Terrence Malick ist ein Bildkünstler. Seine Kamera, die sich frei im Raum bewegt (ohne handkameramäßig zu wackeln!), fängt ihre Bilder immer genau richtig ein, so, dass man sie ausschneiden und an die Wand hängen möchte; sie umkreiselt, umtanzt die Figuren, lässt deren Blicke sich kreuzen, entwickelt im Zusammenspiel mit Bewegung und Licht eine ungeheure Dynamik. Eine Dynamik, die vom Filmschnitt verstärkt wird, der in perfektem Rhythmus zum nächsten Bild weiterleitet gleitend entsteht ein unwiderstehlicher Sog, der einen hineinzieht in die Szenen der texanischen Vorstadt in den 50er, 60er Jahren, zur Familie OBrien.
Vater, Mutter, drei Söhne, Spiele im Garten, Spaß, Gemeinschaft, Familienglück zeigen die Bilder der ersten 20 Minuten; und dann: die Trauer, ein paar Jahre später, einer der Söhne ist gestorben, erst 19 Jahre war er alt; dann im Zeitsprung ein paar Jahrzehnte vorwärts zum ältesten Bruder, den Sean Penn spielt, der nicht redet, im Büro seinem Job nachgeht und am alten Trauma nagt rasch zusammengefasst bietet Malick in den ersten Minuten einen Überblick, was der Rest des Filmes vertiefen wird, begleitet von religiös-philosophisch-mystischem Raunen in geflüsterten Kommentaren als Voice Over. Und dann kommen wir zu etwas völlig anderem: Universum, Sterne und Leere; lebendige Natur; Bilder von Naturwunder: Vulkanausbrüche, Lava, die ins Meer fließt, Dampf, Wellen und Gischt; ein Wasserfall; Quallen und anderes bizarres Meergetier; fantastische Felsformationen; das Spiel des Sonnenlichts unter Wasser. Vielleicht sind das Bilder vom Urknall und der Entstehung der Erde, vielleicht ist es schlicht die Einfachheit der Natur, und wir schreiten zurück in der Erdgeschichte, denn da sind dann Saurier am Strand, ein Velociraptor gewährt einem Beutetier Gnade. Und vom All aus erleben wir einen Meteoriteneinschlag auf der Erde mit.
Und das sind so die Probleme des Films.
Die Naturbilder, so gewaltig sie sind, können kaum wirken im Zusammenhang mit dem Spielfilm: zu sehr wollen sie etwas über sich hinaus bedeuten wo doch etwa ein Geysir, wir kennen das aus unzähligen Wunder der Erde-Dokumentationen, vor allem ein Geysir ist und allein für sich faszinierend. Ein höherer Sinn, den Malick diesen Bildern offenkundig zuspricht, bleibt freilich verborgen. Die Bilder vom Weltall (oder vom Körperinneren? Oder von Bakterienkulturen? Oder von Flüssigkeitsgemischen? Das ist nicht recht zu entscheiden) sehen aus wie bewegte Schallplattencover der frühen Pink-Floyd-Zeit: und das zeigt recht deutlich, dass Malick mit seinen mystisch-metaphysischen Bildwelten ca. 40 Jahre zu spät dran ist. Nicht verwunderlich, dass er als Special-Effects-Berater Douglas Trumbull an Bord hat, der für seine visuelle Magie in Kubricks 2001 berühmt ist.
Vielleicht ist das alles Gedanken, Gefühle der Sean-Penn-Figur, was hier bebildet wird die aber muss ohnehin einen ziemlichen neurotischen Knacks haben, wenn sie als längst erwachsener Geschäftsmann die Kindheit nicht verwunden hat, eine Kindheit, die nicht wirklich schrecklich war, wie die folgenden 70, 80 Minuten zeigen. In denen geht es wieder nur um die OBriens, und deshalb schlagen sie wieder in den Bann mit der ganzen Stärke des Films, mit der Stärke Terrence Malicks.
Kinder werden geboren, entwickeln sich, wachsen in der Familie heran; die Mutter ist liebevoll, der Vater hat viel Spaß mit ihnen und, das wird langsam auch klar: er ist sehr streng, wie es üblich war in der Erziehung im vorigen Jahrhundert. Setz dich gerade hin, Ellbogen auf den Tisch, rede nur, wenn du gefragt wirst man kennt das, man hat das überwunden. Doch Malick verfolgt eine andere Spur, subtil-suggestiv verlagert er wieder den Schwerpunkt seiner Betrachtung: es geht mehr und mehr um den ältesten Sohn, der sich zurückgesetzt fühlt, um seine Empfindungen für die Brüder, für die Mutter, gegen den Vater
Ganz behutsam, langsam erhalten wir Einblick in seinen Kopf, in die Welt, wie er sie sieht. Und zugleich, das ist die Kunst: zugleich lässt uns Malick teilhaben am ganz normalen Familienleben, am Spielen, am Essen, an der Hausarbeit; an der selbstverständlichen Gottesfürchtigkeit, an des Vaters Minderwertigkeitkomplexen gegenüber den Nachbarn, die es geschafft haben und es stellt sich die Frage: was genau haben die geschafft? ; an den Späßen der Kinder, die sich und die Welt ausprobieren, die Fensterscheiben einwerfen und Frösche quälen und auch mal mit einem Revolver rumhantieren. Wir erleben intensiv die Verhältnisse in der Familie mit, im stetigen wissen, dass eines der Kinder das Erwachsensein nie erleben wird.
Eine richtige Handlung entwickelt sich hier nicht, die Situationen aber sind stark, auch und gerade in ihrem Zusammenhang. Sie formieren sich zu gewissen Entwicklungslinien und haben große emotionale Wirkung. Auch in Verbindung zur Musik, die intensiv-atmosphärisch eingespielt wird, Mahler, Brahms, Berlioz und etwas zu pathetisch Smetana der Vater wollte einst Musiker werden und wurde dann doch nur Ingenieur
Gespielt wird Mr. OBrien von Brad Pitt, einmal mehr in einer meisterhaften Rolle eines vielschichtigen Charakters, der mit sich selbst nicht im Einklang ist. Und auch die anderen Darsteller insbesondere die Kinder sind großartig, spielen mit größter Natürlichkeit ihre so schwierigen Rollen, die komplexen und facettenreichen Charaktere, die sich langsam im Lauf des Geschehens entfalten.
Denn es geht, in einem Nebensatz fällt das Stichwort, um das subjektive Empfinden: darum, wie man ganz für sich denkt und fühlt, ohne die Möglichkeit einer Bestätigung durch andere. Malick zeigt die Perspektive von Jack, wie er sich vom Vater gehasst fühlt was gar nicht stimmt, sonder selektiver, subjektiver Wahrnehmung entspring , und wie er dann selbst den Vater hasst. Wie sich zum Bruder ein leicht ambivalentes Verhältnis einspielt, mit immer neuen Mutproben an Stromleitungen und mit Luftgewehr; wie die Mutter als Ideal gezeichnet ist und doch ganz fies die Kinder morgens mit Eiswürfeln weckt, sich in Frömmigkeit ergibt und die kleinen Ungerechtigkeiten des Vaters oft genug durchgehen lässt. Würde Malick es dabei belassen und das wäre ja schon reichlich und genug! , wäre das ganz wunderbar.
Aber Malick will mehr, viel mehr, will alles erklären, der Filmtitel deutet es an: das ganze Leben, die Schöpfung und der Schöpfer sollen enthalten sein, und wieder kommt er ins verquirlte Fahrwasser, in dem sich jeder Sinn in Nebelhaftigkeit auflöst. Sean Penn wandelt wieder durch die Bilder, seltsame Todesvisionen und die allgültige Natur im Schlepptau, dazu ein Requiem-Choral und noch mehr als bisher verzweifelte, philosophische, geflüsterte Satzfetzen auf der Tonspur. Irgendwie versöhnen sich alle am mythischen Strand des Jenseits, und was das alles, was hier gezeigt wird, miteinander zu tun hat, bleibt im Dunkeln weil man schlicht alles hineinlesen kann, ist nichts mehr gültig. Warum etwa zu Anfang - in einem der Offscreen-Kommentare zwei Lebenswege, der der Natur und der der Gnade, sprich: der selbstbezogene und der nächstenliebende, skizziert werden, bleibt unklar; was die Saurier mit den OBriens zu tun hatten; ob die lange Predigt im Gottesdienst über Hiob mehr zu bedeuten hat als ein Kitzeln des Zuschauers, der um den späteren Verlust eines der Söhne und um das Unglück in der Familie weiß: das bleibt unklar, man kann sich dabei alles denken oder nichts. Und ob dieser Satz am Schluss so was wie ein Fazit sein soll, auch: Der einzige Weg zum Glück führt über die Liebe das ist so banal, wie leider der ganze Film mit seiner allzu großen Vielzahl an Botschaften wirkt.
Das Gute ist: Der geübte Filmbetrachter kann noch während des Sehens die überflüssigen Teile im Kopf wegschneiden. Was übrig ist der Großteil des Films ist vollkommen die Goldene Palme von Cannes 2011 wert.
Fazit: Terrence Malick, der große Filmkünstler, will alles, wirklich alles in seinen Film mit aufnehmen: Gott und die Welt, Universum und Familie, Seligkeit und Trauer usw. usf. Und das ist schlicht viel zu viel. Das Hauptstück des Films, die Geschichte der Familie OBrien, ist unglaublich stark; das restliche Drittel allzu obskur.