Mit "Room 237", benannt nach dem verfluchten Zimmer des Overlook-Hotels in "The Shining", gelang Regisseur Rodney Ascher einen der kurzweiligsten Dokumentarfilme über Kino überhaupt. Der überraschende Umstand, dass Ascher auf die gewohnten "Taking Heads" verzichtet, ist sowohl seine Stärker als auch seine Schwäche. Äußerst originell begleiten unzählige Filmschnipsel die Aussagen von fünf Cineasten. Die Auswahl reicht natürlich von "Shining"-Material über Zitate aus Kubricks restlichem Werk oder passenden, zeitgleich produzierten Gruselstreifen wie "Creepshow" (von/mit Stephen King) bis hin zu assoziativen Szenen, etwa aus Murnaus "Faust". Gleichsam kann man sich dem Mitraten über die Quellen hingeben, wobei die Auflösung im Nachspann viel zu schnell vorüber rauscht. Das Manko liegt darin, dass man mitunter nie genau weiß, welcher der Journalisten, Wissenschafter und Kubrick-Experten nun gerade spricht, da Ascher keinen Wert auf Einblendungen legt. Dieser Umstand lässt "Room 237" manchmal unnötig verwirrend erscheinen.
Seine sezierende Kubrick-Hommage legt Ascher in neun Kapiteln an. Relativ einleuchtend wirkt die Theorie des Journalisten Bill Blackmore, "The Shining" sei als Kommentar auf die Vertreibung der Indianer durch europäische Siedler gedacht, da das unheimliche Overlook-Hotel im Film einst auf einen alten Indianerfriedhof gebaut wurde. Einige der Belege für diese These wirken allerdings an den Haaren herbei gezogen. Die vielen Märchenmotive, die den Film durchziehen, oder der Kommentar zur Schreibblockade jedes Autoren lassen sich dagegen recht deutlich belegen.
Plausibel erscheint ebenso Geoffrey Cocks Ansatz, "The Shining" ziele auf den jüdischen Genozid und den KZ-Horror ab, da sich Kubricks Beschäftigung mit dem zweiten Weltkrieg durch sein gesamtes Werk zieht. Judy Kearns entwirft eine vollständige Hotel-Topografie und zeigt auf, dass sich die architektonische Logik plötzlich verschiebt: Ohne Schnitt landet der kleine Danny mit seinen Tretauto während der langen Steadycam-Fahrten überraschend im oberen Stockwerk. Andere Ansätze wie die sexualpsychologischen Thesen oder die scheinbar versteckten Hinweise auf die Apollo-11-Mondlandung, die Kubrick angeblich selbst inszenierte, wirken eher unfreiwillig komisch.
Besonders John Fell Ryans Versuch, den Film simultan vorwärts und rückwärts abzuspielen und das Ergebnis übereinander zu legen, funktioniert nicht wirklich. Alle Analysen beziehen sich auf die lange 146/143-Minuten-Fassung, die in die amerikanischen Kinos kam. Dagegen lief in Europa eine gekürzte 113-Minuten-Version, die Kubrick nach dem US-Fehlschlag selbst produzieren ließ und gewissermaßen seinen "Directors Cut" darstellt. Angesichts des Spannungsaufbaus von "The Shining" war diese Entscheidung sicherlich sinnvoll. Viele der interpretierten Sequenzen findet man in der deutschen Fassung daher gar nicht, was besonders auf das mehrfach zitierte Jobinterview von Protagonist Jack Torrance (Jack Nicholson) mit Hotelmanager Hellman (Barry Nelson) im Prolog zutrifft. Deshalb kann man die Erkenntnisse des Vorwärts-Rückwärts-Experiments nicht auf die hiesige Version übertragen.
Zudem mögen die zahlreichen Anschlussfehler keine Absicht des Perfektionisten Kubrick, sondern ihm tatsächlich entgangen sein. Man muss daher nicht alles für bare Münze halten, was "Room 237" an auseinander driftenden Interpretationen vorlegt. Bestens unterhalten kann man sich an diesem cineastischen Puzzlespiel jedoch trotzdem.
Fazit: Mit viel Humor und unzähligen Filmausschnitten bündelt "Room 237" zahlreiche Interpretationen über Stanley Kubricks "The Shining" zu einem amüsanten Plädoyer für die Beschäftigung mit Kino. Manche Analysen wirken allerdings weit hergeholt.