Nach gescheiterten Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Hollywood-Filmstudios treten über 150.000 Mitglieder ab Mitternacht in den Streik – mit Folgen.
Es ist geschehen. Die größte Angst der Filmstudios und Streamingdienste – aber auch der Film- und Serien-Fans weltweit – ist wahr geworden: Ab Mitternacht legen die Schauspieler*innen der mächtigen Gewerkschaft Screen Actors Guild-American Federation of Television and Radio Artists (SAG-AFTRA) die Arbeit nieder und bremsen damit eine gigantische Unterhaltungsmaschinerie auf brutalstmögliche Art und Weise aus, um sich nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern den Verantwortlichen der Gegenseite klarzumachen, dass sie am vermeintlich längeren Hebel sitzen.
Seit über 40 Jahren hat es keinen Streik der Gewerkschaft gegen die Film- und Fernsehbranche in Hollywood mehr gegeben, der letzte fand von Juli bis Oktober 1980 statt, wobei die beiden Institutionen SAG und AFTRA zu der Zeit noch getrennt voneinander agierten. Es ist zudem der erste Doppelstreik seit 1960, als Ronald Reagan, späterer US-Präsident, die Geschicke der SAG lenkte. Der Zeitpunkt ist zudem denkbar schlecht – oder gut, aus Sicht von SAG-AFTRA –, denn aktuell streikt noch immer die Autor*innengewerkschaft Writers Guild of America (WGA). In dieser Hinsicht ist es erst das zweite Mal, dass beide Gewerkschaften gemeinsam streiken.
„Ein SAG-AFTRA-TV/Kino/Streaming-Streik wurde mit Wirkung zum 14. Juli 0:01 Uhr angeordnet. Weitere Details folgen.“
Im Vorfeld waren Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft und der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP) gescheitert, die für die Interessen der Produktionsfirmen eintritt. Nach einer Urabstimmung am 7. Juni, an der rund 65.000 Mitglieder teilgenommen hatten, sprachen sich 97,9 Prozent für einen Schauspieler*innenstreik aus, sollte es zu keiner Einigung kommen. Zu den Forderungen zählen neben einer höheren Bezahlung und einer Beteiligung am Erfolg von Streaming-Inhalten auch klare Regeln und Grenzen in Bezug auf die Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Generierung von Inhalten.
Fran Drescher („Die Nanny“), Präsidentin von SAG-AFTRA, schwor die rund 160.000 Mitglieder auf den beginnenden Streik ein und betonte dabei, wie bedeutsam dieser Moment sei:
„Wir werden von sehr gierigen Unternehmen schikaniert. […] Irgendwann muss man sagen: Nein, das machen wir nicht mehr mit. Ihr Leute seid verrückt. Was macht ihr da eigentlich? Warum tut ihr das?‘ […] Wenn wir jetzt nicht für uns einstehen, werden wir alle in Gefahr sein. Man kann das Geschäftsmodell nicht so stark verändern, wie es sich verändert hat, und dabei nicht erwarten, dass sich nicht auch der Vertrag ändert. Ich kann es nicht fassen… wie die [Studios] auf Armut plädieren, dass sie links und rechts Geld verlieren, während sie ihren CEOS Hunderte von Millionen [US-Dollar] geben. Es ist widerlich. Schande über euch.“
Die Augen der gesamten Welt und vor allem die aller Gewerkschaften seien nun auf die SAG-AFTRA und ihre Mitglieder gerichtet, schärfte Drescher ein. Das, was nun in Hollywood mit ihnen geschehe, sei etwas, das in allen Arbeitswelten stattfinde. Es sei ein großes Problem der Arbeitgeber*innen, Gier zur Priorität zu erklären, während zur gleichen Zeit die Mitarbeiter*innen übergangen würden, die „die Maschine zum Laufen bringen“.
Falls ihr jetzt vor lauter Gestreike keine Lust mehr auf Hollywood habt, dann ergeht es euch wie den Kindern in unserem Video.
SAG-AFTRA-Streik: Weißes Haus schaltet sich ein
Vonseiten der AMPTP hieß es hingegen, man habe den SAG-AFTRA-Mitgliedern „historische Lohn- und Gehaltserhöhungen, wesentlich höhere Obergrenzen für Renten- und Krankenversicherungsbeiträge, Schutz bei Vorsprechen, verkürzte Optionszeiträume für Serien und einen bahnbrechenden KI-Vorschlag“ unterbreitet (via Variety):
„Ein Streik ist sicherlich nicht das Ergebnis, das wir uns erhofft hatten, da die Studios ohne Darsteller*innen, die unsere Fernsehsendungen und Filme zum Leben erwecken, nicht arbeiten können. Die Gewerkschaft hat bedauerlicherweise den Weg gewählt, der zu finanziellen Härten für Abertausende von Menschen führen wird, die von der Branche abhängig sind.“
Auch Robert Allen „Bob“ Iger, CEO von The Walt Disney Company, zu der neben Marvel Studios und Lucasfilm auch 20th Century Studios und Pixar gehören, äußerte sich gegenüber CNBC zum Gewerkschaftsstreik (via Deadline):
„Das ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt auf der Welt, um diese Probleme weiter zu befeuern. […] Es gibt ein Maß an Erwartungen, die [SAG-AFTRA und die WGA] haben, das einfach nicht realistisch ist.“
Selbst das Weiße Haus hat sich zu dieser Angelegenheit zu Wort gemeldet. So sagte Sprecherin Robyn Patterson (via Deadline):
„Der Präsident [Joe Biden] ist der Ansicht, dass alle Arbeitnehmer*innen, einschließlich der Schauspieler*innen, eine gerechte Entlohnung und angemessene Sozialleistungen verdienen. Der Präsident unterstützt das Streikrecht der Arbeitnehmer*innen und hofft, dass die Parteien eine für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarung erzielen können.“
Vorteilhaft wäre eine schnelle und gütliche Einigung definitiv nicht nur für die Filmstudios, Streamingdienste und die Schauspieler*innen, sondern auch für Film- und Serienfans weltweit. Denn je länger der Arbeitskampf andauert, desto weiter müssen pausierte Produktionen nach hinten verschoben werden. Das führt zu einer definitiven Durststrecke, die Kinobetreiber*innen und Streamingdienste vor weitere Probleme bezüglich des Programms stellen wird. Wie sich der Streik ganz konkret auf Netflix, Amazon, Marvel Studios und Co. auswirkt, erklären wir euch in einem gesonderten Artikel.
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