„Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ bietet uns ein wahres Action-Feuerwerk, das sich auch Nicht-Marvel-Fans im Kino ansehen sollten. Doch warum ist die Action hier so gelungen?
Dieser Artikel gibt die Meinung des/der Autor*in wieder und nicht notwendigerweise die aller kino.de-Redakteur*innen.
Es gibt ein paar YouTube-Videos, die ich mir fast jedes Jahr wieder anschaue. Zu meinen absoluten Dauerbrennern gehört unter anderem „Jackie Chan – How to Do Action Comedy“ von Every Frame a Painting. Der Titel suggeriert zwar, dass es hier nur um Jackie-Chan-Filme und Action-Komödien gehe, aber das Video ist vielmehr ein grandioser Leitfaden, wie man richtig fesselnde Action inszeniert.
Bevor ihr euch das Video anschaut, sollte ich euch allerdings warnen: Seitdem ich es gesehen habe, nervt mich gefühlt 90% der Action in Hollywood-Filmen und -Serien; vielleicht sogar mehr. Denn Every Frame a Painting und Jackie Chan plädieren in dem Video dafür, dass Action möglichst klar erkennbar sein sollte.
Eigentlich keine schwere Aufgabe, möchte man meinen, doch Hollywood scheitert aus mehreren Gründen regelmäßig daran. Das größte Problem dürfte das Budget sein. Klar erkennbare Action überzeugend darzustellen, verschlingt enorm viel Zeit und damit eben auch Geld. Nehmen wir als Beispiel die fantastische WC-Kampfszene aus „Mission: Impossible – Fallout“: Für gut sechs Minuten im Film drehten die Verantwortlichen ganze vier Wochen lang. Solche Späße verschlingen eben viele Ressourcen.
Eine weitere große Hürde sind oftmals die nicht-vorhandenen oder suboptimalen Fähigkeiten der Darsteller*innen. Gute Schauspieler*innen ergeben nicht zwangsläufig tolle Action-Stars, was man beispielsweise bei Liam Neeson merkt, der zwar eine beeindruckende Actionkarriere aufgebaut hat, die aber von Szenen durchsetzt ist, die mit unfassbar vielen Schnitten seine mangelnden athletischen Fähigkeiten kaschieren müssen und dadurch für mich unerträglich werden:
Und zu guter Letzt hätten wir den Trend der Wackelkamera, auch bekannt als Shaky-Cam, den die „Bourne“-Reihe auf uns losgelassen hat. Mit wackeligen Bildern sollen wir quasi in die Action hineingeworfen werden. Das führt allerdings in den meisten Fällen dazu, dass eine womöglich sogar gute Choreografie praktisch nicht mehr zu erkennen ist, weil wir zu nah im Geschehen sind und die ganzen Bewegungen und Tricks nicht erfassen und genießen können, vor allem weil die vielen Schnitte für eine zusätzliche Desorientierung sorgen.
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„Shang-Chi“ stellt sich gegen die Hollywood-Action-Trends
Und all das bringt uns jetzt zu „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“. Die Verantwortlichen kündigten im Vorfeld an, dass sie die bislang beste Action im Marvel Cinematic Universe (MCU) inszenieren wollen – und mein Gott, dass ist ihnen wahrlich gelungen!
Zugegeben: In Sachen Action bekleckerte sich das MCU oftmals nicht mit Ruhm. Nicht ohne Grund ist in dem eingangs erwähnten Jackie-Chan-Video exemplarisch eine Szene aus dem ansonsten grandiosen „Guardians of the Galaxy“ als Negativ-Beispiel vorhanden. Darin „tritt“ Gamora (Zoe Saldana) Nebula (Karen Gillan) an den Kopf, nur das mitten in der Bewegung ein Schnitt eingebaut wurde, wodurch wir die Wucht des Treffers überhaupt nicht spüren.
Bei „Shang-Chi“ ist jedoch auffällig, wie wenig Schnitte in den Actionszenen vorhanden sind. Die wurden zwar größtenteils durch Spezialeffekte verschleiert, doch das Ergebnis leidet unter solchen Tricks nicht, im Gegenteil. Uns wird hier klar erkennbare Action geboten, in der wir in jeder Szene ein Gefühl für den Raum erhalten, die imposanten Bewegungen der Figuren und die fantastischen Choreographien sehen. Darüber hinaus erleben wir die Treffer wirklich, weil sie uns eben direkt gezeigt werden.
Dafür war aber ein entsprechender Aufwand nötig, wie uns „Shang-Chi“-Star Fala Chen im Interview erzählte (bei Minute 2:51):
Für ihre anfängliche Szene mit Tony Leung trainierten die beiden Darsteller*innen über einen Monat lang, zuvor floss bereits reichlich Arbeit in die Erstellung der Choreographie. So viel Arbeit bürden sich (leider) nicht jede Hollywood-Produktion und nicht alle Stars auf. Hauptdarsteller Simu Lui erzählte uns nicht ohne Grund, dass er quasi die ganze Zeit unter Schmerzen litt. Aber das Ergebnis dieser Mühe kann sich absolut sehen lassen.
Zumal dies einer von mehreren wunderbaren Momenten ist, in denen über die Action eine Geschichte erzählt wird. In vielen Filmen wirken Action-Einlagen mehr wie ein Mittel zum Zweck, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. Bei „Shang-Chi“ erzählen sie uns jedoch stets etwas über die Charaktere, ihre Beziehungen zueinander und/oder ihre Entwicklungen.
Wir brauchen mehr Farbe im MCU!
Nun könnte man zwar argumentieren, dass „Shang-Chi“ eben der erste Martial-Arts-Film im MCU ist und sich diese Lektionen deswegen nicht auf andere Werke übertragen lassen, doch dem möchte ich widersprechen. Die Action in MCU-Filmen besteht größtenteils aus Nahkämpfen zwischen Superheld*innen, die entsprechend athletisch miteinander kämpfen sollten. Natürlich gibt es bereits Momente in vorherigen Werken, die solche Auseinandersetzungen imposant in Szene setzten, aber nicht konstant über einen ganz Film hinweg, wie es jetzt „Shang-Chi“ gelang.
Ganz zu schweigen davon, dass „Shang-Chi“ in der Inszenierung des epischen Spektakels glänzt, das uns ja in etlichen MCU-Titeln geboten wird. Auch beim großen Finale werden uns größtenteils – von wenigen chaotischen und doch vergleichsweise gut überschaubaren Momenten – klare Bilder geboten, die für keine Desorientierung sorgen. Im Gegenteil: Teils werden hier meiner Meinung nach einige der schönsten Aufnahmen im bisherigen MCU gezeigt. Das liegt unter anderem daran, dass die Macher*innen klugerweise einige buntleuchtende Objekte wie die titelgebenden Ten Rings eingebaut haben. Die bringen ein wenig Farbe in die immergraue Marvel-Welt und helfen ebenfalls bei der Orientierung. Schließlich setzt das MCU meist auf blasse, dunkelgraue Farbgebung ohne eine wirkliche Sättigung und passende Neon-Kleckse sorgen darin für die dringend benötigte Abwechslung, wie schon in den „Guardians of the Galaxy“-Filmen und „Thor 3: Tag der Entscheidung“.
Wenn ihr euch bislang unsicher wart, ob ihr „Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings“ im Kino sehen sollt, konnte ich euch hoffentlich davon überzeugen, dass ihr dieses Spektakel auf der größtmöglichen Leinwand erleben müsst. Dabei wünsche ich euch natürlich viel Spaß und ich hoffe, dass es in „Shang-Chi 2“ ähnlich ansprechend weitergeht.
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