Texas, im Sommer 1980: Die abseits des Campus zusammenlebende Baseballmannschaft der Southeast Texas State University bereitet sich an ihrem letzten freien Wochenende auf das kommende Semester vor - im Prinzip. Neben der ersten Trainingseinheit des Jahres haben nämlich vor allem die Verlockungen des weiblichen Geschlechts oberste Priorität. Und natürlich auch alles andere, was zu einem geregelten Studentenalltag dazugehört: Alkohol, Drogen und die Einweihung der Erstsemester. Zu diesen gehört auch Jake, der aufgrund seiner als „notwendiges Übel“ angesehenen Position des Pitchers von der Mannschaft zunächst noch kritisch beäugt, dann aber doch rasch zu einem festen Bestandteil der Clique wird. Und dann gibt es da noch die junge Theaterstudentin Beverly, die Jake einfach nicht aus dem Kopf gehen will. In EVERYBODY WANTS SOME!! schafft Indie-Meister Richard Linklater es spielend, in der sehr knappen Zeit von nur drei heißen Tagen im August ein authentisches Bild der noch in den Kinderschuhen steckenden 1980er Jahre zu zeichnen. Dabei unterstützt ihn insbesondere ein ausgezeichnetes Ensemble aufstrebender Jungschauspieler, dem es sichtlich Spaß macht, die liebevoll zusammengestellten Kostüme und Schauplätze zum Leben zu erwecken. Herausragend auch der Soundtrack, der dem nostalgischen Blick in die Vergangenheit den letzten Feinschliff verpasst und bei dem für jeden etwas dabei sein dürfte. Zu hören unter anderem auf den Partys, deren Bandbreite von der klassischen 80s-Disco über eine Country-Bar bis hin zum Punk-Konzert und einer Künstlerparty im Glam Rock-Stil reicht. Dabei schafft es der Film, seinen unterschiedlichen Figuren immer genug Zeit einzuräumen, um sie mit all ihren Eigenheiten voll und ganz zur Geltung kommen zu lassen. Ob gutmütiges Landei, altkluger Besserwisser oder charmanter Underdog - alle Figuren öffnen dem Zuschauer die Tür zurück in das Lebensgefühl der frühen 1980er Jahre. Mit EVERYBODY WANTS SOME!! ist Richard Linklater erneut ein durch und durch unterhaltsames und authentisches Zeitporträt gelungen, das zum immer Wiederschauen einlädt.
Jurybegründung:
Mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem zum Kultfilm avancierten Film CONFUSION - SOMMER DER AUSGEFLIPPTEN rund um die letzten Tage an der Highschool entführt Richard Linklater mit einer bezaubernden, herzerwärmenden Komödie an ein amerikanisches College im August 1980. Seine autobiografisch inspirierte Story ist eine liebevolle Hommage an seine eigene wilde Studentenzeit. Sie rankt sich um die ersten, unbeschwerten Tage vor Studienbeginn, an denen der künftige Student Jake die Regeln an einem Provinz-College in Texas entdeckt. Der naive Baseball-Spieler aus der Provinz muss sich als Mitglied in einer siegesverwöhnten Mannschaft bewähren, in der Großmäuler, Frauenaufreißer und Draufgänger den Ton vorgeben. Sex, Drugs and Rock’n-Roll prägen den Geist und den Lebensrhythmus der wilden Vor-AIDS-Ära, die der Regisseur mit einem Augenzwinkern beschwört.
Der Originaltitel von CONFUSION, „Dazed and Confused“, spielte damals auf den gleichnamigen Song von Jake Holmes an, der später durch die Interpretation von Led Zeppelin populär wurde. Nun wählt Musikfan Linklater den populärsten Song von Van Halen als Titel für die lose Fortsetzung seiner Komödie. Evergreens von Blondie, Kool & the Gang, Cheap Trick, ZZ Top und Foreigner, bei denen bei jedem Zuschauer der entsprechenden Jahrgänge die Erinnerung an die Gefühle bei den ersten eigenen Schritte auf dem Disco-Parkett hoch kommen, machen den Soundtrack zur nostalgischen Zeitreise. Jake und seine neue Gang entdecken in den durchzechten Nächten auch Punk und Glamrock und damit neue Stilrichtungen in der Geschichte der populären Musik. Mit dem Rhythmus der Musik ändert sich auch das Lebensgefühl der Gesellschaft, was Linklater andeutet.
Die jungen Schauspieler wie Matthew McConaughey, Ben Affleck, Milla Jovovich, Cole Hauser, Parker Posey, Renee Zellweger oder Rory Cochrane aus CONFUSION zählen heute zu den Stars des Weltkinos. Und man braucht sicher kein Prophet zu sein, um den von Linklater treffend ausgesuchten und gut geführten Blake Jenner, Ryan Guzman, Tyler Hoechlin, Wyatt Russell oder Glen Powell eine große Karriere vorherzusagen.
Jenner gibt als Freshman Jake den gut aussehenden, charismatischen und etwas naiven all american boy und die Projektionsfläche für die verschiedenen Typen aus dem Team, die Linklater wie in vielen seiner Filme grandios aufreiht. Da gibt es den notorischen Frauenheld ebenso wie den gehänselten Außenseiter, den verkniffenen Streber wie den Kiffer, den Beobachter und den Spaßmacher. Jede Figur wird von Linklater ernst genommen, überzeugend eingeführt und charakterisiert, jeder behält seine Würde.
Die 16 Spieler des Baseball-Teams frönen unaufhörlich dem Körperkult der Fitness- und Aerobic-Jahre. Ihr Leben ist in diesen drei Tagen ein einziger Wettstreit. Ständig werden die Kräfte gemessen und gewettet, doch trotz aller Konkurrenz wird der Teamgeist beschworen. Mit leichter Hand und unaufdringlich hinterfragt Linklater hier die Ellenbogen-Gesellschaft und die Verlogenheit des amerikanischen Traums, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu schaffen.
Wenn ein Professor zu Beginn von Jakes erster Unterrichtstunde und am Ende des Films als Denkanstoß an die Tafel „Grenzen sind dort, wo man sie findet“ kritzelt, haben Jake und seine neuen Freunde mehr als gegen eine Regel verstoßen. Die Zeit des Ausflippens und der unbeschwerten Jugendjahre scheint vorbei. Nun müssen neue Grenzen ausgetestet werden. Gelegenheit für eine Fortsetzung.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)