Vorzüglich gespieltes und glaubwürdig erzähltes Jugenddrama mit Emma Bading als 17-Jährige, die sich in der Welt eines Fantasy-Spiels verliert.
Vor drei Jahren hat die ARD den Film „Das weiße Kaninchen“ gezeigt, ein clever konstruiertes Krimidrama über düstere Verführer und die Abgründe, die im Internet lauern: Ein erwachsener Mann erschleicht sich auf perfide Weise in einem Chat das Vertrauen einer Dreizehnjährigen. In „Play“ (BR) geht es um ein ungleich alltäglicheres Phänomen: Ein Mädchen verliert sich in der virtuellen Welt eines Computerspiels. Philip Koch, der das Drehbuch gemeinsam mit Produzent Hamid Baroua geschrieben hat, konzentriert sich fast ausschließlich auf die zentrale Figur, sodass Hauptdarstellerin Emma Bading in jeder Szene präsent ist. Das ist ebenso mutig wie der Entwurf dieser Rolle: Jennifer ist 17, keine Schulhofschönheit und nicht besonders selbstbewusst. Das ändert sich grundlegend, als sie auf Avalonia stößt.
In der virtuellen Realität des Online-Spiels erschaffen die Teilnehmer einen Avatar, also ein virtuelles Alter Ego, und bestreiten Kämpfe in einer Fantasy-Welt. Dank VR-Brille fühlt sich das zweite Leben fast so echt an wie die Wirklichkeit, in der sich Jennifer immer weniger zurechtfindet. Es kommt, wie es kommen muss: Ihre schulischen Leistungen lassen rapide nach, sie hat immer öfter Ärger mit ihren Eltern (Oliver Masucci, Victoria Mayer) und denkt sich ständig neue Raffinessen aus, um das Computerverbot zu umgehen. Als der Vater schließlich ausgerechnet unmittelbar vor dem Erreichen des höchsten Levels den Stecker zieht, verschwimmen für Jennifer endgültig die Grenzen zwischen virtueller Realität und Wirklichkeit. Es gelingt ihr tatsächlich, ihren übermächtigen Widersacher aus dem Spiel doch noch zu besiegen; aber zu einem beinahe tödlichen Preis.
Philip Koch gehört zu den wenigen Regisseuren, die sich den Elan und den Mut ihrer Anfangsjahre bewahrt haben; den meisten werden die Ideale im Fernsehalltag ausgetrieben. Kochs Debüt, „Picco“ (2011), war ein grausamer Gefängnisfilm, in der Satire „Outside the Box“ (2016) lief ein Wochenendseminar grotesk aus dem Ruder. Seither hat er vier „Tatort“-Beiträge gedreht, die völlig unterschiedlich, aber ausnahmslos sehenswert waren, darunter ein spritziger Krimi aus dem Münchener Porno-Milieu („Hardcore“, 2017) sowie ein Thriller aus Bremen („Blut“, 2018), in dem eine junge Vampirin ihre Mitbürger meuchelt. „Play“ ist in praktisch jeder Hinsicht erneut ein völlig anderer Film, zumal die Handlung immer wieder in die virtuelle Realität wechselt.
Die entsprechenden Bilder mögen nicht die Qualität großer Hollywood-Produktionen haben, weil das Budget eines Fernsehfilms im Vergleich lächerlich winzig ist, aber sie sind durchaus eindrucksvoll. Dank eines simplen Kniffs lässt sich außerdem unmittelbar nachvollziehen, warum Jennifer die Elbenwelt der Wirklichkeit vorzieht: Während Koch und der erfahrene Kameramann Alexander Fischerkoesen den Alltag in eine kühle dunkle Atmosphäre getaucht haben, sodass selbst Sonnenschein keine echte Wärme aufkommen lässt, erstrahlt Avalonia in satten, hellen und freundlichen Farben.
Neben der Arbeit mit seiner jungen Hauptdarstellerin, die ihr großes Talent unter anderem in den „Usedom-Krimis“ gezeigt hat, liegt das größte Verdienst des Regisseurs womöglich im Verzicht auf jegliche Didaktik. Die Botschaft von „Play“ ist offenkundig, aber Koch verhehlt keineswegs, welche Magie von solchen Spielen ausgehen kann. Höhepunkt ist die Verschmelzung beider Welten, als sich Jenny und ihr Avatar von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und für den vermutlich ungewöhnlichsten Kuss der Fernsehfilmgeschichte sorgen. tpg.