Hayao Miyazaki schenkt uns mit „Der Junge und der Reiher“ seinen zehnten und letzten Studio-Ghibli-Film. Inwiefern der Film überzeugen kann, verraten wir euch hier in unserer Kritik.
In den vergangenen sechs Jahrzehnten hat Hayao Miyazaki eine regelrechte Vorzeige-Karriere hingelegt: Während der 1960er- und 1970er-Jahre wirkte er als Zeichner bei Anime-Serien wie etwa „Heidi“ mit, bevor er in 1985 zusammen mit Isao Takahata Studio Ghibli gründete. Unter Studio Ghibli führte Miyazaki bis heute die Regie zu insgesamt 10 Langspielfilmen, darunter „Mein Nachbar Totoro“, „Prinzessin Mononoke“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“. Letzterer schrieb 2003 Oscar-Geschichte und gilt bis heute als der einzige Anime, der eine Auszeichnung in der Kategorie Bester Animationsfilm erhielt.
Nachdem Mayazakis „Wie der Wind sich hebt“ 2013 erschienen ist, kündigte der Regisseur mit 72 Jahren seinen Ruhestand an. Allerdings sollte es nicht dabei bleiben: 2017 bestätigte er, dass er an einem weiteren Studio-Ghibli-Film arbeite, welcher den Titel „Der Junge und der Reiher“ trägt. Sechs Jahre später feierte Miyazakis Werk am 14. Juli 2023 seine Premiere in den japanischen Kinos und hierzulande am 4. Januar 2024. Jetzt startet „Der Junge und der Reiher“ im Stream auf Netflix, wo auch eine Vielzahl anderer Ghibli-Filme verfügbar sind. Wenn ihr euch den Film ansehen möchtet, könnt ihr dies auf Netflix beispielsweise mit dem Entertainment-Plus-Paket von Sky Stream tun.
„Der Junge und der Reiher“ spielt in Japan während des Zweiten Weltkriegs. Der Teenager Mahito, der vom tragischen Tod seiner Mutter gezeichnet ist, wird von Tokio in das ruhige, ländliche Haus seiner neuen Stiefmutter Natsuko versetzt. Allerdings sieht sie seiner Mutter verblüffend ähnlich, was seine Versuche, sich einzuleben und den Tod seiner Mutter zu verarbeiten, um einiges erschwert. Plötzlich taucht ein merkwürdiger und hartnäckiger Graureiher auf, der Mahito in ein unvorhergesehenes Abenteuer in eine fremde Welt entführt. Einen ersten Einblick in den Film verschafft euch dieser Trailer:
Wir sahen „Der Junge und der Reiher“ und verraten euch hier, ob sich der Film lohnt. Es folgen Kritiken unserer Redakteurinnen Mira und Eileen.
Mira: “Der Junge und der Reiher“ muss mehrmals gesehen werden
Mit “Der Junge und der Reiher“ liefert Anime-Legende Hayao Miyazaki seinen (vorerst) letzten Film ab. Fans des Studio Ghibli dürfen sich darüber freuen, dass die Reise des Jungen Mahito erneut in eine fantastische und magische Welt führt. Leider konnte mich “Der Junge und der Reiher“ noch nicht überzeugen. Wie alle Ghibli-Filme ist auch Miyazakis neuestes Werk von hohem Niveau, nicht nur was die Animationen und Bilder angeht, sondern auch die ernsten und hoffnungsvollen Themen, die angesprochen werden. Trotzdem war der Film für mich eines der schwächeren Ghibli-Werke.
Das Highlight des Films sind wohl die grotesken und fleischfressenden Sittiche, die zusammen mit dem titelgebenden Graureiher, der mehr ist als er scheint, dem Film eine surreale Note verleihen. In solchen absurden Momenten hat der Film am besten funktioniert. Die tragischen Ereignisse, mit denen Mahito konfrontiert wird, haben mich dagegen kalt gelassen.
Das Pacing, das ruhig, aber überzeugend beginnt, kommt leider nie so wirklich in Fahrt, selbst dynamische Szenen konnten mich nicht in ihren Bann ziehen und fühlten sich für mich stets oberflächlich an. In der fantastischen Welt, die Miyazaki entwirft, gibt es so viele Ideen, die aber leider nicht alle durchdacht wirken. Mir fiel es schwer, mich auf die Welt und Mahitos Reise einzulassen, da ich ständig damit beschäftigt war, darüber nachzudenken, wie die Welt funktioniert und welchen Regeln sie unterworfen ist. Während ich noch mit einem Gedanken beschäftigt war, hat der Film längst die nächsten zwei präsentiert.
Als Gegenbeispiel ist “Chihiros Reise ins Zauberland“ deutlich geradliniger und konsequenter in der Gestaltung der magischen und fremden Welt. Ich glaube aber auch, dass “Der Junge und der Reiher“ von mehreren Sichtungen profitiert und erst beim wiederholten Schauen die verschiedenen thematischen Ebenen, sei es der Verlust der Mutter oder der hoffnungsvolle Blick in die Zukunft, offenbart. In jedem Fall dürfen sich Ghibli-Fans den Film nicht entgehen lassen. Allein schon deshalb, weil es der vielleicht letzte Film von Miyazaki ist.
Eileen: “Der Junge und der Reiher“ ist ein Fest für die Sinne, allerdings…
Hayao Miyazaki ist für mehrere meiner absoluten Lieblingsfilme verantwortlich, wie etwa „Kikis kleiner Lieferdienst“, „Das wandelnde Schloss“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“. Daher war ich natürlich sehr gespannt auf sein neustes und letztes Werk.
Für mich am gelungensten war die visuelle Ebene, welche ebenso grandios wie die bisherigen Werke von Miyazaki umgesetzt wurde. Miyazakis Liebe zu optischen Details war auch hier wieder unschwer wahrzunehmen und insgesamt hat mir die Atmosphäre wirklich gut gefallen; Dank gebührt ebenfalls dem Soundtrack von Joe Hisaishi, der ebenfalls die Musik für Miyazakis andere Studio-Ghibli-Filme komponierte.
Nun zur Handlung: „Der Junge und der Reiher“ startet mit einer sehr tragischen Prämisse, die mich in den ersten 15 Minuten des Filmes sehr traf – nicht zuletzt, da die inszenierten Schicksalsfälle aktuellen Ereignissen leider allzu ähnlich sind. Das Werk liefert eine wirklich spannende und kreative Auseinandersetzung mit dem Verlust einer geliebten Person. Bevor ich den Film sah, habe ich mich sehr wenig über den Inhalt informiert, weswegen ich positiv davon überrascht war, dass es wieder in eine phantastische Welt erinnernd an „Chihiros Reise ins Zauberland“ geht.
Allerdings findet sich hier auch das größte Manko: Nachdem die phantastische Welt betreten wurde, die – ich muss es einfach noch mal hervorheben – visuell wunderschön umgesetzt wurde, verliert die eigentliche Handlung gelegentlich ihren Fokus. Dadurch war ich mir teilweise nicht wirklich bewusst, welches Ziel der Film versucht anzustreben. Für mich sind leider zu viele Fragen und Lücken offen geblieben und leider bin ich mir nicht sicher, ob eine weitere Sichtung diese Unklarheiten beantworten würde. Durch den verschwommenen Fokus verlor der Film leider auch an der Emotionalität, die mich am Anfang so mitgerissen hatte.
Kurz gefasst ist „Der Junge und der Reiher“ durchaus sehenswert für alle Ghibli-Fans und alle, die es noch werden möchten. Allerdings kann der Film leider nicht mit anderen Werken von Miyazaki mithalten.
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