Es gibt für Zev eigentlich nichts mehr, für das es sich zu leben lohnt. Vor kurzem starb seine geliebte Frau und seine fortschreitende Demenz raubt ihm mehr und mehr die Erinnerung. Dann wird er von seinem alten Freund Max an einen ungeheuerlichen Plan erinnert, den die beiden gemeinsam geschmiedet haben: Max hat einen ehemaligen KZ-Aufseher gefunden, der in den USA unter falscher Identität lebt. Und Max will Rache. Genau wie Zev, der sich entscheidet, loszuziehen, um diese Rache selbst zu vollstrecken. Trotz seiner Verfassung unternimmt er die anstrengende Reise quer durchs Land. Denn er hat einen Wunsch: Dem Mann in die Augen zu sehen, der so viele Leben auf dem Gewissen hat. Und dann Vergeltung zu üben. In seinem neuen Film verhandelt der Regisseur Atom Egoyan die Themen Schuld, Vergeltung, Vergessen und Verdrängung. Erneut arbeitet er dabei mit Christopher Plummer zusammen, der die Rolle des Zev mit beeindruckender Intensität erfüllt. Ein Mann am Ende seines Lebens, der alles, was er liebte, bereits verloren hat und sich nun ohne Rücksicht auf Konsequenzen auf die letzte entscheidende Reise macht. Plummer agiert glaubwürdig, natürlich, berührend und authentisch. Das Krankheitsbild der Demenz macht er spürbar, aber nie plakativ. Das Entsetzen des Holocaust, die niemals heilenden Wunden der Überlebenden und die ambivalente Reue der Täter - das alles erzählt Egoyan, ohne es mit moralischem Zeigefinger in den Vordergrund zu schieben. Das Ensemble ist mit Bruno Ganz, Martin Landau und Jürgen Prochnow hochkarätig besetzt. Am Ende des Films erhält die spannende Geschichte noch eine letzte Wendung, die den Zuschauer fassungslos zurücklässt. Auch dadurch ist REMEMBER gelungenes Genre-Kino, das die Standards gut einzusetzen weiß und außerdem mit ihnen spielt. Ein bewegender und überzeugender Film über Rache und Vergebung. Und über das langsame Vergessen, das ein ganzes Leben auslöschen kann.
Jurybegründung:
Von einer späten Rache unter erschwerten Bedingungen erzählt Atom Egoyan in seinem neuen Film REMEMBER, der auf verschiedenen Ebenen das Vergessen und das Erinnern verhandelt: Zev Guttmann leider unter Demenz. Nach dem Tod seiner Frau fragt er beständig immer wieder nach deren Verbleib und muss immer wieder erfahren, dass diese vor kurzem gestorben ist. Doch sie hat ihm eine Aufgabe hinterlassen: Er soll, so berichtet ihm sein Freund und Altersheim-Wohngenosse Max, jenen Mann aufspüren, der Max‘ und Zevs Familie in Auschwitz ermordete. Vier Männer sind es, die dafür in Frage kommen und trotz seiner Erkrankung gelingt es Zev, nacheinander alle Kandidaten aufzuspüren - doch am Ende wartet eine unvermutete Wendung auf ihn.
Ein Detektiv mit Demenz, das sieht man wahrlich nicht alle Tage, gilt doch ein scharfer Verstand als unerlässliche Vorbedingung für eine erfolgreiche Verbrecherjagd. Das Experiment aber, das Atom Egoyan hier mit seinem Protagonisten vollführt, gelingt teilweise: Wer sich ein klein wenig mit dem Krankheitsverlauf einer Demenz auskennt, zweifelt möglicherweise daran, dass Zev diese Reise wirklich so ausführen kann, wie es gezeigt wird. So kann der Verdacht entstehen, dass die behauptete und von Christopher Plummer im Rahmen der Drehbuchvorgaben gut umgesetzte Erkrankung vor allem als Vehikel für Drehbuchvolten und einen finalen Twist dient, die man sonst eventuell nicht akzeptiert hätte. Zudem wird im Lauf des Films schnell klar, dass Zev natürlich alle vier Kandidaten wird abklappern müssen, um am Ende der Wahrheit (auch über sich selbst) nahe zu kommen. Dies nimmt dem Thriller nach Ansicht der Jury einiges von seiner Spannung.
Hinzu kommen teilweise recht simple Figurenzeichnungen: Da ist beispielsweise der Sohn eines vor kurzem verstorbenen Verdächtigen, der selbst als lupenreiner Neonazi durchgehen könnte: Die Devotionalien des Dritten Reichs liegen griffbereit, so dass Zev sich bereits am Ziel wähnt, im Hintergrund bellt der Deutsche Schäferhund namens Eva und der Mann ist als State Trooper beschäftigt. In seinem Willen, ein gut konstruiertes Drehbuch vorzulegen, verheddert sich Egoyan an manchen Stellen in Unglaubwürdigkeiten und Widersprüche
Dennoch versteht Egoyan natürlich nach wie vor sein Handwerk bestens: Die Maskenbildner leisten ganze Arbeit, die Kamera und der Schnitt machen das Beste aus der Vorlage, so dass REMEMBER auf angenehm zurückhaltende Weise unterhält und zum Nachdenken über Erinnern und Vergessen anregt. Auf diese Weise markiert REMEMBER einen interessanten Ansatz, der aber nach Ansicht der Jury vielleicht nicht ganz das einhält, was er verspricht.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)