Christopher Nolan kann es einfach nicht lassen: Auch in seinem neuesten Kino-Hit „Oppenheimer“ spielt er mit der Zeit. Wir bringen für euch ein wenig Ordnung in die Angelegenheit.
Auf dem Papier wirkt „Oppenheimer“ wie das narrativ einfachste Projekt in der Karriere von Christopher Nolan. Wie kompliziert kann man ein Biopic schon machen? Nun, der britische Regisseur hat einmal mehr einen Weg gefunden, mit den zeitlichen Abläufen zu spielen, so wie er es beispielsweise bereits bei „Memento“, „Dunkirk“ und „Tenet“ (hier bei Amazon Prime Video im Stream erhältlich) tat. Falls ihr ein wenig verwirrt aus dem Kinosaal gegangen seid, sollte die folgende Übersicht hoffentlich für Klarheit sorgen, denn wir ordnen für euch das Geschehen chronologisch.
Falls ihr jetzt übrigens Lust auf weitere Biopics habt, könnten diese Filme etwas für euch sein:
Studium in Cambridge (1924-1926)
Der Anfang von „Oppenheimer“ spiegelt auch die akademischen Anfänge des späteren Physikers ab: In Cambridge war Patrick Blackett (James D’Arcy) Oppenheimers Tutor, zu dem er eine Hassbeziehung entwickelte. Die Geschichte mit dem vergifteten Apfel soll sich wirklich zugetragen haben, Oppenheimer entging einer Anklage durch den Einsatz seiner (reichen) Eltern. Der junge Student agierte in der Folge aber auf Bewährung in Cambridge und musste zustimmen, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Den Laborgrundkurs, bei dem sich Oppenheimer so dilettantisch anstellte, musste er als Bedingung für seine Aufnahme in Cambridge absolvieren, da seine Stärken in der Theorie lagen und er entsprechende Defizite in der Praxis hatte.
Studium in Göttingen (1926-1927)
In Göttingen, damals einer der führenden Orte in theoretischer Physik, schloss Oppenheimer sein Studium ab, wodurch er 1927 mit 23 Jahren den Doktorgrad innehatte. Zu dieser Zeit lernte er auch den berühmten Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer) kennen.
Vorträge in Leiden (Herbst 1928)
Für kurze Zeit während seiner Beschäftigung in Camebridge und am Caltech hielt Oppenheimer eine Reihe von Vorträge im niederländischen Leiden. Dabei überraschte er die Anwesenden damit, dass er die Lehrstunden tatsächlich auf Niederländisch absolvierte, obwohl er die Sprache noch nicht lange kannte. Aus dieser Zeit stammt sein Spitzname Opje, der im Englischen zu Oppie umgewandelt wurde.
Lehrstuhl in Berkeley (1929-1943)
Seine längste Zeit als Professor verbrachte Oppenheimer an der University of California in Berkeley, wo er unter anderem den Experimental-Physiker Ernest Lawrence (Josh Hartnett) kennenlernte. Mit seiner Tätigkeit dort verhalf Oppenheimer der Quantenphysik in den USA zu mehr Popularität. Auffällig wurde er allerdings auch durch eine „Diskussionsrunde“, der er von 1937 bis 1942 beisaß, was in Wirklichkeit jedoch eine geschlossene und halbwegs geheime Gruppe der Kommunistischen Partei war.
Beziehungen mit Jean Tatlock und Katherine Puening (ab 1936)
1936 lernte Oppenheimer Jean Tatlock (Florence Pugh) kennen, Tochter eines Literaturprofessors in Berkeley und ihrerseits Medizinstudentin in Stanford. Tatlock schrieb zudem für eine Zeitung der Kommunistischen Partei. Sie beendete die stürmische Beziehung 1939.
Im August desselben Jahres lernte Oppenheimer Katherine „Kitty“ Puening (Emily Blunt) kennen, ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei. Obwohl sie zum damaligen Zeitpunkt in dritter Ehe verheiratet war, begann sie eine Affäre mit dem Physiker und verbrachte den Sommer 1940 auf seiner Ranch in New Mexico. Die beiden heirateten am 1. November 1940, nachdem Katherine die Scheidung von ihrem Ehemann eingereicht hatte, da sie von Oppenheimer schwanger war. Ihr erstes Kind, Peter, kam im Mai 1941 zur Welt, ihre Tochter Katherine, genannt Toni, am 7. Dezember 1944 in Los Alamos.
1943 traf Oppenheimer Jean Tatlock erneut. Sie litt an Depression und nahm sich am 4. Januar 1944 das Leben, was Oppenheimer schwer getroffen hat.
Manhattan-Projekt (1942-1945)
Lieutenant General Leslie Groves (Matt Damon) ernennt Oppenheimer zum Leiter des Manhattan-Projektes im September 1942, was damals etliche überraschte. Groves war zwar selbst skeptisch, ob die anderen Physiker Oppenheimer ohne Nobelpreis respektieren würden. Doch er schätzte Oppenheimer wegen dessen Ehrgeiz und seines breiten Interessengebietes, was er beides für das Gelingen des Manhattan-Projektes als elementar ansah.
Der Höhepunkt des Projektes war der Trinity-Test am 16. Juli 1945, als bei Alamogordo in New Mexico die erste Atombombe der Menschheitsgeschichte erfolgreich gezündet wurde. Später behauptete Oppenheimer, dass ihm während der Explosion das berühmte Zitat aus der Bhadgavad Gita, einer heiligen Schrift des Hinduismus in den Kopf kam: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer von Welten.“
Am 6. August 1945 hielt Oppenheimer am Abend des Atombombenabwurfs auf Hiroshima eine Rede an eine Versammlung in Los Alamos. Dabei drückte er unter anderem sein Bedauern aus, dass die Atombombe nicht rechtzeitig fertig wurde, um sie gegen Nazi-Deutschland einzusetzen.
Im Oktober 1945 hatte der Physiker ein Treffen mit US-Präsident Harry S. Truman (Gary Oldman). Dieses nahm jedoch ein abruptes Ende, nachdem Oppenheimer beklagte, er habe das Gefühl, das Blut an seinen Händen klebe. Truman regte sich über diesen Kommentar auf und soll später zu seinem Under Secretary of State gesagt haben: „Ich will diesen Hurensohn nie wieder in diesem Raum sehen.“
Das Ende erklärt: Lewis Strauss holt Oppenheimer nach Princeton (1947)
Zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs akzeptierte J. Robert Oppenheimer das Angebot von Lewis Strauss (Robert Downey Jr.), die Leitung des Institute for Advanced Study in Princeton zu übernehmen. Direkt nach seiner Ankunft ereignet sich in „Oppenheimer“ eine der entscheidendsten Szenen, die erst am Ende aufgelöst wird: Der Titelheld trifft auf Albert Einstein (Tom Conti) und erinnert ihn an ihre Begegnung vor einigen Jahren im Manhattan-Projekt. Damals konfrontierte Oppenheimer den Physik-Veteranen mit der Befürchtung, die Zündung der Atombombe könnte eine Kettenreaktion auslösen, bei der die Atmosphäre der Erde unaufhaltsam zu brennen beginnt. Bei ihrem Wiedersehen in Princeton sagte Oppenheimer einige Jahre später, er fürchtet, dass er tatsächlich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt hat, die die Welt zerstören könnte. Zum Abschluss sehen wir die Vision Oppenheimers, in der die startenden Atomraketen das Ende der Menschheit einläuten. Damit verleiht der Film dem zentralen Konflikt der Hauptfigur Ausdruck: Oppenheimer sah sich gezwungen, die Atombombe zu entwickeln, damit die Nazis sie nicht nutzen können, um die Erde zu vernichten – und befürchtet, dass er selbst dadurch eine Waffe in die Welt gesetzt hat, die irgendwann die Menschheit auslöschen wird, da wir diese Macht nicht richtig verstehen.
Einsteins betroffenes Gesicht nach diesem Gespräch missinterpretiert Strauss im Film und glaubt, Oppenheimer habe den Physiker gegen ihn aufgewiegelt, wodurch der Grundstein für Strauss‘ Vendetta gegen den Protagonisten gelegt ist.
Oppenheimer blamiert Strauss (1949)
Das nächste wichtige Ereignis in der Fehde Oppenheimer-Strauss ereignet sich zwei Jahre später: Vor dem US-Kongress hatte Hobby-Physiker Strauss seine Bedenken geäußert, radioaktive Isotope an andere Länder zu exportieren. Oppenheimer machte sich darüber lustig, indem er meinte, diese Isotope seien weniger wichtig als elektronische Geräte, aber immerhin wichtiger als Vitamine.
Erster Atombombentest der Sowjetunion (August 1949)
Auch in puncto Wasserstoffbombe gingen die Meinungen von Strauss und Oppenheimer auseinander. Oppenheimer trat nach dem Zweiten Weltkrieg als Mahner von nuklearen Waffen auf und fürchtete, dass die mächtigeren Wasserstoffbomben dazu eingesetzt werden könnten, ganze Millionenstädte zu vernichten. Der Konflikt brodelte erneut auf, als die Sowjetunion im August 1949 ihre erste Atombombe testete. Auf der Suche nach einer möglichen Antwort und um wieder die Nase im atomaren Wettrennen vorne zu haben, diskutierten Oppenheimer und Strauss angeregt über die Möglichkeit, Wasserstoffbomben zu bauen.
Sicherheitsanhörung (1953-1954)
Auszüge aus dieser Epoche in Oppenheimers Leben werden als eine von zwei Zeitebenen in Christopher Nolans Film wiederholt zwischengeschnitten: Im Zuge der McCarthy-Ära, bei der echte oder vermeintliche Kommunist*innen in den USA auch mit der Hilfe des FBI vehement verfolgt wurden, wurde auch J. Robert Oppenheimer zur Zielscheibe. Ausgelöst wurde die Sicherheitsanhörung hinter verschlossenen Türen am 7. November 1953 durch William Liscum Borden (David Dastmalchian), früherer Executive Director des United States Congress Joint Committee of Atomic Energy. In einem Brief an FBI-Direktor J. Edgar Hoover hatte er behauptet, Oppenheimer sei wahrscheinlich ein Agent der Sowjetunion.
Am 21. Dezember 1953 informierte Strauss Oppenheimer, dass seine Sicherheitsfreigabe aufgehoben worden sei, wodurch der Physiker eine Sicherheitsanhörung einforderte. Einer der zentralen Aspekte der Anhörung war die laut Oppenheimer von ihm gegenüber Boris Pash (Casey Affleck) in einer früheren Aussage erfundene Geschichte, George Eltenton (Guy Burnet) habe in Los Alamos mehrere Wissenschaftler kontaktiert. Eltenton hatte nach eigenen Angaben wiederum Wege, um Informationen in die Sowjetunion weiterzuleiten, was Oppenheimer angeblich durch seinen Freund Haakon Chevalier (Jefferson Hall) mitgeteilt wurde. Dadurch kam der unschöne Verdacht auf, Oppenheimer habe den Weg bereitet, dass Erkenntnisse aus dem Manhattan-Projekt in die Sowjetunion gelangten.
Zum Verhängnis wurde Oppenheimer auch die Aussage seines Kollegen Edward Teller (Benny Safdie). Dieser zweifelte zwar nicht an Oppenheimers Loyalität zu den USA, äußerte aber dennoch Bedenken hinsichtlich dessen Sicherheitsfreigabe, da Teller seine Ansichten in etlichen Punkten – unter anderem der Wasserstoffbombe –nicht nachvollziehen könne und diese nicht im Interesse des Landes seien.
Oppenheimers Sicherheitsfreigabe wurde letztlich einen Tag vor Ablauf zurückgezogen, da man Oppenheimer auch aufgrund seines Verhaltens während der Anhörung als instabil und mögliches Sicherheitsrisiko betrachtete. Oppenheimer verlor dadurch seinen Einfluss auf die Atompolitik der USA, zudem wurde sein öffentliches Ansehen beschädigt.
Strauss scheitert in Senatsabstimmung (1959)
Die zweite Zeitebene, die in „Oppenheimer“ immer wieder zwischendurch gezeigt wird, fällt vor allem durch die Schwarz-Weiß-Szenen auf (deren Bedeutung hat Christopher Nolan hier erklärt). Präsident Robert D. Eisenhower nominierte 1958 Lewis Strauss als Wirtschaftsminister, jedoch scheiterte dieser ein Jahr nach der durch Eisenhower gewonnen Wahl, da der US-Senat Strauss‘ Ernennung blockierte. Diese Senatsanhörung sehen wir vor allem aus der Sicht von Strauss, dessen persönliche Vendetta gegen Oppenheimer und seine Orchestrierung der Sicherheitsanhörung gegen ihn zuvor hier offengelegt wird. Tatsächlich machten etliche hochrangige Wissenschaftler wegen seines Umgangs mit Oppenheimer gegen Strauss Stimmung während der Senatsanhörung.
Oppenheimer wird vom US-Präsidenten ausgezeichnet (1963)
Eine Art Rehabilitation erfuhr Oppenheimer durch US-Präsident John F. Kennedy, der ihn 1963 mit dem Enrico-Fermi-Preis auszeichnete. Dieser wird an Personen verliehen, die sich bei der Entwicklung, Nutzung oder Kontrolle der Kernenergie verdient gemacht haben.