Der Psychothriller ist komplex, überraschend und erbarmungslos spannend. Wir erklären das spektakuläre Ende von „Shutter Island“.
Martin Scorseses „Shutter Island“ ist ein dicht-gewobener, alptraumhafter Abstieg in eine Welt aus Paranoia, Wahnvorstellungen und gebrochenen Identitäten – und ein meisterhaft aufgebauter Mystery-Thriller. Der Film, der auf dem gleichnamigen Roman von Dennis Lehane basiert, lässt auch nach mehrmaligem Anschauen viel Raum für Interpretationen. Aus diesem Grund wollen wir versuchen, in unserem Artikel das Ende von „Shutter Island“ zu erklären.
– Achtung: Es folgen Spoiler zu „Shutter Island“! –
Auf der abgelegenen Insel „Shutter Island“ befindet sich das Ashecliffe Hospital für psychisch gestörte Schwerverbrecher. Die US-Marshals Edward Daniels (Leonardo DiCaprio) und Chuck Aule (Mark Ruffalo) sollen dort das mysteriöse Verschwinden einer Patientin untersuchen – doch im Laufe der Handlung stößt Edward auf Rätsel in der Krankenhausleitung. Er vermutet eine Verschwörung und Experimente, die an den Insassen durchgeführt werden. Die Wahrheit jedoch ist noch verstörender.
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Das Ende von „Shutter Island“: Eine Frage der Identität
Edward Daniels glaubt, dass der pyromanische Mörder seiner Frau, Andrew Laeddis, im Ashecliffe Hospital behandelt wird und sucht während des Films nach ihm. Im Finale von „Shutter Island“ jedoch wird er damit konfrontiert, dass er selbst ein Patient dort ist – und zwar ebendieser Patient Andrew Laeddis. Sein Marshal-Kollege entpuppt sich als Dr. Lester Sheehan, sein behandelnder Psychiater. Laut Chefarzt Dr. John Cawley (Sir Ben Kingsley) hat Andrew die US-Marshal-Identität nur angenommen, um den selbst verübten Mord an seiner manisch-depressiven Frau zu verarbeiten. Seine Recherche auf der Insel sei nur ein Rollenspiel gewesen, mit dem Ziel, seine eigene Vergangenheit zu akzeptieren. Wenn er zurück in seine Wahnvorstellungen gleiten würde, drohe ihm eine Lobotomie. Andrew wehrt sich gegen diese Darstellung, doch als er feststellt, dass sein Revolver nur ein Spielzeug ist, wird er ohnmächtig. Am Ende des Films sitzt er zusammen mit seinem Psychiater draußen auf dem Gelände des Ashecliffe Hospitals. Er redet Dr. Sheehan als Chuck an und scheint sich somit wieder in seiner US-Marshall-Fantasie zu befinden. Sheehan gibt den Bediensteten der Einrichtung ein Signal, um Andrew fortzubringen, vermutlich zu seiner Lobotomie. Andrew scheint gelassen und sagt „Was wäre schlimmer: Zu leben wie ein Monster oder als guter Mann zu sterben?“ Dann geht er freiwillig mit den Wärtern des Krankenhauses mit. Die Kamera zeigt die Klippen um die Insel und dann den unheilverkündenden Leuchtturm – so endet „Shutter Island“.
„Shutter Island“: Die letzten Worte
Die Bedeutung der letzten Worte am Ende von „Shutter Island“ geben vielen Film-Fans Rätsel auf – können aber zumindest in Grundzügen erklärt werden. Sie beschreiben die Wahl, vor der Andrew/Edward steht, als er sich auf der einen Seite den Taten seiner Vergangenheit und auf der anderen Seite einer Lobotomie gegenübersieht. Er entscheidet sich gegen seine Erinnerungen und für den extremen Eingriff. Er zieht es vor, seine Identität und dementsprechend sein Leben durch die Lobotomie löschen zu lassen. Die Frage ist jedoch: Worin genau bestehen die Taten seiner Vergangenheit und was ist seine echte Identität?
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Das Ende von „Shutter Island“: Welches Trauma ist echt?
Die Bedeutung der letzten Worte erklärt noch nicht, wer Andrew/Edward tatsächlich ist. Diese Frage, die im Zentrum des Films steht, wird allerdings ganz bewusst vom Filmemacher offengelassen. Wir können aber immerhin aufgrund der Erklärung am Ende des Films davon ausgehen, dass er in jedem Fall ein Patient im Ashecliffe Hospital ist – und kein US-Marshal. Anders aber verhält es sich mit seiner tragischen Vorgeschichte und seinem Namen. Bezüglich seines existenziellen Traumas, das durch den gewaltsamen Tod seiner Frau herbeigeführt wurde, werden im Film drei unterschiedliche Theorien genannt:
- Ein Mann namens Andrew Laeddis hat das Feuer gelegt, in dem Edwards Frau gestorben ist.
- Andrew/Edward hat das Feuer selbst gelegt und dabei mindestens seine Frau und drei weitere Menschen getötet.
- Andrews Frau war manisch-depressiv, was er zu spät erkannt hat. Sie hat ihre drei gemeinsamen Kinder ertränkt und Andrew sie darauhin erschossen.
Die erste Version kann nach dem Twist am Ende des Films und der Erkenntnis, dass Andrew/Edward ein von Schuld geplagter Patient im Ashecliffe Hospital ist, wohl als falsch angesehen werden. Die anderen beiden Trauma-Varianten könnten jedoch beide wahr sein – und obwohl die Psychiatrie-Ärzte klarstellen, dass Andrew seine Frau nach dem Kindesmord erschossen hat, spricht einiges im Film für die Hausbrand-Version. Feuer nimmt in Edward/Andrews Leben eine wichtige Rolle ein und kann symbolisch für seinen Wahn gesehen werden. Die Erinnerung, wie er seine Frau in den Armen hält, während sie zu Asche wird, die berühmte Streichholz-Szene im Verließ und als er gegen Ende des Films Dr. Cawleys Auto anzündet, sprechen allesamt für eine tiefere Beziehung zu Feuer. Außerdem spricht Andrew/Edward nie von seinen Kindern, bestreitet sogar, dass er je eine Tochter hatte. Es ist also zumindest in Betracht zu ziehen, dass Andrew/Edward in einem Anfall von posttraumatischem Stress sein Wohnhaus angezündet hat und seine Frau darin verbrannt ist.
Das Ende von „Shutter Island“: Psycho-Experimente im Ashecliffe Hospital
Wenn diese Version aber tatsächlich korrekt sein sollte (was der Film nur andeutet, nicht mit absoluter Sicherheit bestätigt), dann stellt sich die Folgefrage, warum die Ärzte in Ashecliffe Andrew/Edward von einer fabrizierten Geschichte um seine Frau, die seine Kinder ertränkte, überzeugen wollen.
- Einerseits könnten sie dies versuchen, um Andrew/Edward zu helfen, mit seiner eigenen Vergangenheit besser umzugehen. In diesem Szenario hat ihn seine Frau dazu getrieben, sie zu töten. Es war nicht seine Entscheidung und somit auch nicht seine Schuld. In diesem Kontext könnte sich sein mentaler Zustand vielleicht stabilisieren und Andrew/Edward eventuell sogar rehabilitiert werden.
- Andererseits könnte diese Manipulation auch auf tatsächlich stattfindende, unmoralische Experimente an Insassen hindeuten. Als Spiegelung seiner Erfahrungen, die er in Dachau gemacht hat, könnten die Ärzte im Ashecliffe Hospital Gehirnwäsche an wehrlosen Inhaftierten durchführen, um sie vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen.
Während die erste Variante dieser beiden Erklärungen die Ärzte in einem freundlichen Licht darstellt, werden sie in der zweiten Version zu den echten Antagonisten des Films. In beiden Szenarien aber sind ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Andrew/Edward zieht es am Ende vor, lobotomisiert zu werden, anstatt sich noch weiter von ihnen behandeln zu lassen.
Das Ende von „Shutter Island“: Das Fazit
In jedem Fall dreht sich die Handlung von „Shutter Island“ um die Schuldbewältigung eines Charakters, der in seiner Vergangenheit ein furchtbares Trauma durchleben musste. Ob er einen Hausbrand gelegt hat oder seine Frau ihre gemeinsamen Kinder ertränkt hat, wird jedoch nie mit absoluter Sicherheit aufgeklärt – und die Deutung somit den Zuschauern überlassen. Auch ob die Ärzte gute oder schlechte Intentionen haben und ob Leonardo DiCaprios Charakter nun Edward oder Andrew heißt, bleibt schlussendlich offen. Aber genau diese Ambivalenz, diese Anregung zum Nachdenken erhebt „Shutter Island“ im Genre der Psychothriller zu einem echten Mystery-Meisterwerk.
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