Die diesjährige Preisverleihung ist bereits in vollem Gange und einige Favoriten zeichnen sich ab – doch neuste Ereignisse könnten vieles verändern.
Wer die aktuelle Preisverleihungssaison verfolgt, weiß, dass Brady Corbets historisches Drama „Der Brutalist“ einer der Spitzenreiter ist: Allein bei den Golden Globes sahnte er drei Auszeichnungen ab, nämlich in den Kategorien Bester Film – Drama, Beste*r Regisseur*in (Brady Corbert) sowie Bester Hauptdarsteller – Drama (Adrien Brody). Der Film hat eine verblüffende Länge von ganzen 215 Minuten, welche die Handlung gekonnt zu füllen verspricht: „Der Brutalist“ begleitet László Toth (Adrien Brody), einen jüdischen Architekten, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA flüchtet, um dort ein neues Leben aufzubauen. Insgesamt werden 30 Jahre von Toths Leben inszeniert.
„Der Brutalist“ feiert am 30. Januar 2025 seinen deutschen Kinostart – und eigentlich sollte die Vorfreude auf den Film groß sein, zumal er von der Fachpresse als „Meisterwerk“ bezeichnet wurde, unter anderem von Rolling Stone. Allerdings fiel nun ein Schatten über die scheinbare Brillanz des Films. Der Filmeditor Dávid Jancsó enthüllte im Interview mit RedShark News nun, dass der Film Gebrauch von künstlicher Intelligenz (KI) machte. Zum einen wurde KI verwendet, um architektonische Designs zu entwerfen. Zum anderen sollte KI dabei helfen, die ungarische Aussprache von Adrien Brody („Der Pianist“) realistischer zu gestalten, nachdem die Verbesserung der Audioqualität mittels automatisierter Dialogersetzung nicht vollständig erfolgreich war. Er erklärte wie folgt:
„Ich bin ungarischer Muttersprachler und weiß, dass es eine der schwierigsten Sprachen ist, wenn es um die richtige Aussprache geht. […] Wir haben [Brody und Felicity Jones] gecoacht und sie haben einen großartigen Job gemacht, aber wir wollten es so perfektionieren, dass nicht einmal Einheimische einen Unterschied erkennen können. […] Ein Großteil ihrer ungarischen Dialoge enthält tatsächlich Teile meiner Stimme. Wir waren sehr darauf bedacht, ihre Performances zu bewahren. Es ging hauptsächlich darum, hier und da Buchstaben zu ersetzen. Das kann man theoretisch auch selbst in ProTools machen, aber wir hatten so viele Dialoge auf Ungarisch, dass wir den Prozess beschleunigen mussten, sonst wären wir noch immer in der Postproduktion.
Es ist in der Branche umstritten, über KI zu sprechen, aber das sollte es nicht sein. Wir sollten offen diskutieren, welche Werkzeuge KI uns bieten kann. Im Film gibt es nichts, was mithilfe von KI erstellt wurde, was nicht schon vorher gemacht worden wäre. Es macht den Prozess einfach viel schneller. Wir haben KI genutzt, um winzige Details zu schaffen, für die wir weder das Geld noch die Zeit hatten, sie zu drehen.“
Diese Aussage entfachte jetzt allerlei Zorn im Internet. Einige User*innen auf X (ehemals Twitter) verfassten dazu folgende Beiträge:
„Ich finde, dass ‚Der Brutalist‘ tatsächlich eine außergewöhnlich große Menge Kritik für den Einsatz von KI einstecken sollte, unabhängig von den Realitäten der Branche, denn ihr gesamtes Marketing lautete: ‚Film ist zurück! Das ist mühsam handgefertigte Kunst!'“
„Meine Meinung zur KI-Sache bei ‚Der Brutalist‘ ist, dass es problematisch ist, Adrien Brody auszuzeichnen, wenn sein Akzent mit KI bearbeitet wurde. Meiner Ansicht nach sollte das Verändern einer Performance durch KI automatisch dazu führen, dass jemand von diesen Preisverleihungen disqualifiziert wird.“
„Wenn ein Schauspieler KI benötigt, um mit einem Akzent zurechtzukommen, denke ich, dass man einfach jemand anderen engagieren sollte.“
„KI zu verwenden, um architektonische Zeichnungen und Gebäude in einem Film über einen Architekten zu generieren… Wie konntet ihr ausgerechnet für den offensichtlichsten Teil eines Films ÜBER EINEN ARCHITEKTEN kein Budget einplanen?“
„Gut zu wissen, ich werde meine Kinotickets stornieren.“
Welche Filme neben „Der Brutalist“ bei den diesjährigen Golden Globes abräumten und schon jetzt als Favoriten für die Oscars gelten, seht ihr hier im Video:
Deshalb ist der KI-Einsatz in „Der Brutalist“ so enttäuschend
Der folgende Abschnitt spiegelt lediglich die Meinung der Redakteurin wider, jedoch nicht zwingend die, der gesamten kino.de-Redaktion.
Zwar mag es sich bei dem KI-Einsatz in „Der Brutalist“ um Kleinigkeiten handeln, doch selbst das finde ich absolut erschreckend. Die Tatsache, dass der Film von KI Gebrauch machte, ist besonders ernüchternd hinsichtlich der Autor*innen- und Schauspieler*innen-Streiks in Hollywood 2023. In den Streiks wurde unter anderem dafür plädiert, dass die Arbeit von Autor*innen und Schauspieler*innen nicht durch KI ersetzt wird.
Brody mag zwar zugestimmt haben, dass seine Stimme angepasst wird, aber dies betrachte ich als schwerwiegend unfair gegenüber anderen Filmen und Schauspieler*innen, die aktuell im Rennen um renommierte Filmpreise sind. Beispielsweise trainierte Timothée Chalamet („Dune 2“) fünf Jahre lang, um in dem neuen Biopic Like „A Complete Unknown“ wie Bob Dylan zu klingen (via Collider). Bei den Golden Globes war Chalamet in derselben Kategorie wie Brody nominiert, jedoch verlor er gegen den „Der Brutalist“-Darsteller. Der folgende Beitrag bringt diese Ungerechtigkeit auf den Punkt:
„Du willst mir also sagen, dass Timothée Chalamet, der fünf Jahre seines Lebens damit verbracht hat, das Leben eines Musikers zu studieren, seine Live-Auftritte und Interviews zu analysieren, singen, Gitarre und Mundharmonika spielen gelernt hat und sich dann entschieden hat, während des gesamten Films live zu singen, anstatt auf vorab aufgenommene Tracks zurückzugreifen, um so nah wie möglich an der Authentizität von Bob Dylans Geschichte zu bleiben, möglicherweise einen Oscar an Adrien Brody verliert, der mit Leuten zusammengearbeitet hat, die KI genutzt haben, um seinen ungarischen Akzent zu verbessern…?“
Auch der Fakt, dass der Film nicht das Budget hatte, architektonische Designs ausführlich von Menschenhand erstellen zu lassen, ist ebenfalls bedenklich – insbesondere, da der Film von einem Architekten handelt.
Insgesamt entfacht dies erneut die Debatte, inwiefern KI in der Filmindustrie benutzt werden sollte – ob überhaupt. Neben der Frage danach, wie einzigartig kreativ die produzierten Werke sind, stellt sich ebenfalls die Problematik, dass mit dem Einsatz von KI zahlreiche Arbeitsplätze gefährdet werden. Hätte intensiveres Training mit einem Dialekt-Coach mit Brody nicht genügt? Und würde dies nicht nur seine Vielseitigkeit und Schauspielkunst unterstreichen?
Es bleibt abzuwarten, ob diese Enthüllung bei bevorstehenden Filmpreisverleihungen berücksichtigt wird. Welche Filme bei der diesjährigen Oscarverleihung nominiert werden, erfahren wir am 23. Januar. Die Verleihung, welche hierzulande am 3. März um 0 Uhr beginnt, könnt ihr auf Joyn live streamen.
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