Die Dame in Rosa ist nur zufällig im Krankenhaus, als sie über den schwer kranken Oskar stolpert. Doch dieses Zusammentreffen scheint vom Schicksal so vorgesehen zu sein. Rose, einer magischen Mary Poppins gleich, erfindet für den Jungen die tollsten Geschichten und Spiele, lässt ihn zu tiefen Erkenntnissen gelangen, glättet das angespannte Verhältnis zu den Eltern und nimmt ihm die Furcht vor dem Tod. Auch die schlagfertige und toughe Frau verändert sich fast unfreiwillig und entdeckt wieder ihre gefühlvolle Seite. Mit besonderer Eleganz und Leichtigkeit setzt diese Literaturverfilmung dramatische Themen um Liebe, Tod, Verlust und Glauben fesselnd und ergreifend um. Die originelle und faszinierende Ästhetik sowie die detailreiche Ausstattung sind zeitlos. Gefühlvolles Kino, poetisch-philosophisch mit verzaubernder Leinwandmagie!
Jurybegründung:
Nach dem erfolgreichen Kinderbuch und einigen Theaterinszenierungen folgt nun die Verfilmung der tragischen, aber dennoch wunderbar-schönen Geschichte über den kleinen Oskar. Die altertümliche Klinik des Prof. Düsseldorf ähnelt gewissermaßen einem ‚Zauberberg‘ für Kinderpatienten.
Eingeführt wird die Figur des kleinen Oskar mit simplen Schülerstreichen, die ihm angelastet werden; aber Bestrafung hat er nicht zu befürchten. Schnell wird klar, dass er todgeweiht ist. Eine elegante Dame in Rosa (eindrucksvoll gespielt von Michéle Laroque) stößt zufällig im Treppenhaus mit Oskar zusammen. Sie begegnet ihm zwar rüde, derb und drohend, aber eben auch herzerfrischend schlagfertig, witzig und ohne falsches Mitleid. Oskar ist fasziniert und will sie wiedersehen.
Nachdem die Geschichte einmal in Gang gesetzt ist, verliert sie nicht mehr an Fahrt, sondern spielt in wenigen Tagen ein ganzes Menschenleben durch. Oskar durchläuft metaphorisch alle Lebensstationen (Kindheit, Adoleszenz, Erwachsenenalter und ‚Ruhestand‘); er hat seine Midlife Crisis, reift aus und ein milder Herbst geht in den finalen Winter über. Selbst tiefe Einsichten in die Geheimnisse der Natur und des Lebens werden ihm zuteil. Auf diesem Lebensweg kann er sich einerseits mit der Dame in Rosa anfreunden und gut verständigen, andererseits wird er von ihr motiviert, seine Gedanken und Wünsche auch an ‚Gott‘ zu richten, das heißt, an einen absolut vertrauenswürdigen Adressaten, an eine überirdische Instanz. Oskar schreibt also ‚Briefe an Gott‘ und hat bei diesem fiktiven Modell täglich einen Wunsch frei - aber nur für geistige Ziele. Dieses Paradigma eröffnet nicht nur einen idealen dramaturgischen Spielraum, sondern ist auch visuell sehr ergiebig, wenn beispielsweise die Wunschbriefe per Luftballon in den Himmel steigen. Ernste Themen wie Krankheit und Tod werden mitunter sentimental sehr hoch getrieben, aber immer angemessen behandelt. Zuweilen werden philosophische Deutungen angestrebt - es wird z. B. der Tod als das Unbekannte, auf das man neugierig sein kann, angesprochen oder die Einsicht vermittelt, dass sich Leid im Leben nicht vermeiden lässt.
In solchen Diskurskurven bestehen erhebliche Risiken des Scheiterns. Im Genre der Romanze ist es zwar durchaus legitim, dem Kitsch nahezukommen oder sogar temporär darin einzutauchen, man darf jedoch darin nicht steckenbleiben oder darin enden. Auch kann bekanntlich das Erhabene leicht ins Lächerliche umschlagen. Eric-Emmanuel Schmitt hat diese Schwierigkeiten gut gemeistert. Er verfügt offenbar über die nötige Souveränität und Nonchalance. Es werden von ihm auch genügend Gegengewichte aufgeboten bzw. kompensatorische Akzente gesetzt. Zum Austarieren der komplexen ästhetischen (und emotionalen) Gemengelage eignen sich nicht nur klassische Musik und elegante oder edle Charaktere (wie Prof. Düsseldorf), sondern sogar Ikonen der trivialen Massenkultur (wie eben Catcherinnen oder kampftaugliche Balletteusen) bereichern das Spiel.
Die Jury würdigte insbesondere die gelungene Besetzung, die großartige Musik und die ideenreiche Ausstattung. Die ‚wunderbare Welt des kleinen Oskar‘ wirkte mit ihrer Kombination von schweren Themen und Leichtigkeit im fiktionalen Spiel sehr stimmig und anregend. Einstimmig votierte die Jury für das höchste Prädikat.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)