Marie, Engelsgesicht, zeig deine Titten! Hau ab, Lennon. Oder Schwanz raus! Und John Lennon lässt die Hose runter: ja, so war er, der Lümmel in der Liverpooler Schule, frech, aufsässig, rebellisch; zudem egomanisch und bemüht cool und auch noch weinerlich. Im Ganzen: sehr verwirrt. Wie es eben ist in der Pubertät, nur dass Lennon sich für etwas Besseres hält und deshalb nicht unbedingt der Meinung ist, sich zurückhalten zu müssen. Später mal, in einem Park, fingert er Marie, und sie bläst ihm einen.
Die Künstlerin und Fotografin Sam Taylor-Wood porträtiert in ihrem Regiedebüt John Lennon als junger Mann, untere Mittelklasse in Liverpool, in schwierigen Familienverhältnissen: Lennon vor den Beatles. Und das immerhin ist eine Geschichte, die nicht so bekannt ist, die Story vor dem Erfolg, vor dem stardom. Lennon wächst bei seiner Tante Mimi auf, seit seinem fünften Lebensjahr; mit 17 lernt er seine Mutter Julia, Mimis Schwester, neu kennen, und ist zerrissen zwischen zwei Welten, zwischen zwei Frauen: Die harsche, harte, gefühlsbeherrschte Mimi und die lebenslustige, musikbegeisterte, schöne Julia. Johns und Julias erster gemeinsamer Nachmittag, ein Ausflug in einen Vergnügungspark, hat eine durchaus erotische Komponente, ihre Sinnenfreude überwältigt den steife, kalte Verhältnisse gewöhnten John. Sie klärt ihn auch darüber auf, dass der Slang-Ausdruck RocknRoll Sex bedeutet und führt ihn in die Musik ein. Lehrt ihn erste Banjo- und Gitarrenakkorde und unterschwellig ist auch John klar, dass Julia psychisch labil ist, manische Depression wird angedeutet; ebenso nagt an ihm weiter die Frage, warum er als Kind von seiner Mutter weggerissen wurde. Als er wieder zurückkehrt zu Mimi, weiß er als Ausweg aus dem Familiendilemma: Ich gründe eine RocknRoll-Band. Lederjacke, Gitarre und drei Akkorde reichen: Die Quarrymen sind geboren.
Taylor-Wood konzentriert sich freilich vor allem auf die Familienkiste; die Bekanntschaft mit Paul und später George läuft eher nebenher. Wobei: Als normale Geschichte eines normalen Teenagers schiene die Handlung entweder zu überzogen oder zu banal. Diese miese Jugend in angespannten Verhältnissen, das Hin und Her zwischen Tante und Mutter, das Nicht-Wissen über die wahren Zusammenhänge dieser Konstellation, um die Umstände seiner Kindheit: Das ist eigentlich nur interessant, weil es sich hier um John Lennon handelt. Und weil es sich hier um John Lennon handelt, würde man gerne auch etwas mehr erfahren über sein künstlerisches Werden es ist unplausibel bis hanebüchen, wie der Film versucht, aus diesem Leben auf die Musik zu schließen. Was Lennon und die Quarrymen spielen ist einfacher RocknRoll, ganz das übliche; und auch zur späteren Weltkarriere der Beatles lassen sich keine biographisch-kausalen Verbindungen ausmachen.
Zwar sieht man Lennon mal was in sein Schulheft kritzeln, Comic-Karikaturen und ein Gedicht über ein Walross, gegen Ende verlässt John ein Gebäude, das die Kunstakademie sein soll, in der er studiert. Auch fährt er mal an einem Straßenschild Strawberry Field vorbei, und eine Zeitraffersequenz im Spiegelkabinett nimmt die späteren Richard-Lester-Kabinettstückchen der Beatles-Filme vorweg. Das wars aber auch, im großen Ganzen.
So dass der Film zwar Lennons emotional-traumatische Kindheitsbeziehungen gerecht werden kann im Sinn von emotionaler Verstörung zumindest gute Argumente bringt , dies aber kaum in Verbindung zu setzen vermag zur Welt des englischen Arbeitermilieus Ende der 50er, Anfang der 60er, oder zur späteren Weltkarriere. Trotz guter Schauspieler, trotz sichtlich penibler Ausstattung, die der Film zum Leben erweckt, bleibt von Taylor Wood sicher ungewollt der Eindruck eines jungen Typen, der nicht weiß, was er will, der mit Frauen ob Mitschülerin oder Tante/Mutter egomanisch-machohaft umspringt, der nicht Gitarre spielen kann und was Pop- und Rockmusik angeht ein Spätzünder ist.
Kurz: Der Film verkürzt den künstlerischen Weg so sehr, dass Johns eigener Anteil an allem eher gering ausfällt, dass es scheint, als zögen Paul und George John mit, aus Mitleid vielleicht: nach Hamburg, zum Start der Beatlemania.
Fazit: Ein Biopic über John Lennons frühe Jahre ist zumal in diesem Lennon-Jahr mit seinem 70. Geburtstag und dem 30. Todestag sicherlich überfällig. Aber leider kann der Film nicht richtig überzeugen.