun einmal, dass sie Dinge meistern, die man ihnen vielleicht nicht zutrauen würde Dressurreiten zum Beispiel oder in einer Bar etwas Trinken gehen, das Bier wird dann eben in ein Stielglas gefüllt und der Fuß zum Halten benutzt. Sie hilflos zu zeigen, würde sie demontieren - allerdings wird der Aspekt der Hilflosigkeit in zahlreichen Gesprächen thematisiert.
Fazit: Großartige Dokumentation über Contergan-Menschen, die ihre kurzen Arme nicht als Fehlbildung, sondern als Teil ihrer selbst akzeptiert haben.