Sparta: Ulrich Seidls Begleitfilm zu "Rimini" über einen Mann in Rumänien, der mit Kindern eine kleine Trutzburg errichtet und sich einer lange verdrängten Wahrheit stellen muss.
Ulrich Seidls Begleitfilm zu „Rimini“ über einen Mann in Rumänien, der mit Kindern eine kleine Trutzburg errichtet.
Kino, das nicht wegschaut, wenn es wehtut, aber nicht den Drang verspürt, alles zeigen zu müssen: Realität und Fiktion liegen bei Ulrich Seidls stets an selten attraktiven Originalschauplätzen gedrehten Arbeiten in den besten Momenten so nah beieinander, dass die Trennlinie mitunter verschwimmt. Das macht sie so intensiv und unverkennbar, öffnet sie aber auch für Angriffe derer, die ihr Anstandsgefühl verletzt sehen. Weil Seidl hier mit Georg Friedrich in der Hauptrolle arbeitet, einem bekannten Gesicht, einem professionellen Schauspieler mit internationalem Renommee, ist man sich bei „Sparta“ der Inszenierung mehr gewiss als bei den anderen Spielfilmen des Regisseurs, vielleicht auch eine bewusste Entscheidung angesichts der nicht ganz einfachen Thematik. Man ist dankbar für ein Maß an Distanz, wenn man einen Film sieht über einen Mann, der sich im inneren Krieg mit sich selbst befindet, ob er seinen pädophilen Impulsen nachgeben oder sie bekämpfen soll. Auch so ist das auf der Leinwand Abgebildete keine leichte Kost, nicht weil es übermäßig Explizites oder Unbotmäßiges zu sehen gäbe,sondern weil die Filmemacher sich ihren Figuren und der Geschichte mit dem gebotenen Ernst und abwägenden Skrupeln nähern. Es ist ein seriöser Versuch, sich mit der Figur Ewald Scholz und den Lebensumständen dieses problematischen Mannes zu befassen, ihr Handeln und Tun zu dokumentieren und zu verstehen.
Ewald Scholz sah man erstmals in kurzen Momenten in Seidls Vorgänger „Rimini“, der auf der Berlinale viel Beifall erhielt. Er ist der jüngere Bruder der Hauptfigur dieses Films, Richie Bravo, gespielt von Michael Thomas. Bindeglied ist der demente Vater im Altersheim, der die Welt nur noch schemenhaft wahrnimmt. Für Ewald ist der alte Mann Belastung, aber auch so etwas wie eine Rettungsleine, gibt er ihm doch einen Grund, Rumänien, wo er als Ingenieur in Transsilvanien arbeitet und lebt, regelmäßig zu verlassen und zurück nach Österreich zu fahren. Seine feste Beziehung mit einer Bardame überfordert ihn, der sexuelle Appetit der Freundin ist ihm zuwider. Stattdessen sucht Ewald die Nähe von Jungs im Alter von etwa zehn Jahren. Er ist sich der Grenzüberschreitung bewusst und zeiht sichdafür, kann aber doch nicht dagegen an. In einer besonders desolaten Ecke des Landes findet Ewald eine leerstehende Schule, die er von seinem Ersparten erwirbt, und schart dort Jungs aus der Gemeinde um sich. Er gibt sich als Judolehrer aus und baut ein Vertrauensverhältnis mit den Kindern auf, die Spaß daran haben, an der Seite des Österreichers ein Refugium zu haben, eine eigene kleine Festung, die sie Sparta nennen und in der sie sich als griechische Helden in militärischer Formation aufstellen, die meiste Zeit aber einfach nur spielen, im Trog plantschen, unbewusst, dass der Erwachsene in ihren Reihen womöglich mehr sein könne als Spielkamerad.
So sehr Sparta das Porträt eines Manns mit pädophiler Veranlagung ist, bis zur Selbstaufgabe gespielt von seinem Hauptdarsteller, ist es doch vor allem ein präziser, intensiver Film, geschrieben von Seidl mit seiner Lebensgefährtin Veronika Franz und festgehalten in ruhigen Bildern und nüchternen Einstellungen, über Machtverhältnisse und Machtverlust, angesiedelt in einer Welt großer Armut mit archaischen Machtstrukturen, die durch die Ankunft des Fremden erschüttert und herausgefordert werden. Es ist kein Film maudit, kein neuer „
Die 120 Tage von Sodom“ oder „Im Reich der Leidenschaft“, ganz gewiss kein Machwerk, er skandalisiert nicht. Ob und welche Überschreitungen es bei den Dreharbeiten vor fünf Jahren gegeben haben könnte, spielt bei dieser Betrachtung keine Rolle. Entscheidend ist, wie sehr sich die Bilder in die Erinnerung einbrennen, wie sehr man von dem Gesehenen beschäftigt wird.
Thomas Schultze.