Stars at Noon: Verfilmung des Romans von Denis Johnson über eine Amerikanerin und einen Briten, die aus Nicaragua fliehen wollen.
Drama um zwei in Nicaragua gestrandete Ausländer, die das Land verlassen wollen.
„Stars at Noon“ spielt in Nicaragua, aber man könnte seinen Schauplatz auch einfach Graham-Greene-Land nennen: Gestrandete aus Großbritannien und den USA sitzen herum, schwitzen, trinken zu viel Alkohol, rauchen zu viele Zigaretten, verplempern zu viel Zeit und warten darauf, dass etwas passiert, und merken nicht, dass sich die Zahnräder der Geschichte längst in Bewegung gesetzt haben. So weit so vertraut. Mit dem Unterschied, dass die Vorlage nicht von Graham Greene stammt, sondern vom gefeierten amerikanischen Schriftsteller Denis Johnson, dass „Stars at Noon“ nicht „Der stille Amerikaner“ ist, der Film nicht von Phillip Noyce sondern Claire Denis ist und die Regisseurin kein erkennbar großes Interesse an Politik hat, sondern an dieser besonderen Atmosphäre, diesem ganz spezifischen Ennui: Leben auf dem Pulverfass, aber in der Warteschleife, ohne Regeln und Bedeutung. In diesem Sinne ist der neue Film der Französin, die mehr als 30 Jahre nach ihrem Debüt, „Chocolat“, zwar als wichtigste Regisseurin ihres Landes gilt, aber erst jetzt Zugang in den Wettbewerb in Cannes gefunden hat, als hätte sie selbst eine Karriere in Warteschleife gehabt, näher dran an Michel Francos „Sundown“ als an, sagen wir mal, „Ein Jahr in der Hölle“ von Peter Weir. Ein Film, der eine Handlung hat, um sich für das interessieren zu können, was in den Ritzen und Spalten der Geschichte geschieht. Sogar die Ära ist egal. Der 1986 erschienene Roman spielt 1984 und bezieht seine Dringlichkeit aus der explosiven politischen Situation der Zeit, als Ronald Reagan die CIA instrumentalisierte, die Sandinisten zu stürzen, die 1979 den USA-nahen Diktator gestürzt hatten und an die Macht gekommen war. Aber der Film spielt im Hier und Jetzt: Covid ist allgegenwärtig, die Hauptfiguren tragen immer wieder Masken. Sonst ist die Zeit ausgesetzt. Selbst das Land befindet sich im Schwebezustand, im Limbo. Militärs patrouillieren die Straßen, Korruption und Willkür herrschen, CIA und andere Auslandsgeheimdienste ziehen die Strippen. Eine Wahl steht bevor. Wer die Kandidaten sind, um was es dabei geht? Egal. Die Geschichte wiederholt sich, ist doch immer dieselbe, ob sie nun 1984 spielt oder in der Gegenwart.
„Du bist so weiß, es ist, als würde man von einer Wolke gefickt werden“, sagt die Hauptfigur von „Stars at Noon“, eine Amerikanerin namens Trish, als sie erstmals mit dem attraktiven Briten David ins Bett geht, den sie in einer Hotelbar aufgegabelt hat und mit dem sie Spaß hat, ohne zu vergessen, sich hinterher 50 Dollar für ihre Dienstleistung geben zu lassen. Sie war als Journalistin ins Land gekommen, aber ist nach einem kritischen Artikel in Ungnade gefallen und sucht nun, mit ihren wenigen verbliebenen Kontakten, wieder an ihren eingezogenen Ausweis zu kommen und das Land wieder verlassen zu können. Trish trinkt wie ein Fisch, raucht wie ein Schlot und flucht wie ein Kutscher, gleichermaßen in Englisch und auf Spanisch und manchmal mit einer schrillen Intensität, die einen daran erinnert, dass Margaret Qualley schon als Manson-Girl in Once Upon a Time in mit einem Fingerschnippen von Pussykätzchen zu Harpiye umschalten konnte. Ihre Krallen sind scharf, wovon man wenig hat, wenn man abhängig ist vom Wohlwollen irgendwelcher Typen, die wissen, dass sie leicht zu haben ist, auch wenn sie während des Sex mit einem Polizei-Offizier mit einem gelangweilten Blick auf ein Foto stolzer junger Sandinisten bei der Revolution anmerkt, Revoluzzer seien früher sexier gewesen. David könnte nun ein neuer Hebel sein, um wieder Bewegung in ihr auf Standby geschaltetes Leben zu bringen. Wobei unklar ist, was genau es ist, das ihn nach Nicaragua geführt hat und warum er eine Automatikpistole in seinem Necessaire-Täschchen mit sich führt.
Er wird gespielt von Joe Alwyn, der die Rolle übernahm, nachdem Robert Pattinson wegen Terminproblemen mit The Batman“ absagen musste, und aussieht wie ein junger Charlie Hunnam. Während alle anderen schwitzen in der schwülen Hitze und den Eindruck, als könnten sie dringend eine Dusche vertragen, Trish inklusive, trägt er einen schmucken weißen Leinenanzug, am sich die komplette Rahmenhandlung des Films ablesen lässt, damit sich Denis nicht weiter darum kümmern muss. Zunächst ist er makellos, dann zerknittert er zusehends, er wird dreckig und schließlich klebt Blut an ihm. End of story. Und auch sonst ist die Figur so farblos und weiß, dass sie auch von einem Stück Toast gespielt hätte werden können. Das ist zunächst etwas irritierend, fügt sich aber blendend in das Konzept des Films, weil er eine Leerstelle bleibt, unmöglich zu lesen. Wer mag, kann ihn selbst ausmalen. Weil Claire Denis eben doch mehr an Trish interessiert ist, wie sie kratzt und beißt, kämpft und läuft und versucht, den Durchblick zu bewahren in einer Situation, die deutlich größer ist als sie selbst. Und die am Ende so ist wie die anderen auch: jemand, der alles unternimmt, um zu überleben. Weil es immer jemand gibt, der etwas zu verkaufen hat, und jemand, der etwas kaufen will.
Thomas Schultze.