Eine Frau im Auto, ein Stoß, ein Ruck, ein vor- und zurückschleudern des Körpers: Der tödliche Unfall von Andrea Dewenter ist ein ästhetisches Todesballett, ein Tanz ihres Leibes, in Zeitlupe umschwebt von Glasscherben und Blumenblüten. Pia Strietmann steigt ein mit einem Ende, um dann aber zurückzuschalten zur Vorgeschichte, in der sie die Familie noch einmal als Ganzes zeigt. Daraus ergibt sich organisch das Erzählen vom Danach, nach dem Unfall der Ehefrau und Mutter.
Wobei die Dewenters nie ein großes Ganzes waren, jeder lebt für sich im gemeinsamen Haus: Die Tochter, pubertär aufsässig, schottet sich ab, ihr älterer Bruder ist eh schon lang aus dem Haus, der Vater ist meist abwesend, geistig zumindest und oft auch körperlich er hat seit langem eine Affäre. Die Mutter hat einen Roman geschrieben, über den Ausbruch einer Dame im besten Alter aus Alltagstrott und Normalfamilie eine Fiktion mit dem Titel Wechselnd bewölkt, ein Motto, das über dem Familienleben der Dewenters stehen kann.
Sehr einfühlsam inszeniert Strietmann in ihrem Debüt eine auseinandergefallene Familie, aus der plötzlich die Mitte weggerissen wurde: Jetzt ist das Gleichgewicht weg, das Gravitationszentrum fehlt, und die Einzelelemente Vater, Tochter, Sohn prallen ungebremst aufeinander. Der Vater verschwindet erstmal zu seiner Geliebten, die Tochter lässt nichts an sich ran, hängt mit der besten Freundin rum und kann sich jetzt endlich ein Tattoo stechen lassen, was die Mutter immer verboten hatte; der Sohn kehrt aus der Fremde, wo er als Schauspieler an seiner Karriere arbeitet, in die alte Provinzheimat zurück und muss sich um die Bestattungsformalitäten kümmern ausgerechnet beim alten Freund, den er lange nicht mehr gesehen hat, den er vergessen wollte, der jetzt das Geschäft des Vaters übernommen hat und mit professionellem Mitgefühl Särge präsentiert und Beerdigungen organisiert.
Wie soll man umgehen mit dem Tod einer wichtigen Person, wenn sich Trauer gar nicht so richtig einstellen will? Wenn sie sich ausdrückt im Wegducken, Verdrängen, im Garnichtrichtigdazugehören? Davon erzählt Tage die bleiben, weniger von der Akzeptanz des Todes als überhaupt ersteinmal von der Kenntnisnahme, von der Überwindung des Ichs, um die Traurigkeit zuzulassen. Und Pia Strietmann inszeniert das als ein Auseinanderdriften, das langsam gestoppt wird, das sich verlangsamt und am Ende die Richtung ändert, zu einem langsamen Aufeinanderzutreiben wird.
Die Umkehr, der Wendepunkt kommt nicht aus den Hinterbliebenen selbst, sondern aus der Begegnung mit anderen: Elaine, die Tochter, kommt nach frustrierenden Nachbarschaftsbesuchen mit allerlei Beileidsfloskeln bei einem an, der einfach nur Musik auflegt; dessen Sohn sie stets gehänselt hatte, der ihr nun aber plötzlich nahe kommt. Lars, der Sohn, begegnet der Geliebten des Vaters, aus seiner Wut wird so etwas wie Verständnis für die eigene Situation. Und der Vater sieht einen wirklich traurigen Mann: Den Liebhaber seiner Ehefrau, der in jammerndem Elend zusammenbricht. Die Akzeptanz der Tatsachen und der anderen Familienmitglieder erwächst nicht zuletzt aus der Begegnung mit der Mutter, deren Roman nun, als Vermächtnis, neue Bedeutung erhält.
Strietmanns stimmige Inszenierung führt zu hoher emotionaler Dichte, die sich ergeben kann, wenn man ihre Figuren ernst nimmt; und so gerät auch ein knallrotes, ufoähnliches Sargmodell nicht zum Anlass für einen Gag, sondern zu einem Zündpunkt der Reibereien in der Familie. Nur selten wird die gefühlvoll-anteilnehmende Inszenierung von etwas überzogenen Charakterisierungen durchbrochen: Etwa Merle, Elaines Freundin, mit ihrem seltsamen pubertären Studienprojekt, ob ältere oder jüngere Männer öfter abspritzen können.
Fazit: Einfühlsames, emotionales Drama um eine Familie, die nicht zusammenpasst, aber zusammenhalten muss.