FBW-Pressetext:
Lars Bogenius ist der Stern am Reporterhimmel beim CHRONIK-Magazin in Hamburg. Seine Stories sind brillant recherchiert, ganz nah dran an den Menschen, berührend, eine Wucht. Das muss auch Juan Romero, Lars‘ Kollege, neidlos anerkennen. Doch eines Tages findet Juan heraus, dass die Reportagen von Lars Fehler aufweisen. Fehler, die Juan an der Echtheit der Reportagen zweifeln lassen. Doch die Chefredaktion will von diesem Vorwurf nichts wissen. Denn Lars ist der Goldjunge des Blattes. Ein engagierter Journalist. Ein toller Kerl. Und der würde doch niemals lügen. Oder etwa doch?
In seinem neuen Film erzählt Michael Bully Herbig eine Geschichte, die genau so stattgefunden hat. Also fast genau so. Denn die fiktive Story weist nicht ganz zufällig Ähnlichkeit mit einem Fall auf, der die deutsche Medienlandschaft vor ein paar Jahren aufs Heftigste durcheinander gewirbelt hat, hier aber durch die Vermeidung von Echtnamen klug umschifft wird. Auch die von Elyas M’Barek sympathisch verkörperte Hauptfigur Juan Romero unterscheidet sich nur im Namen von Juan Moreno, auf dessen Buch TAUSEND ZEILEN beruht. Als „Gegenspieler“ von M’Barek liefert Jonas Nay ein nuanciertes Spiel zwischen zur Schau gestellter Bescheidenheit und der tiefen Angst, aufzufliegen. Wie ein Aal gleitet er durch die Zweifel aller hindurch und blendet die gesamte Zeitungswelt geschickt und dank kreativer Ideen. Um auch visuell die Masken fallen zu lassen, taucht ein kluges Farbkonzept die von Bogenius erdachten Sequenzen in einen leuchtenden Sepia-Ton. Die wahren und in ihrer Lächerlichkeit fast schon tragikomischen Antihelden der Story aber sind der Chefredakteur und der Ressortleiter (ein kongeniales Duo: Jörg Hartmann und Michael Maertens), die sich in ihrer Liebe zu ihrem „goldenen Kalb“, welches ihnen Renommée und hohe Verkaufszahlen einbringt, total verrennen und in ihren gemeinsamen Szenen mit ihrem Dialogwitz den Film zu einer vergnüglichen Mediensatire machen. Als solche wirft der Film einen bissig-treffenden Blick auf etablierten Alltagsrassismus, elitäres Klassendenken und dem alltäglichen Stress des Journalismus, der sich täglich selbst überbieten muss in seiner Sensationsgier. Bis nicht nur die Wahrheit auf der Strecke bleibt, sondern auch das Familienleben des Journalisten, was als Teil von Romeros Geschichte das emotionale Herz dieses Films bildet. TAUSEND ZEILEN ist ein Film, der gleichermaßen unterhält und auch uns Mediennutzenden einen Spiegel vorhält. Denn schließlich ist nichts beruhigender als die Lüge, an die man trotz aller Zweifel glauben will.
FBW-Jury-Begründung:
Eine Fälschungsaffäre bei einer der großen deutschen Informationszeitschriften? Das hat es doch schon einmal gegeben - sowohl in der Realität wie auch in der Verarbeitung als satirischer Spielfilm. Doch TAUSEND ZEILEN ist nicht SCHTONK! 2, obwohl es einige Parallelen gibt. Beide Filme basieren auf realen Vorkommnissen. Bei beiden Filmen führte der jeweils bekannteste deutsche Komödienmacher seiner Zeit Regie: 1992 Helmut Dietl, 2022 Michael Bully Herbig. Und in beiden Filmen sind die Herren in den Chefetagen die wichtigsten Zielscheiben der satirischen Angriffe. Doch davon abgesehen, hat TAUSEND ZEILEN eine andere Dramaturgie, denn hier wird vom Duell zweier Reporter erzählt, die beide eine völlig gegensätzliche Vorstellung von investigativem Journalismus haben.
Juan Moreno (im Film Juan Romero), auf dessen Buch „Tausend Zeilen Lügen“ der Film zum Teil basiert, ist der gewissenhaften Recherche verpflichtet, Lars Bogenius (der reale Name Class Relotius durfte wohl aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden) ist der Shootingsstar des deutschen Journalismus, dessen Texte zu gut sind, um wahr zu sein. Schon äußerlich sind die beiden sowohl in der Realität wie auch dargestellt von Elyas M’Barek und Jonas Nay extrem gegensätzlich: der liebe Bär und der fiese Fuchs. Und mit diesen Bildern spielt Michael Herbig auch, wenn er etwa Romero dadurch einführt, dass dieser ein zotteliges Kuscheltier für seine Kinder kauft und Bogenius immer isoliert in Luxusumgebungen gezeigt wird. Der Film zeigt, wie Romeros Recherchen schließlich dazu führen, dass Bogenius als Fälscher überführt wird. Bis zuletzt muss er sich dabei gegen die Widerstand der Chefredaktion durchsetzen, die sich lieber mit den Federn ihren preisgekrönten Edelschreibers schmücken, als kritisch dessen Materialien und Methoden zu hinterfragen. Herbig nutzt den Film selbst als ein stilistisches Mittel, um diese so gefeierten Texte lebendig werden zu lassen. In kurzen Sequenzen werden Situationen aus den Texten von Bogenius als Filmsequenzen so inszeniert, als ob sie „wahr“ wären. Später werden dann alternative Versionen dieser Sequenzen gezeigt, in denen auch sie als Fälschungen kenntlich gemacht werden. Herbig dekonstruiert so diese Lügengeschichten. So wird die Fiktionalisierung der Realität auch in den Bildern thematisiert. In einer anderen Sequenz macht Herbig ebenfalls das Gesehene als Fiktion kenntlich: Bogenius erzählt da eine Geschichte von einem alten Mann, der gegen einen Boxer in den Ring geht, und diese Sequenz ist im Stil eines Stummfilms in schwarzweiß gedreht. Hier hat der Filmkomiker Herbig eine kleine Hommage an Charlie Chaplin, einen der größten seiner Zunft, in den Film geschmuggelt.
TAUSEND ZEILEN zeigt auch, unter welchen Belastungen Romero seiner Recherche fertigstellen muss, wenn sein Familienleben, in dem er vorher als liebevoller Vater und Ehemann dargestellt wird, droht unter dem Druck auseinanderzubrechen. Bogenius wirkt dagegen immer mehr wie ein Gehetzter, und es gibt im Film keine Einstellung, in der er seinen Erfolg und sein Luxusleben genießt. TAUSEND ZEILEN ist ein klug konstruierter und stimmig inszenierter Unterhaltungsfilm, der dadurch überrascht, dass Herbig und der Drehbuchschreiber Hermann Florin ihn nicht komödiantisch überfrachtet haben, sondern statt dessen mit einer dem Thema angemessenen Ernsthaftigkeit deutlich machen, wie es möglich war, dass auch beim Spiegel so lange gefälscht werden konnte.
Im Anschluss an eine spannende Diskussion und in Abwägung aller Argumente erteilt die Jury dem Film gerne das Prädikat WERTVOLL.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)