Jo hat Gründe, Angst zu haben: Gefährlich ists, Kopfhörer aufzuhaben, wenn von hinten ein LKW naht; gefährlich ists, über die Baustelle zu laufen, wenn sich Löcher auftun und Bulldozer Erde reinschieben; gefährlich ists, Fußball zu spielen: schon viele Tote hats gegeben auf dem Platz.
Gefährlich ists, zu duschen: Jos Vater ist ausgerutscht und gestorben, und das ist keine der vielen Was wäre wenn-Fantasien, die durch Jos Kopf schießen. Das war Wirklichkeit. Jo ist ängstlich, seine Mutter gar neurotisch: tägliches Fiebermessen ist nur ein harmloser Ausdruck dessen. Kein Wunder, dass Jo ein Weichei ist. Kein Wunder, dass er darunter leidet.
Wobei worunter Jo leidet, darunter leidet so gut wie jeder, der nahe der Pubertät ist; und auch der, der darüber hinaus ist. Ängstlichkeit im Sinne von fehlender Selbstsicherheit: jeder kennt das; und Regisseur Arild Andresen beschreibt sie in diesem Debütfilm sehr genau, sehr wahrhaftig und überaus witzig.
Was in Deutschland in den letzten Jahren vielleicht allenfalls Wer früher stirbt, ist länger tot gelungen ist, geht Andresen leicht von der Hand: Sich einzulassen auf kindliche Fantasie, diese ernstzunehmen, aber witzig und pointiert umzusetzen, seine Figuren, seine Handlung dabei nicht zu verraten und auch niemals in erwachsene und damit überheblich gönnerhafte Betulichkeit zu verfallen.
Und deshalb ist dies ein Film für Kinder, den ein Erwachsener nicht verpassen sollte. Weil Andresen einen schrägen, bösen, schwarzen Humor entwickelt, der so viele Ebenen eröffnet, dass jeder viel daran hat von Slapstick über Peinlichkeiten bis sexuellen Anspielungen. So viele Tote echte oder eingebildete hat man selten am Anfang eines Filmes gesehen, der auf ein Kinderpublikum setzt. Dazu kommen kluge Sprüche, klare Einsichten über die Welt, wie sie sich einem 13jährigen darstellt: Was ist eigentlich los mit diesem Staat? Die sollten die Schulen dichtmachen, oder wollen die nur Verlierer hervorbringen?
Und diese Fantasien! Jos Imagination wurzelt zwar in der Vorstellungserfahrung eines 13jährigen, bezieht sich aber doch auf eine erwachsene Welt und auf erwachsene Filme. Reale Probleme werden in kindlichen Fantasien weitergesponnen, in die eine Menge durchaus erwachsene Bilder mit hineinfließen. Was geschähe, wenn Jo sich nicht dem Klassenrüpel beugen würde? Dauernd Kokosnuss Handknöchel fest über den Schädel gerieben , frühzeitige Glatzenbildung, aus Scham Umzug in den Norden, wo man stets Mütze tragen muss, Alkoholismus der Mutter. Was, wenn Jo sich widersetzte, wenn er an die Lehrer petzte? Soziale Ausgrenzung als Verräter, staatliches Zeugenschutzprogramm, Unterschlupf in Nordnorwegen, Verfolgung und Ermordung, wenn er aufgespürt wird. Was, wenn Jo von Mari, die er mag, zurückgewiesen würde? Depression, Drogenmissbrauch, Diebstahl, Gefängnis, und dann unter der Dusche die Seife verlieren
Das alles wird temporeich, sehr bildhaft-drastisch und deshalb so urkomisch geschildert, wie sich der Film auch in seiner Realhandlung nicht zurücknimmt, sondern konsequent bei der Sache bleibt. Bei Jo, der nicht weiß, wie er auf die Welt reagieren soll. Und dem doch das Glück hold ist: er bekommt das langersehnte Fußball-Sammelkärtchen des Liverpool-Torhüters (woraus freilich neuer Ärger entsteht); und er erhält gute Ratschläge: Ein blaues Auge ist nicht so schlimm wie seine Selbstachtung verlieren.
Fazit: Ein Kinderfilm, den kein Erwachsener verpassen sollte: mit bösem Witz, der vielschichtig auf verschiedenen Ebenen spielt, geht es um universelle Themen wie Selbstsicherheit und Angst.