Roz und Lil sind Freundinnen seit Kindertagen. Sie sind Vertraute, Seelenverwandte und immer füreinander da. Selbst ihre beiden nun erwachsenen Söhne Tom und Ian sind miteinander befreundet. Für Roz‘ Mann allerdings wird die große Nähe der beiden Frauen zunehmend zum Problem. Als er ein Jobangebot in Sydney erhält, reist er alleine dort hin. Zurück bleiben Roz und Lil, Tom und Ian, zwischen denen sich romantische Gefühle entwickeln. Doch können Leidenschaften und Sehnsüchte stärker sein als jeder moralische Zweifel? Doris Lessings Erzählung „Die Großmütter“ diente als Vorlage zu Anne Fontaines Film über Liebe, Verlangen, Zweifel und Begehren. Die australische Landschaft liefert der exzellenten Kamera grandiose und überwältigend schöne Tableaus, welche die spürbare und fast unwirkliche Sinnlichkeit des Sommers perfekt widerspiegeln. Vier schöne Menschen stehen im Zentrum, die sich zueinander hingezogen fühlen und denen es egal ist, was der Rest der Welt denken mag. Christopher Hampton zeichnet verantwortlich für die gekonnt stilvollen und sparsamen Dialoge. Und es braucht in diesem Quartett in der Tat nur wenige Worte, um Gefühle zu vermitteln. Blicke, Gesten, Taten zählen mehr und lassen den Zuschauer teilhaben an dem, was zwischen den Liebenden passiert. TAGE AM STRAND ist wie der Blick auf eine paradiesische Szenerie - sinnlich, weiblich und frei.
Jurybegründung:
Lil und Roz sind Freundinnen von Kindheit an. Sie leben in einer paradiesischen Umgebung und das erste Filmbild zeigt sie wetteifernd darum, wer die erste ist, die das Meer erreicht. Diese lebensfrohe, gleichzeitig entrückte Atmosphäre bestimmt den Film auch in seinem weiteren Fortgang. Roz und Lil, inzwischen um die vierzig, attraktiv und beste Freundinnen, haben Spaß zusammen. Ihre Vertrautheit wird oft beneidet und von manchen Mitmenschen auch als sexuell bestimmt missgedeutet. Ihre Söhne, zu schönen jungen Männern herangewachsen, genießen das Leben ebenso. An einem dieser Nachmittage kommt es zu einer entscheidenden Begegnung zwischen Roz und Ian, dem Sohn ihrer Freundin Lil. Sie treffen sich zufällig auf dem Steg nach dem Schwimmen, die Luft flirrt und die Bilder suggerieren, was jetzt folgt: Beide finden sich so begehrenswert, dass die Konsequenz nicht fern liegt. Als Tom, Roz Sohn, dies bemerkt, ist er überrascht und ratlos, vielleicht auch entsetzt. Sich seinerseits nun Lil anzunähern, scheint ihm nur folgerichtig.
Selbstverständlich ergreifen nun auch Eifersucht und Verlustangst Besitz von den Figuren, doch der Einheit der Inszenierung entsprechend, enden auch die wenigen bedrohlichen Szenen harmonisch. So wie der gesamte Film dem Zuschauer ein Paradies nahe bringt, verhindert die Harmonie der Protagonisten, aber auch ihre Menschlichkeit und Liebe zueinander meist aggressive Reaktionen und findet zu einem Kompromiss oder einer Lösung.
Diese Haltung erweist sich im weiteren Verlauf jedoch als trügerisch, denn was alle Beteiligten nicht wahrhaben wollen, sie leben nicht auf der Insel der Seeligen, sondern sind von Menschen umgeben, die an ihnen Gefallen finden und ihre eigenen Interessen durchsetzen. Während Roz und Ian, Lil und Tom sich noch in größter Einmütigkeit und gegenseitiger Zuneigung die Ewigkeit versprechen, wissen beide Frauen natürlich, dass dieses Glück enden wird. Als sowohl Ian als auch Tom mit jungen Frauen zusammen treffen, die sich verlieben und ihr Leben mit ihnen teilen wollen, beendet Roz die Beziehung zu Ian. Lil und Tom jedoch kommen nicht voneinander los.
Welche Ehefrau hat sich nicht schon gefragt, was das Verhältnis zu Schwiegermüttern so schwierig macht? Die Autorin der hier adaptierten Novelle, Doris Lessing, erkannte diese Brisanz und entwarf eine ebenso tiefgründige wie in ihrer Ausdrucksform federleichte Geschichte, die vom Drehbuchautor Christopher Hampton kongenial umgesetzt und von der Regisseurin Anne Fontaine in wunderbaren Bildern so packend inszeniert wird, dass die Atmosphäre deutlich spürbar wird. Hier dreht das Leben besondere Pirouetten. Niemals moralisierend, aber immer eindringlich erzählen die Bilder von einer scheinbar perfekten Idylle.
Diese Geschichte, einer griechischen Tragödie gleich, kennt nur Verlierer, denn sobald eine Figur ihren Platz verlässt, verletzt sie damit eine andere. Der Film schafft es genial, die Psychologie dieser Konstellation zu durchdringen. In seinen Bildern werden die Beziehungen erkennbar, obwohl sie sich unter der Oberfläche abspielen. Die Besetzung ist herausragend. Jeder einzelne der Darsteller trägt überzeugend zur Wirkung des Films bei.
TAGE AM STRAND zeigt in großartiger Dramaturgie und mit sparsam gesetzten, absolut stimmigen Dialogen, welch komplizierte Struktur entsteht, wenn Triebe und damit verbundene Gefühle auf gesellschaftliche und soziale Erfordernisse treffen. Eros und Vernunft vertragen sich nicht. Auch wenn die Freundschaft zwischen Roz und Lil stets die von „besten Freundinnen“ darstellt, hat sich doch durch ihre Vertrautheit eine große Kraft entwickelt, die ihren Sog auch auf die Söhne übertragen konnte. Hier wird der Rest der Welt ausgeschlossen. Das Paradies kann auch sehr einsam sein.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)