Nadrensee, Mecklenburg-Vorpommern. Es ist der 29. Juni 1992. Auf einem Maisfeld werden zwei rumänische Staatsbürger, Eudache Calderar und Grigore Velcu, von Jägern erschossen. Ein Unfall, heißt es. Der Prozess ist langwierig, am Ende werden die zwei Schützen freigesprochen. Die Familien der Opfer erfahren davon nichts. Sie bekommen nur die Nachricht, dass der Mann bzw. der Vater tot ist. Zwanzig Jahre später macht sich der Filmemacher Philip Scheffner auf und besucht die Familien der Männer. Für sie ist es das erste Mal, dass sich jemand für ihre Sicht der Dinge interessiert, für ihre Geschichte und ihr Schicksal. Scheffner lässt den Befragten die Zeit, ihre Wut, ihre Trauer und die ganzen Zweifel an den Abläufen in Deutschland laut auszusprechen. Zusätzlich begibt sich Scheffner auf Spurensuche, er rekonstruiert die Geschehnisse und hinterfragt amtliche Gutachten und Rechtssprüche. An dem Urteil wird dieser sorgfältig recherchierte und mit großer Ruhe fürs Detail erzählte Dokumentarfilm nichts ändern. Doch er lässt Raum für Fragen, regt zum Weiterdenken an und gibt den Hinterbliebenen den Respekt, den sie verdienen. Eine hochintelligente Studie über die Anfänge und die großen Probleme eines Europas nach der Wende.
Jurybegründung:
Am 29. Juni 1992 werden zwei rumänische Roma erschossen auf einem Getreidefeld unweit der deutsch-polnischen Grenze aufgefunden.
REVISION ist die dokumentarische Rekonstruktion des Vorfalls, der als Jagdunfall behandelt und abgelegt wird. Die beteiligten Jäger werden nach Jahren freigesprochen. Ein Fall, den der Film REVISION zu einem düsteren Menetekel macht. Die Autoren hinterfragen mit ihm gleichsam den ethischen Kanon unserer Gesellschaft, unser Grundverständnis von Menschlichkeit, Mitleiden und Solidarität. Ein Justizskandal schimmert durch die Jahre, ein Bodensatz von Ungeist und Fremdenphobie wird entblößt.
REVISION bekennt sich als investigativer Dokumentarfilm, der mit Akribie versucht, die Ungereimtheiten der offiziellen Version offenzulegen und der dem Schmerz der Opferfamilien eine Stimme und eine Erinnerung geben will. Eine Trauerarbeit als filmdokumentarisches Mahnmal.
Erstaunlich, wie der Film zusehends die Dimensionen seines Falls erweitert und zuspitzt, wie er von Minute zu Minute an Vielschichtigkeit und Komplexität gewinnt. Er gleicht einem Sog, der den Zuschauer immer stärker in seinen Bann zieht. Regisseur Philip Scheffner fixiert zugleich als kontinuierliches Stilprinzip das komplexe Spannungsverhältnis zwischen dem Sprechenden und dem Zuhörenden. Die Protagonisten werden mit ihrer eigenen erzählten Erinnerung konfrontiert.
Die Erinnerung wird angehalten, kommentiert oder berichtigt. Wir sind als Zuschauer beteiligt an einer Revision des Gesagten. Dieses ästhetische Prinzip der Brechung und Verfremdung macht REVISION nicht nur wegen seines Themas zu einem eigenwilligen Sonderfall des aktuellen deutschen Dokumentarfilms.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)