Bitterböse und scharfzüngige Satire von Armando Iannucci rund um den Tod des Diktators Stalin und die anschließenden Machtspiele in seinem Kabinett.
Es ist März 1953. In der UdSSR herrscht Generalsekretär Stalin. Mit eiserner Faust. Bis er eines Tages einfach umfällt. Schlaganfall. Mitten in seinem Arbeitszimmer. Als die Mitglieder des Kabinetts ihn dort finden, muss schnell eine Lösung gefunden werden. Eine Lösung nicht nur für Russland. Denn jeder einzelne Minister ist ab sofort mehr damit beschäftigt, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen als sich um das Wohl des Vaterlands zu kümmern. Mit THE DEATH OF STALIN erzählt Armando Iannucci die Geschichte rund um den Tod Stalins und seine politischen „Erben“ als bitterböse, schwarzhumorige Satire. Die Figuren sind allesamt historisch, doch natürlich ist ihr Verhalten in bester absurder Tradition überzeichnet und verstärkt, was sämtliche Darsteller mit einer großen Portion Augenzwinkern verkörpern. Da gibt es beispielsweise Lawrenti Beria, der als Chef der Geheimdienste hauptsächlich dafür verantwortlich war, die Machtexzesse Stalins gegenüber allen Gegnern zu verteidigen - indem er diese töten oder einsperren ließ. Simon Russell Beale spielt Beria als verschlagenen und machtbesessenen Intriganten, der klug alle Schachfiguren in der Hand hält, bis er sich selbst als Bauernopfer wähnt. Oder auch Jeffrey Tambor, der seinen Georgi Malenkow als rückratlosen Funktionär darstellt, der sein Fähnchen immer nach dem Wind hängt, der gerade am stärksten bläst. Und natürlich Steve Buscemi als Nikita Chruschtschow, der im internen Machtkampf mit Beria zunächst den Kürzeren zieht - bis er dann zum ultimativen Schlag gegen den Erzfeind ausholen kann. Dies alles verkörpert Buscemi durch eine sehr genau eingesetzte Mischung aus manisch-wütendem Wahn und arroganter Coolness. Auch die Nebenfiguren sind illustre Gestalten, das Ensemble, allen voran Michael Palin, Jason Isaacs, Andrea Riseborough und Rupert Friend, spielt mit vollem Einsatz. Die doppelbödigen Dialoge werden mit schnellem Tempo vorgetragen, und das pompöse Setting dient als würdige Kulisse eines intriganten Ränkespiels, welches am Ende einen klaren Verweis darauf liefert, dass es sich hier nicht um einen einmaligen historischen Vorfall handelt, sondern dass Politik nun einmal so funktioniert. Ob damals, heute oder morgen.
Jurybegründung:
Wer Parteifreunde hat, braucht keine Feinde. Diese alte Weisheit um Ränkespiele und Intrigen im Ringen um lukrative Ämter in Partei und Staat nahmen sich Autor Fabien Nury und Illustrator Thierry Robin zum Vorbild für ihre Graphic Novels „The Death of Stalin. Agonie“ (2010) und „The Death of Stalin: Funérailles“ (2012). Sie waren Vorlage für die Groteske des schottischen Regisseurs Armando Iannucci, der zuvor mehrere Episoden der Polit-Comedy „Veep - Die Vizepräsidentin“ inszenierte und die Vorlage für den satirischen Spielfilm KABINETT AUSSER KONTROLLE schrieb, welcher die britische und amerikanische Invasion im Irak durch den Kakao zieht.
Sein in London, Moskau und Kiew gedrehter Film um die Machtkämpfe nach dem Ableben des sowjetischen Diktators feierte auf dem Filmfestival von Toronto seine Premiere. Die Pianistin Maria Yudina löst mit einem Hassbrief die Herzattacke aus, die den gefürchteten Despoten niederstreckt. Noch wenige Minuten vor seinem Tod hat er wieder eine der Listen mit willkürlichen Todesurteilen abgezeichnet, die die Bürger der Sowjetunion verängstigen und in Agonie und Lethargie versetzen. Denn kaum einer der Verhafteten kehrt zurück. Die Tragik dieser Schreckensherrschaft für die Menschen wird im Film nicht mal ansatzweise angedeutet, was die Jury kritisch anmerken möchte.
Noch bevor Stalin einbalsamiert ist, entbrennen im engsten Kreis des Zentralkomitees die Kämpfe um die Nachfolge. Der verhasste NKWD-Chef Lavrentiy Berija, der Giftzwerg, will als erster nach der Macht greifen. Dafür will er sich von der Politik Stalins absetzen. Um ihm alleine die Schuld am Verfolgungssystem in die Schuhe zu schieben, lässt er Millionen Verhaftete frei. Darunter die Frau von Außenminister Molotow, die dieser tot glaubte.
Molotow erweist sich in dieser Situation, wo er selbständig handeln müsste, als ebenso überfordert wie Stalins treu ergebener Stellvertreter Georgi Malenkow. General Georgi Schukow, Held der Sowjetunion, der 1945 in Berlin die bedingungslose Kapitulation Hitler-Deutschlands akzeptierte, kehrt nach seiner Verbannung durch Stalin nach Moskau zurück, um sich seinen Platz im Machtzentrum zu sichern. Dass er als eitler Pfau dargestellt wird, mag einer der Gründe sein, dass das russische Kultusministerium die bereits erteilte Aufführungserlaubnis zurückzog.
Aber auch das Bild des Reformers Nikita Chruschtschow wird nachhaltig angekratzt, der sich als erster aus dem engsten Kreis um den Diktator endgültig aus der Starre löste und 1956 mit seiner Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU die Entstalinisierung einleitete. Obwohl er seit 1939 selbst Mitglied im Politbüro der KPdSU und damit Mitwisser und Handlanger Stalins war.
Steve Buscemi als Chruschtschow und Jason Isaacs als Schukow ragen aus dem brillanten Ensemble heraus, das den von wechselnden Allianzen, und unerwarteten Manövern gekennzeichneten Kampf um die Macht im Kreml und die dahinterstehenden Strukturen mit viel Spielfreude auf die Leinwand bringt. Keiner hat Interesse an wirklichen Reformen, allen geht es nur ums eigene politische und persönliche Überleben.
Der Film ist mit viel Liebe für Details ausgestattet und entwirft ein stimmiges, realistisches Zeitbild der sowjetischen Hauptstadt im Jahre 1953. Obwohl die Handlung genau verortet ist, wird der Film über den konkreten Einzelfall hinaus auch zu einem Gleichnis über Formen von Ja-Sagerei und Anpassung in politischen Parteien und über den Aufstieg und Fall von Politikern.
THE DEATH OF STALIN hat durchaus komische, irrwitzige Szenen und Dialoge. In den Augen der Jury können diese leider nicht völlig über einige dramaturgische Schwächen hinwegtäuschen. Der Groteske fehlt der große Spannungsbogen und so bleibt er beinahe durchgehend in einer Tonlage.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)