2017 ging ein gewaltiger Ruck durch Hollywood. Die Debatten um #metoo und #timesup werden die Traumfabrik noch lange beschäftigen. Was bedeutet das für die Oscars?
Es ist viel passiert im Hollywood des letzten Jahres: Nachdem jahrzehntelange sexuelle Übergriffe von Harvey Weinstein endlich ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurden, begann ein beispielloser Absturz des einst übermächtigen Produzenten. Sein Fall ermutigte unzählige Frauen und einige Männer nicht nur aus der Unterhaltungsbranche, ihre eigenen Erlebnisse mit sexuellem Missbrauch unter dem Twitter-Hashtag #metoo zu offenbaren. So wurde und wird immer deutlicher, welche verheerenden strukturellen Missstände in den Hierarchien des vermeintlich schöngeistigen Hollywood herrschen. Doch wie geht eine Industrie, deren wertvollste Währung die Bewunderung von Millionen Menschen weltweit ist, mit einer solchen Krise um? Bald wird mit den 90sten Academy Awards erneut der wichtigste Filmpreis verliehen und Hollywood wird zeigen müssen, dass es nicht nur Grund zum (sich) feiern gibt.
Wandelt sich Hollywood selbst?
Einer dem Ausmaß der Machtmissverhältnisse angemessene Selbstheilung Hollywoods stehen einige Hindernisse im Wege: Zum einen wird die Justiz Jahre brauchen, um die jetzt anhängigen Verfahren abzuschließen, sofern Klage erhoben wurde. Das aber dürfte in der weitaus kurzlebigeren Aufmerksamkeitsökonomie von Twitter und Facebook zu lange sein, um dem aktuellen Druck der Öffentlichkeit nicht jegliches Momentum zu nehmen. Zum anderen fanden sich wenig überraschend binnen kürzester Zeit bereits die ersten Antipoden zu #metoo, die der Debatte entweder mit der Bagatellisierung sexueller Gewalt oder der Warnung vor einer „Hexenjagd“ schaden wollen – sei es, weil sie den Opfern nicht glauben wollen oder absurderweise fürchten, alles Romantische würde nun durch übereifrige politisch Korrekte aus der Welt getrieben.
Wenn #metoo und timesup nicht als Strohfeuer in Erinnerung bleiben sollen, ist es an der Academy, den Preisträgerinnen, Preisträgern und Jimmy Kimmel, bei den Oscars 2018 nicht so zu tun, als wäre alles in Ordnung in Hollywood. Es gilt also, die aktuelle Öffentlichkeitswirksamkeit der Ungleichheiten nicht im Sande verlaufen zu lassen. Die Oscar-Verleihung 2018 wäre mit erwarteten 800 Millionen Zuschauern eine opportune Bühne für die Academy, um einerseits zu zeigen, dass man Machtmissbrauch nicht dulden wird, aber auch abseits von Ächtung und Häme ein zukunftsbejahendes Bild von der Traumfabrik vermittelt.
Von Weinstein zu #metoo und „Time’s Up“ – was ist von den Oscars 2018 zu erwarten?
Die Golden Globes waren auch dieses Jahr wieder in vielen Hinsichten Generalprobe und Stimmungsbarometer für die Oscars. Jimmy Kimmel, Moderator der Oscars 2018, dürfte sich die Arbeit von Golden-Globe-Moderator Seth Meyers ganz genau angesehen haben. Meyers nahm sich durchaus einige böse Scherze über Harvey Weinstein und Kevin Spacey heraus, doch das Ruder hatte an jenem Abend „Time’s Up“ („die Zeit ist um“). Die Kampagne koordinierte, dass alle Frauen in Solidarität schwarz trugen, und keine Rednerin oder Preisträgerin ließ es sich bei den Golden Globes nehmen, für die gemeinsame Sache zu sprechen. Zwar trugen auch die meisten Männer schwarz oder einen „Time’s Up“-Pin am Revers, doch am Mikrofon ließ sich keiner zu jeglichen Solidaritätsbekundungen hinreißen. Es ist zu hoffen, dass die männlichen Filmstars bei den Oscars aus der Deckung kommen, um ihre Unterstützung bei der Reform Hollywoods zu versichern und der Bewegung etwas beizusteuern – auch wenn die Golden Globes als voller Erfolg für „Time’s Up“ gesehen werden, kam das Schweigen der Männer nicht ganz so golden an.
Die Oscars 2018 werden aller Wahrscheinlichkeit nach politisch wie nie, diesmal steht der eigene Ruf mehr denn je auf dem Spiel. Jimmy Kimmel wird neben bissigen Scherzen auch ernste Töne einschlagen, doch es wird nicht nur an ihm liegen, der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass die Academy aus der Krise findet. Auch bei den Nominierungen und Preisträgern könnte sich noch einiges zugunsten Hollywoods Frauen verschieben, die bei den Golden Globes noch nicht berücksichtigt wurden. Bricht nach Harvey Weinstein eine neue Ära in Hollywood an? Der Zeitgeist scheint es zu wollen. Es wird sich zeigen, ob das Momentum anhält.