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„Roter Himmel“-Kritik: Christian Petzold lässt den Himmel an der Ostsee brennen

„Roter Himmel“-Kritik: Christian Petzold lässt den Himmel an der Ostsee brennen
© Christian Schulz / Schramm Film

Nach „Undine“ präsentierte Christian Petzold auf der diesjährigen Berlinale den zweiten Film seiner Romantik-Trilogie im Wettbewerb und lässt an der Ostsee den Himmel brennen. „Roter Himmel“ läuft seit dem 20. April in den deutschen Kinos.

Mitten im Nirgendwo steht das Ferienhaus, in dem Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) einen Teil des Sommers verbringen wollen, um dort ihrer kreativen Arbeit nachzugehen. Während Ersterer an seinem neuen Buch mit dem wenig erfolgsversprechenden Titel „Club Sandwich“ weiterschreiben will, hat Felix bei seiner Bewerbungsmappe für die Berliner Universität der Künste etwas mehr Spielraum und geht die Sache entspannter an. Getrübt wird das vermeintlich harmonische Miteinander der beiden Freunde allerdings durch die Saisonarbeiterin Nadja (Paula Beer), die Leon schnell zur ungebetenen Gästin erklärt.

Nadja, die das Haus schon vor der Ankunft der beiden jungen Männer mit Leben gefüllt hat, ist nicht nur stets gut gelaunt, sondern schert sich außerdem nicht über papierdünne Wände, wenn sie nachts Männerbesuch empfängt. Sie scheint Leon dadurch nicht nur den Schlaf, sondern auch sämtliche Arbeitsmoral zu rauben. Doch statt endlich nachzugeben und in der vermeintlichen Idylle dem Offensichtlichen nachzugehen, entsagt Leon dem Sprung ins kühle Nass und frönt lieber dem eigens gewählten Außenseitertum, wenn er in schwarzer Montur die leicht bekleideten Urlauber*innen kontrastiert und am weißen Sandstrand daliegt wie ein falsch positionierter Wellenbrecher, der seinen Einsatz auf ewig verpassen wird.

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Bilder und Musik, die man nicht mehr vergisst: Im Trailer von „Roter Himmel“ lässt sich die drohende Gefahr bereits erahnen.

Nadjas Versuche, die Spaßbremse in die kleine (Ferien-)Hausgemeinschaft zu integrieren, in der mittlerweile auch der Rettungsschwimmer und Liebhaber Devid (Enno Trebs) einen festen Platz gefunden hat, scheitern. Obwohl die Eisverkäuferin längst Leons Interesse geweckt hat und seine Gedanken ganz offensichtlich um sie kreisen, lässt er jeden ihrer Annäherungsversuche ins Leere laufen und beraubt auch das Publikum eines magischen Moments, wenn nachts „das Meer leuchtet“ und Nadja das Phänomen namens Biolumineszenz gerne in Begleitung erlebt hätte. Petzold lässt sie dann aber allein ziehen und wiederholt sie nicht – die Bilder, die im eigenen Kopf längst stattgefunden haben.

Sanfte Warnung aus dem Off

Während sich Nadja also mühevoll an Leon abarbeitet, legt der Regisseur weiterhin seine Fährte, denn zu „Roter Himmel“ gehört eben auch die titelgebende glühende Gefahr, die sich ihren Weg durch die hinterm Strand liegenden Wälder bahnt und im unheilvollen Brummen und Peitschen von Rotorblättern hörbar wird: Die Erde brennt, weshalb Hubschrauber irgendwo bei Ahrenshoop über die Landschaft fegen. So deutlich die akustischen Signale am rot gefärbten Himmel Unheil ankündigen, so sanft tut es der Song „In My Mind“ der österreichischen Band Wallners, den Petzold über entrückt scheinende Momente streift – ein Lied für Verliebte und Liebende, das zum Verführen und Leon zum Einknicken einlädt, so hofft man.

In my mind / In my mind / Love’s gonna make us, gonna make us blind lautet eine Passage, die wie der letzte Vers des später von Nadja rezitierten Heine-Gedichts als leise Warnung verstanden werden kann. So bereiten auch plötzlich in der Luft tanzende Aschepartikel auf das Ende der Idylle vor, die zumindest für Leon nie eine war. Daran ändert auch die Ankunft seines Lektors Helmut (Matthias Brandt) nichts, mit dessen vernichtenden Urteil sich der Schriftsteller längst abgefunden hat, noch bevor es überhaupt gefallen ist. Dass sich Helmut aber gar nicht für „Club Sandwich“, sondern stattdessen nur für Nadja interessiert, sorgt für eine weitere qualvolle Erkenntnis beim sich stets selbst quälenden Schriftsteller.

Zwei Umarmungen für die Ewigkeit

Während das Feuer draußen längst lodert und dabei den Himmel rot färbt, knickt am Ende dann doch noch jemand buchstäblich ein: nicht Leon, dafür aber zuerst Helmut und später auch Nadja; beide Körper geben physischen und psychischen Schmerzen nach, bevor eine Katastrophe den Blick zurück in die Geschichte initiiert: auf Pompeji und zwei Liebende, deren Umarmung im Angesicht des Todes vor rund 2000 Jahren zu einer ewig andauernden wurde. Auch Nadja und Leon blicken als Trauernde auf zwei verkohlte, ineinander verklebte Liebende – eine unausweichliche Tragödie, aus der dann aber doch noch etwas Gutes entspringen soll, wie Matthias Brandts Stimme im Voiceover versöhnlich belegt. Und so fächert sich „Roter Himmel“ zu einer tragisch-schönen Schicksalserzählung auf, in der Petzold den urbanen Raum von „Undine“ verlässt und sein Figurenarsenal inmitten der Natur immer wieder neu anordnet, in ein Verhältnis zueinander setzt und miteinander verschmelzen lässt. Das Ostseebad, im 19. Jahrhundert als Rückzugsort besonders bei Künstler*innen beliebt, bleibt als Schauplatz seltsam unergründet, der Blick auf die malerische Weite des Meers dem Publikum größtenteils verwehrt, immer wieder schaltet der Regisseur die Figuren zwischen und lässt sie beinahe zu allegorischen Gestalten werden, die den Blick auf die unberührte Natur, die es dort längst nicht mehr gibt, unmöglich machen.

Felix‘ Fotografien für seine Bewerbungsmappe zum Thema „Wasser“ mögen diesen Umstand ins Gegenteil kehren: Die Kunst gibt den Blick wieder frei auf die Natur. In einer Art Triptychon porträtiert er Menschen, die aufs Meer blicken: zeigt sie einmal von hinten, einmal von vorne und stiehlt fremde Blicke, indem er sich an ihren Standpunkt stellt und auf den Auslöser drückt. Bei Nadja aber fehlt das Porträt, sie bleibt im Gegensatz zu Thomas Schuberts klar gezeichneter Figur unergründlich(er), was Erinnerungen an „Undine“ weckt, dem ersten Teil der geplanten Trilogie. Hier verkörpert Paula Beer den titelgebenden Wassergeist, der von der Stadt gewaltsam verdrängt wird und sich zurück ins Wasser rettet. „Roter Himmel“ zwingt die Protagonist*innen dagegen wieder in die Großstadt zurück, wo sich Nadjas und Leons Blicke ein letztes Mal treffen dürfen – so lange, bis Petzold wieder die sanft ermahnende Warnung aus dem Off zurückholt: Die Erde brennt schließlich immer noch.

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„Roter Himmel“ lief im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale, wo er den Silbernen Bären: Großer Preis der Jury gewann. Der deutsche Kinostart ist am 20. April 2023.

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