FBW-Pressetext:
Paula lebt in einer Welt, die für andere Träume erweckt: Sie ist eine Nebenfigur im Film und will bald ihre Ausbildung zur Hauptfigur abschließen. Dann winkt ein Leben mit aufregenden Szenen, Musik und eine eigene Story. Hinter den aufgesetzten Kulissen der unbeschwerten Musicaleinlagen und fröhlichen Feel-Good-Einstellungen brodelt eine düstere Welt von Hierarchien und Klassenunterschieden. Nebenfiguren und Outtakes werden unterdrückt. Als sich Paula auf eine Spurensuche nach Ihrem verstorbenen Vater begibt, deckt sie Take für Take die Abgründe ihrer Welt auf. Und findet ganz nebenbei zu ihrer ganz eigenen Dramaturgie.
THE ORDINARIES ist viel mehr als bloße Referenz auf Fachbegriffe aus dem Filmjargon. Sophie Linnenbaum entwirft in Regie und Buch eine Welt, die auch die tiefsten Abgründe der Gesellschaft widerspiegelt, Privilegien und Klassismus offenbart und mit seinen klugen und augenzwinkernden Dialogen auch ernsthaft zum Nachdenken anregt. Der Film ist in all seinen Mitteln, ob in den Dialogen, im detailverliebten Setdesign einer Filmidylle wie in Hollywood-Filmen der 1950er oder der atmosphärischen Kameraarbeit von Valentin Selmke faszinierend und funktioniert auf mehreren Ebenen. So verhandelt Linnenbaum ganz existenzielle Fragen über den Wert eines Menschen oder der eigenen Rolle in einem festgefahrenen Gefüge. Doch niemals lässt der Film die hoffnungsvolle Botschaft vergessen, dass Leidenschaft, Mut und Herz Grenzen überwinden können, um das eigene Leben zu gestalten. Und ganz nebenbei zeichnet THE ORDINARIES noch eine liebevolle Hommage an das Medium Film. All diese Aspekte werden bis zur letzten Konsequenz durchgehalten und durch das Schauspielensemble in Höchstform getragen. Ein Film über die Symbole des Mediums Film, der dank einer außergewöhnlichen Idee selbst zu einem wirklich außergewöhnlichen Film wird und auch nach dem zweiten, dritten und vierten Kinobesuch noch etwas zum Entdecken bietet.
FBW-Jury-Begründung:
Vermutlich hat fast jeder und jede schon einmal die Vorstellung gehabt, ein großer Schauspieler oder eine große Schauspielerin sein zu wollen. Und tatsächlich müssen sich die Filmmetropolen der Welt wirklich keine Sorgen um Nachwuchs machen. So lange es den Film gibt, so lange ist Film ein Magnet für Schauspieler:innen und solche, die es werden wollen. Dass es nicht einfach ist, überhaupt beim Film zu landen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und wer es wirklich schafft, für einen Film gecastet zu werden, der sollte sich längst nicht darauf verlassen, einmal von der Gage leben zu können. Hinter dem Traum vom Film versteckt sich allzu oft ein Alptraum.
Sophie Linnenbaums Langfilmdebüt THE ORDINARIES ist ein Film über Film - also ein Filmfilm. In ihrer bitterbösen Fiktion lässt sie die Zuschauer am Leben von Paula teilhaben. Die hat Glück gehabt und kann in die Fußstapfen ihres verstorbenen Vaters treten. Bald schon soll sie die Schule des Instituts für Hauptfiguren abschließen und dann eine der ganz Großen werden. Anders ihre Mutter: Die ist bloß Nebenfigur und mehr als ein paar belanglose Sätze hat sie ihr Lebtag nie über die Lippen gebracht.
Das Fatale an THE ORDINARIES: Alle Figuren spielen nicht nur die zugedachten Charaktere, nein, sie leben sogar im Privaten wie diese. Die Filmwelt in THE ORDINARIES ist streng hierarchisch. Da gibt es Haupt- und Nebenfiguren, und dann gibt es auch noch die Figuren ganz am Rande der Gesellschaft, die „Schwarzweißen“ und die „Outtakes“. Und natürlich setzen die Reichen und Schönen dieser Welt alles daran, dass es auch so bleibt. Sophie Linnenbaum hat einen dystopischen Film gewagt, der mit Präzision nicht nur die Filmindustrie aufs Korn nimmt, sondern auch die immer starrer werdenden, gesellschaftlichen Verhältnisse.
Das klingt äußerst sperrig, ist aber auf angenehme Weite unterhaltsam. Linnenbaum hat nicht nur mit viel Spaß Musicalszenen eingebaut, sondern auch Krimi, Polit-Thriller, Coming-Of-Age- und Liebesfilm miteinander verflochten. Die Inhalte spiegeln sich auch im Visuellen wieder. Linnenbaum spielt mit den Genres, um ihre Botschaft deutlich zu machen. Wenn Paula ihre beste Freundin besucht, dann erlebt sie dort heitere Musicalnummern in den knallig-rotbetonten Hollywood-Farben der 1960er Jahren. Und wenn sie sich heimlich zu den Outtakes schleicht, dann kommen dort eher düstere Farb- und Lichttöne zum Einsatz. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Auch wenn einige Inhalte definitiv nur filmaffine Menschen, bzw. Filmschaffende erreichen, ist THE ORDINARIES ein genauso kurzweiliger wie gesellschaftskritischer Genremix.
Trotzdem der Jury die politisch sehr korrekt vermittelte Diversität ein wenig zu augenfällig scheint, sind die Rollen bis hin zu den Nebenrollen durchweg gut besetzt, wobei die Wandlungsfähigkeit von Fine Sendel als Paula besonders hervorsticht. Zwar ist es Sophie Linnebaum nach Ansicht der Jury nicht immer gelungen, die Doppelbödigkeit des Films konsequent durchzuhalten, dennoch erscheint der Jury eine völlig adäquate Umsetzung des Reallebens in ein Filmleben als extrem großes Unterfangen. Ähnlich den Paradoxien bei Zeitreise-Abenteuern verhält es sich auch mit den thematischen Transfers bei THE ORDINARIES. Die Komplexität des Themas, gepaart mit der höchst eigenen Welt des Films wird vermutlich nie eine völlige Synchronität, bzw. exakte Vermittlung des Sachverhalts von fiktiver Film- und realer Erfahrungswelt erlauben.
THE ORDINARIES ist schräg und schrill und in den Hauptaussagen dennoch nicht übermäßig überzogen. THE ORDINARIES ist ein ungewöhnlicher Film, der ein „schwieriges“, weil gesellschaftskritisches Thema aufgreift und interessant und neu umzusetzen weiß. Trotz der hier aufgeführten kritischen Betrachtung einzelner Punkte: Sophie Linnenbaum zeigt, dass sie den Film kennt und auch liebt. Und dies alles in einem Abschlussfilm zu sehen, ist sicherlich außergewöhnlich. Nach ausgiebiger Diskussion, unter Einbeziehung aller Gesichtspunkte, verleiht die Jury THE ORDINARIES sehr gerne das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)