Wer kennt nicht den guten Vorsatz: Dafür nehme ich mir aber endlich mal Zeit! - und stellt im selben Moment fest, dass die Zeit immer knapper wird. Wir sparen ständig Zeit. Trotzdem haben wir immer weniger davon. Warum eigentlich? Der Regisseur und Autor Florian Opitz macht sich in seinem Film auf die Reise nach Antworten und begegnet dabei be- und entschleunigten Menschen aller Art. Er sucht Experten auf, die in der Forschung oder in der freien Wirtschaft tätig sind, befragt Menschen, die sein Problem teilen oder es schon längst hinter sich gelassen haben. Dabei überfordert Florian Opitz sein Publikum nicht, seine Fragen sind einfach und immer nachvollziehbar. Klar ist: Ein Patentrezept gibt es nicht. Doch der Film schafft eine nachdenkliche und dennoch sehr kurzweilige Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema und regt dadurch zum Weiterdenken an. Ein besseres Ergebnis kann ein Dokumentarfilm nicht erzielen.
Jurybegründung:
Wer sich für diesen Dokumentarfilm von Florian Opitz Zeit nimmt, verschwendet die 97 Minuten nicht. Freilich haben schon viele Philosophen dieses Problem tiefgründig erörtert, doch es lohnen auch andere Annäherungen. Der moderne Alltag wirft Fragen auf, die der Regisseur mit subjektivem Eigeninteresse angeht. Sein Ansatz ist zunächst naiv. Die Reflexionen arbeiten dennoch relevante Einsichten heraus. Anlass sind für ihn drei einschneidende Ereignisse: erstens sein Gefängnisaufenthalt in Nigeria, zweitens die Geburt seines Sohns und drittens der Tod seines Vaters. Tapfer macht sich Opitz auf den (langen) Weg der persönlichen Erkenntnissuche zum Zeitproblem. Er gerät an interessante Interviewpartner und durchquert als ICH-Erzähler ein weites Feld. Dort trifft er u. a. auf den Zeitmanagement-„Papst“ Seiwert, der ihm mit seinen Zaubertricks nicht wirklich weiterhelfen kann. Weiter führt indes der Therapeut Dr. Sprenger, der Diagnosen zum Burn-Out-Syndrom gibt. Auch Alex Rühle, der am letzten Tag seines Selbstversuchs des digitalen Fastens interviewt wird, kommt zu Wort. Optisch hat der Film immer wieder semantisch dichte Bilder zu bieten, die auch syntaktisch gute Übergänge ermöglichen (etwa Wandgemälde oder Zeitraffer-Aufnahmen von Autos und Schirmen). Seitdem die Zeit in Geld verrechnet wird, ist der Takt tonangebend; der Rhythmus gerät ins Hintertreffen. Bei der Ursachenforschung stößt Opitz auf die Wettbewerbsdynamik. Wissenschaftlichen Rat sucht er sich beim Soziologen Prof. Hartmut Rosa, der unter anderem die Logik der Konkurrenz erläutert. Ins Visier nimmt Opitz sodann die Nachrichten Agentur REUTERS. Und er lernt, dass inzwischen Maschinen die Daten verarbeiten, Maßstäbe setzen und Handlungszwänge erzeugen. Beherrscht die Technik, die dem besseren Leben dienen sollte, bereits den Menschen? Wohin führt die permanente Effizienzsteigerung? Wie kann man der Zeit-Falle entgehen? Hierauf gibt der ehemalige Manager Rudie (der sich selbst als „Ex-Heuschrecke“ bezeichnet) Auskunft. Er lebt inzwischen als Aussteiger in der Schweiz und hat interessante Erfahrungen zu berichten, die er bei seinem Fußmarsch von Salzburg nach Nizza gewinnen konnte. Opitz verweist darauf, dass für solche Auswege aus dem Dilemma der Zeitknappheit ein dickes Kapitalpolster die Voraussetzung bildet und sucht nach weiteren Alternativen. Dabei porträtiert er ebenso eine Bergbäuerin, die (analog zur alten Indianer-Weisheit) die Einsicht verkündet, dass man von Computerkabeln nicht satt wird. Im Hinblick auf „Alternativen für alle“ interessiert sich Opitz auch für ein Entschleunigungsprojekt im Pumalia-Park in Chile und bringt das verfassungsmäßig garantierte „Bruttonationalglück“ von Bhutan ebenso ins Spiel wie das bedingungslose Grundeinkommen. Eine Universalformel für erfolgreiches Zeitmanagement hat Opitz letztlich nicht zu bieten, aber sein Film ist eine redliche Spurensuche, die die FBW-Jury für besonders wertvoll hält.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)