Viel passiert nicht in diesem 157minütigen Film, oder besser gesagt, es passiert zwar einiges, aber die Dichte der Ereignisse ist sehr gering. Es gibt viele Minuten, in denen die Personen einfach nur warten und ihre Langeweile mit zaghaften Versuchen von Konversation eindämmen. Alle Fragen und Zweifel, die sich auftun, beziehen den Zuschauer unmittelbar mit ein. Am Schluss hat man den Eindruck, das Lebensgefühl in Anatolien gespürt zu haben. Regisseur Nuri Bilge Ceylan verblüfft mit diesem Werk von fast dokumentarischer Authentizität, dem türkischen Beitrag für die Oscarnominierungen Anfang 2012.
Im Fernsehen hätte dieser Film wohl kaum eine Chance, bis zum Ende angeschaut zu werden. Denn man braucht die Dunkelheit des Kinosaals und seine fehlenden Alternativen, um sich diese oft wortlose Warterei anzutun. Aber das scheint so gewollt zu sein vom Regisseur, denn die ungeheure atmosphärische Dichte entwickelt sich konträr zu der der Ereignisse. Dass der Film auf Atmosphäre großen Wert legt, erkennt man schon gleich zu Anfang, wenn in der dunklen Landschaft die Grillen zirpen.
Drei-, viermal hält die Autokolonne, ohne die Leiche zu finden, bevor einem dämmert, dass der Gefangene (Firat Tanis) wohl nicht beabsichtigt, den Kommissar (Yilmaz Erdogan) zum richtigen Ort zu führen. Das dämmert auch dem Kommissar, der sich vom Staatsanwalt (Taner Birsel) bereits sagen lassen muss, man habe sich doch auf ihn verlassen. Der Kommissar schlägt auf den Gefangenen ein, der Staatsanwalt muss ihn beruhigen. Die Situation entwickelt absurde Züge, ohne dass sie deswegen abgebrochen wird. Wie sich zeigen wird, ist das Warten hier nicht ohne Grund eine Tugend.
Allmählich werden die Hierarchien dieser Männergesellschaft sichtbar: Wenn einer den anderen als Esel beschimpfen darf, steht er über ihm. Und da der Staatsanwalt nun mal an der Spitze steht, darf er bestimmen, wie verfahren wird. Wegen ihm bewirtet der Bürgermeister (Ercan Kesal) mitten in der Nacht die unverhoffte Besucherschar, nicht ohne dem Staatsanwalt ans Herz zu legen, doch mit dem Gouverneur zu sprechen, wegen der Leichenhalle, die das Dorf braucht. Der Staatsanwalt zieht den Arzt (Muhammet Uzuner) beiseite, um ihn weiter zu löchern wegen dem mysteriösen Todesfall der schönsten Frau, die er jemals kannte. Dass es sich wohl um seine eigene Frau handelte und er nicht ganz schuldlos an ihrem Tod war, drängt sich immer stärker auf.
Manchmal sprechen Figuren im Off, Gesichter erscheinen stumm im Bild. Häufiger sind jedoch die aus dem Leben gegriffenen Szenen, in denen die Personen aufgrund allgemeiner Ratlosigkeit einen tollpatschigen Eindruck machen. Nur der junge Arzt wirkt in seiner stoischen Beherrschtheit wie ein Fremdkörper in dieser Runde. Man erfährt viel über die Denkweise der Figuren, ihre gefühlte Unfreiheit, und ist dennoch überrascht über den Ausgang der Geschichte.
Fazit: Atmosphärisch dichter Ausflug auf das anatolische Land, auf dem viel Ratlosigkeit herrscht und noch mehr gewartet wird.