Es sind nur 9 Quardratmeter, die der fünfjährige Jack in seinem bisherigen Leben kennengelernt hat. Ein einziger Raum, mit einem Bett, einer Badewanne, einer kleinen Küchenzeile, einem Fernseher. Außer durch ein kleines Dachfenster kommt kein Licht herein. Doch für Jack ist das nicht so wichtig, denn da draußen gibt es sowieso nur die „Aliens“. Für ihn zählt nur der Raum - und seine Mutter Joy, mit der er glücklich zusammen lebt. Außer nachts. Denn da kommt „Old Nick“ in den Raum, und Jack muss sich im Schrank verstecken. Doch eines Tages entschließt sich seine Mutter, Jack die Wahrheit über die Welt „da draußen“ zu erzählen. Sie sagt, es gäbe sie wirklich. Sie sagt, sie hätte selbst einmal dort gelebt. Und sie schmiedet einen Plan, wie Jack die Welt kennen lernen kann. Doch Jack weiß gar nicht, ob er das will. Denn „Raum“ ist mehr als nur ein Gefängnis. „Raum“ ist auch Zuhause. Mit der Verfilmung des gleichnamigen Erfolgsromans von Emma Donoghue - die auch das Drehbuch schrieb - gelingt Regisseur Lenny Abrahamson das Kunststück, eine Welt voller Emotionen, Erinnerungen und auch dramatischen Entwicklungen in nur einem Raum zu erzeugen. Denn von der ersten Minute an, als Jack das beengte Zimmer durchschreitet, wird mit jedem Gegenstand ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit verknüpft. Dass hier auch mit Leichtigkeit erzählt wird, liegt vor allen Dingen an dem umwerfenden Spiel von Brie Larson und Jacob Tremblay. Larson zeigt die zermürbte Verzweiflung einer jungen Frau, die von einem Monster aus ihrem Leben gerissen wurde und seit sieben Jahren seine Gefangene ist. Doch im Umgang mit Jack, der ihr einziger Lichtblick und emotionaler Halt in einer Welt der Trostlosigkeit ist, schafft sie es, gelöst und liebevoll umzugehen. Sie ist alles, was Jack hat - und umgekehrt. Unglaublich, was Tremblay diesem Spiel entgegensetzt. Völlig glaubwürdig stellt er die pure Unschuld einer zerbrechlichen Kinderseele dar, mit einem entwaffnenden Blick, in dem die Liebe zur Mutter und die Zuversicht liegt, zusammen mit ihr alles schaffen zu können. So gelingt es, die Situation auch für den Zuschauer aufzufangen, mit Leichtigkeit und dem Glauben an das Gute. In wunderschönen stillen Momenten verschmelzen Mutter und Sohn zu einer unzertrennlichen Einheit, die sich nicht ihrem Schicksal ergibt, sondern sich aus den gegebenen Umständen ein eigenes Schicksal schafft. Auch die Nebendarsteller spielen eindrucksvoll und authentisch, vor allem Joan Allen als Joys Mutter, die behutsam versucht, sich ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn zu nähern und dabei selbst die Entführung verarbeiten muss. Dramaturgisch teilt sich der Film auf in die Zeit in und außerhalb des Raums. Als die Flucht nach draußen gelingt, sieht der Zuschauer die Welt mit den Augen eines Fünfjährigen, der sie bisher nur aus dem Fernseher kannte. Farben, Lichter, Bäume, Häuser, Menschen - alles wirkt fremd, wie Aliens eben. Es ist faszinierend, Jack dabei zuzuschauen, wie er dieses Fremde an sich heran und in sich hineinlässt. Kamera, Ton- und Musikebene, die Montage und das gut gewählte Vorstadt-Setting - all die Elemente fügen sich klug und behutsam ineinander, sodass der Zuschauer völlig in die Welt von Joy und Jack eintauchen kann. Das macht RAUM zu einem unglaublich berührenden und meisterlichen Kino-Erlebnis, das sensibel und mit großer Zärtlichkeit erzählt und mit ungeheurer erzählerischer Kraft beeindruckt.
Jurybegründung:
Mit Grausen erinnern wir uns an den Fall Fritzl, der vor einigen Jahren nicht nur Österreich, sondern die ganze Welt erschütterte. Über viele Jahre hatte der Mann seine eigenen Tochter in einen Kellerraum eingesperrt und sich vielfach an ihr vergangen, insgesamt sieben Kinder hatte die junge Frau geboren (von denen vier überlebten), bis das Martyrium ein Ende hatte. Emma Donaghue hat in ihrem Roman „Room“ diesen und andere Fälle aufgegriffen und zu einem beeindruckenden Stück Literatur geformt, was wiederum als Grundlage für Lenny Abrahamsons nicht minder eindrucksvolles Drama diente, das in den USA bereits für Furore sorgte.
Bereits sieben Jahren dauert die Gefangenschaft von Joy (Brie Larson) an, die als Siebzehnjährige von ihrem Peiniger entführt wurde (hier erinnert der Film eher an den ebenfalls in Österreich angesiedelten realen Fall der Natascha Kampusch). Vor fünf Jahren hat sie einen Sohn geboren, Jack (beeindruckend: Jacob Tremblay), der nichts von der Welt kennt außer dem „Raum“, wie er ihn nennt: Keine Welt da draußen, keine Tiere, keine Menschen außer seiner Mutter und dem Entführer, den sie beide nur „Old Nick“ nennen. Wenn der Peiniger zu seinen gelegentlichen Besuchen kommt, muss das Kind in den Schrank, eine Beziehung gibt es nicht zwischen dem Jungen und seinem Vater, der nicht einmal weiß, wie alt sein Sohn ist.
Und so kann der Junge es kaum glauben, dass sich außerhalb dieser vier Wände noch etwas befindet, denn alles, was er davon kennt, ist der Blick in den Himmel (ein Oberlicht lässt etwas Tageslicht in den Raum) und in den Fernseher, von dem Jack aber glaubt, dass alles, was sich darin befindet, nicht „real“ ist. Wie soll er es auch besser wissen? Doch Joys Widerstand ist immer noch nicht gebrochen und so ersinnen die beiden eine List, die sie schließlich in die Freiheit führt.
Ein anderer Filmemacher hätte die tragische und hochspannende Geschichte hier wohl enden lassen, mit einem vermeintlichen Happy End. Nicht aber Lenny Abrahamson, für den der schmerzvolle Weg in die Freiheit, in die Welt, auf gleicher Ebene steht wie die Gefangenschaft selbst. Sein leises und dennoch unglaublich intensives Drama ist voller Interesse und Zärtlichkeit für die beiden tapferen Protagonisten, die um ihren Platz in der Welt kämpfen. Unterstützt von einem exzellenten Drehbuch, zwei herausragend agierenden Hauptdarstellern, einer trotz der Enge der RAUMverhältnisse überaus flexiblen Kamera und einer überaus variablen und einfühlsamen Filmmusik gelingt ihm ein echtes, stets überraschendes und niemals auch nur eine Sekunde langweiliges Meisterwerk, das auf ganzer Linie begeistert und das durch unendlich viele Feinheiten und Nuancen überzeugt. Es ist ein Film, der seine Zuschauer ebenso wie seine Figuren ernst nimmt und der ihnen trotz einer harschen Ausgangssituation letztendlich eine große Freiheit, vielleicht die größte überhaupt - zugesteht: Die Freiheit, die Welt und diesen Film selbst entdecken zu können - in aller Pracht und in jedem Detail. Ein Werk, das einem die Augen öffnet für die Kostbarkeiten des Lebens und dessen Beschränkungen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)