FBW-Pressetext:
In den 1980er Jahren kommt Giwar Hajabi als kleiner Junge mit seiner Familie nach Bonn. Die Mutter muss putzen gehen, der Vater arbeitet ebenso hart, um als Komponist in Deutschland anerkannt zu werden. Giwar wächst in einer Gegend auf, in der er lernen muss, sich zu behaupten. Über kleinkriminelle Jobs findet er seinen Weg in die Rapper-Szene und gibt sich ab diesem Moment den Namen, der ihn bald zur Berühmtheit machen wird: Xatar. Doch die Aufträge, die er erledigen muss, werden immer gefährlicher. Und Xatar und seine Freunde dabei immer unvorsichtiger.
Der neue Film in der Regie von Fatih Akin (auch Drehbuch) basiert auf den autobiografischen Erinnerungen des Rappers Xatar und nimmt sich die künstlerische Freiheit, die Handlungsstränge an manchen Stellen dramatisch zu überhöhen. Genau das macht den großen Unterhaltungswert dieser „fiktiven Biographie“ aus, die dennoch immer authentisch wirkt und ihr Erdung vor allem durch das phänomenale Spiel des Hauptdarstellers Emilio Sakraya erhält, der mit dem porträtierten Xatar verschmilzt und trotz der nach außen getragenen Härte immer auch das verletzliche Flüchtlingskind Giwar durchscheinen lässt, das als Jugendlicher kongenial von Ilyes Raoul verkörpert wird. Dass der Film als Thriller und Gangsterfilm funktioniert, liegt auch an dem Können des Teams, die Spannung geschickt aufzubauen, sowohl im Drehbuch als auch in der exzellenten Montage und Kameraarbeit. Durch das Einbauen von Momenten des Scheiterns wird Xatar, der seine Coolness wie ein Schutzschild vor sich herträgt, zu einer menschlichen Figur, der man mit Empathie durch die Geschichte seines Lebens folgen kann. Die Beats des passenden Soundtracks sind treibend, bei der Sprache der Jugendlichen untereinander wird auf „street credibility“ geachtet, ohne anbiedernd zu wirken. Die komplexen familiären Verhältnisse, die Trennung der Eltern, das Hadern mit den Erwartungen, das Fremdsein in dem neuen Zuhause: auf all das geht Akin ein und erzählt damit mehr als „nur“ die starke und manchmal märchenhaft wirkende Geschichte eines einzelnen Protagonisten. Akin erzählt eine Geschichte über Migrant:innen der zweiten Generation, die sich einen Platz in der Gesellschaft suchen müssen - irgendwo zwischen den mitgebrachten traditionellen Wurzeln und dem Beat einer neuen Zeit. Genau das macht RHEINGOLD zu einer im besten Sinne „deutschen Geschichte“.
FBW-Jury-Begründung:
RHEINGOLD ist ein deutscher Film. Auch - oder vielleicht auch gerade weil er von dem Kind iranisch/kurdischer Flüchtlinge erzählt und von dem Sohn türkischer Gastarbeiter inszeniert wurde. Darum ergibt es zweifelsohne Sinn, hier den urdeutschen Mythos vom im Rhein versenkten Gold neu zu erzählen. Der Protagonist Giwar, der sich später den Künstlernamen Xatar geben wird, wächst als Sohn eines berühmten kurdischen Komponisten in Bonn auf und würde am liebsten auch Musik machen. Doch unter Jugendlichen aus dem Migranten-Milieu weht ein anderer Wind und Xatar nimmt Kampfunterricht bei einem kampfbewährten Verehrer seines Vaters. Bald lebt Xatar in zwei Welten: der Musik und der organisierten Kriminalität. Wie er diese schließlich zusammenführt - als Höhepunkt gipfelnd im Überfall eines Goldtransporters - und als Rapper reich und berühmt wird, davon erzählt dieser Film. Wie bei seinen ersten Filmen lässt sich Fatih Akin hier wieder von seinem großen Vorbild Martin Scorsese inspirieren. Damals war Hamburg-Altona Akins Bronx, jetzt zeichnet er ein ähnlich episches Gangster- und Gesellschaftspanorama wie Scorsese in Filmen wie CASINO. Virtuos spielt Akin hier mit verschiedenen Stimmungen und Erzählweisen. Es gibt actionlastige Gewalt - aber auch sensibel inszenierte Familienszenen. Mal schockiert der Film, mal ist er komisch, naturalistisch und dann wieder mystisch überhöht. Fatih Akin spielt grandios und unglaublich inspiriert mit diesen vielen Stilmitteln des Unterhaltungskinos. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass er hier eine Variation seiner eigenen Lebensgeschichte erzählen kann: die des Kindes mit Migrationshintergrund in Deutschland, das zu einem Künstler wird. Dabei überrascht, wie distanziert Akin dann doch diese Erfolgsgeschichte präsentiert. Dies mag auch damit zu tun haben, dass Akin hier Xatars Autobiografie adaptiert hat, und dabei, wie bei allen Memoiren, Fakt und Fiktion kaum auseinanderzuhalten sind. RHEINGOLD hat nichts von dem Machopathos, der sonst mit Geschichten aus dem Rapper-Milieu assoziiert wird. Und Emilio Sakraya spielt Xatar auch nicht als einen coolen Erfolgsmenschen mit „Gangsta“-Attitüde, sondern als eine ambivalente Figur, bei der etwa auffällt, dass sie sich immer wieder Ersatzväter sucht, weil der eigene Vater die Familie früh verlassen hat. RHEINGOLD ist auch deshalb einer der persönlichsten Filme von Fatih Akin, weil er hier seine Liebe zur Musik voll ins Kraut schießen lassen kann. Wo, wie und unter welchen Bedingungen Musik gemacht wird, ist ihm mindestens genauso wichtig wie die diversen kriminellen Aktivitäten seines Protagonisten. In einer der besten, witzigsten und nebenbei auch informativsten Sequenzen des Films (hier kann man viel über das Entstehen von Musik lernen) wird gezeigt, wie Xatar im wahrsten Sinne des Wortes „verdeckt“ im Gefängnis die selbstgeschriebenen Zeilen für seine erste CD aufnimmt. Daneben werden klassische und kurdische Musik ebenso intensiv eingewoben, und in einer der (zumindest für Musiker:innen) erschreckendsten Sequenzen des Films wird von Khomeinis Revolutionsgarden bei einer Konzertaufführung eine Musikerin erschossen und Instrumente zerbrochen. Und so wie der Film beginnt, so endet er auch: Mit einer Geschichte, einem Mythos. Denn das Gold vom Überfall auf den Transporter ist bis heute verschwunden, aber gefunden hat Xatar dafür sein eigenes Gold: eine Kunst, mit der er Menschen begeistern kann. Und auch da kann Fatih Akin wieder ein wenig von sich selber erzählen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)