Mit „Oppenheimer“ feierte Christopher Nolan einen unerwartet großen Kinoerfolg. Aber er hat nach Spike Lee eine wichtige Verantwortung außer Acht gelassen.
Machen wir uns nichts vor: Nicht allen hat Christopher Nolans Zweiter-Weltkriegsfilm „Dunkirk“ uneingeschränkt gefallen. Der britische Meisterregisseur ist einer der wenigen ohne komplette Totalausfälle in seiner Vita. Selbst seine einzige Auftragsarbeit als Regisseur, „Insomnia – Schlaflos“ wurde vom Publikum positiv aufgenommen. Doch nach „Dunkirk“ und dem Nachfolgeprojekt „Tenet“, den ihr über Amazon streamen könnt, schien der 53-Jährige nicht mehr ganz so unfehlbar wie zuvor zu sein. Auf Rotten Tomatoes hält der Sci-Fi-Actionfilm maue 69 Prozent bei den Kritiken und 76 Prozent beim Publikum.
Als Nolan dann mit „Oppenheimer“ ein Biopic über Robert Julius Oppenheimer, Schöpfer der ersten Atombombe, ankündigte – und zugleich nach beinahe zwei Dekaden das Studio wechselte –, war die Skepsis bei nicht wenigen groß. Nolan mag zwar unter den Blockbuster-Filmschaffenden der Filmemacher fürs Anspruchsvolle sein, aber eine dialoglastige Biografie? Ob er das schaffen würde? Er schaffte es. „Oppenheimer“ lebt von den kongenialen Darbietungen der Besetzung mit Top-Stars wie Cillian Murphy, Robert Downey Jr., Matt Damon, Emily Blunt, Alden Ehrenreich, Jason Clarke, Tony Goldwyn, Kenneth Branagh und Florence Pugh. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von 939 Millionen US-Dollar wurden die Mühen und der Mut Nolans belohnt.
Schon jetzt wird der Film als großer Anwärter auf einen oder gleich mehrere Oscars gehandelt. Doch es gibt auch kritische Stimmen – Spike Lee etwa. Der Regisseur von Filmen wie „Do the Right Thing“, „Malcolm X“ und „BlacKkKlansman“ äußerte im Gespräch mit Washington Post seine Enttäuschung darüber, dass Nolan es trotz der Filmlänge versäumt hat, die tödlichen Folgen der Atombombe aufzuzeigen:
„‚Oppenheimer‘ hat eine Laufzeit von 180 Minuten. Wenn er drei Stunden dauert, hätte ich gerne noch ein paar Minuten mehr hinzugefügt, [um zu zeigen,] was mit dem japanischen Volk geschehen ist. Menschen sind verdampft, viele Jahre später sind die Menschen radioaktiv. Es ist ja nicht so, dass er (Christopher Nolan, Anm. d. Red.) keine Macht hätte. Er sagt den Studios, was sie zu tun haben.“
Oppenheimers Durchbruch in der Atomwaffenforschung nutzten die USA, um das unnachgiebige japanische Kaiserreich zur Kapitulation zu zwingen und den Pazifikkrieg zu beenden. Der Preis dafür war unmenschlich hoch – die zwei über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben Little Boy und Fat Man töteten nahezu 120.000 Menschen sofort und zerstörten über 80 Prozent beider Städte. An den Spätfolgen starben weitere Hunderttausende. Bis heute leidet das japanische Volk an den Auswirkungen der Nuklearwaffen. Für Spike Lee ist es also unverständlich, wie man diese Gräueltaten, die zumindest indirekt von Robert J. Oppenheimer mitverantwortet wurden, nicht zeigen konnte – allein schon der Abschreckung wegen. Solltet ihr nach diesem intensiven Erlebnis mit „Oppenheimer“ Lust auf weitere Biopics haben, dann werft einen Blick in unser Video.
„Oppenheimer“: Darum hat Christopher Nolan die Atombombenabwürfe ausgelassen
Christopher Nolan selbst hatte eine recht einfache Erklärung dafür, warum er diesen Teil bewusst aus „Oppenheimer“ gehalten hat. In einer Diskussionsrunde mit Moderator Chuck Todd von MSNBC begründete er seine Entscheidung als eine bewusste erzählerische:
„Wir wissen so viel mehr als er zu der Zeit. Er erfuhr von den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki aus dem Radio – genauso wie der Rest der Welt. Das war ein Schock für mich… Alles [im Film] ist seine Erfahrung oder meine Interpretation davon. Denn wie ich allen immer wieder sage: Es ist kein Dokumentarfilm. Es ist eine Interpretation. Das ist mein Job.“
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