Walters Zerrissenheit in seiner Identität und sein Verlorenheitsgefühl angesichts der ihn erwartenden Realität wird in der Eingangssequenz durch den Einsatz von Standbildern und den harten Schnitten einer Schachtelmontage unchronologisch zusammengeschnittenen Erzählfetzen Ausdruck verliehen. Experimentelle Schnitttechniken wie diese zeigen sich charakteristisch für den Film und kontrastieren den eindringlichen Realismus des Geschehens.
Der Film benutzt keine krassen, provokativen Bilder, lässt aber bei dem weiten Raum, den er dem Mensch Walter einräumt, auch nicht die Schrecklichkeit seiner Tat unter den Tisch fallen. Der Zuschauer fühlt die plötzliche Angst seines Schwagers mit, als Walter ihn fragt, ob er jemals Gefühle für seine junge Tochter gehabt habe, die über Vatergefühle hinausgingen.
Das im Film immer wieder auftauchende Bild Walters am Fenster, der die Kinder auf dem Schulspielplatz beobachtet, hält Walters Krankheit beim Zuschauer ständig präsent. Wir rechnen damit, sie jeden Moment wieder ausbrechen zu sehen. Walters größter Schritt in ein normales Leben ist daher auch der Auszug aus der Wohnung neben der Grundschule am Ende des Films.
Ähnlich wie Walter sich ständig auf dem Beobachterposten befindet, nimmt auch der Film zu seinem Protagonisten und dessen Handeln eine gewisse Distanz ein, die weder verurteilt noch entschuldigt. Die Figur des Walter ruft in der eindringlichen, überzeugenden Darstellung Kevin Bacons nie Mitleid hervor, sondern gibt Anlass zu einem objektiven Wahrnehmen seiner Situation, einschließlich der Tatsache, dass er sich selbst seine Tat nicht verzeiht. Walter macht Vicky, nachdem er ihr sein dunkles Geheimnis offenbart hat, mit tiefem Ernst klar, dass er von ihr erwarte, es für die einzig richtig Reaktion halte, geschockt zu sein.
Bacon spielt Walter in einen Zustand hölzerner Steife, ständiger konzentrierter Anspannung, in der wir dessen Angst vor sich selbst erkennen. Als er Vicky erzählt, die meisten Menschen seien sich sicher, dass er früher oder später wieder im Gefängnis landen würde, wird klar, dass er dasselbe befürchtet. Die wenigen emotionalen Ausbrüche des sonst so gefassten, wortkargen Mannes, zum einen angesichts der Schimpfrede des Polizisten und zum anderen als er den potentiellen Missbraucher verprügelt, scheinen tatsächlich gegen ihn selbst gerichtet zu sein und sind Ausdruck seiner Hilflosigkeit.
Der Beobachter erfährt erst relativ spät von Walters Tat und hat so Zeit, sich wie Vicky an den Charakter heranzutasten, ohne ihn von vorneherein als Monster abzutun. So ist es ihm möglich, neben der erschreckenden Tat, etwas anderes in ihm zu sehen, wie Vicky sagt, etwas Gutes.
Wir nehmen ihn auch als Menschen wahr, der leidet und der von der Gesellschaft abgestoßen wird. Ein häufig im Film verwendetes Bild ist das eines Sägeblatts, das sich mit lautem Kreischen ins Holz schneidet. Es ist ein Symbol für den unausgesprochenen Schmerz, den Walter in sich trägt.
Er ist umgeben von einer Atmosphäre der Sterilität und Einsamkeit. Die meisten Bilder des Films sind von einer grauen Starrheit dominiert: seine Wohnung, die Stadt, sein Arbeitsplatz, sogar die Praxis seines Psychiaters. In Walters grauer Kleidung zeigt sich demnach auch seinen Wunsch, sich anzupassen und ins normale Leben einzugliedern. Einige wenige Schauplätze des Films befinden sich jedoch in der Natur, die das triste Grau durch ein Grün ablöst, welches Lebendigkeit und Zuversicht auf Besserung vermittelt. Es gibt den Park, wohin er Robin folgt, was sich am Ende als positives Erlebnis herausstellt; denn er schafft es, seinem kranken Drang zu widerstehen. Außerdem nimmt ihn Vicky auf einen Ausflug ins Grüne mit, nachdem sie sich entschieden hat, ihm trotz seiner Tat eine Chance zu geben. Auch die letzte Szene des Films findet im Grünen statt: Walter spricht zum ersten Mal seit der Verurteilung mit seiner Schwester. Zwar endet die Begegnung im Streit, dennoch bedeutet sie einen kleinen Sieg für ihn, da seine Schwester sich zuvor komplett geweigert hatte, ihm auch nur gegenüber zu treten. Seine abschließenden Worte werden in ihrem positiven, Hoffnung verleihenden Unterton durch das Bild des Flusses und der sprießenden Natur verstärkt: Im okay.
The Woodsman ist ein leiser Film, der mit wenigen Dialogen auskommt. Er setzt sich mit dem schwierigen Thema mit einer bewundernswerten Klischeelosigkeit und objektiver Zurückhaltung auseinander und trägt so dazu bei, es aus dem Schweigen des Tabus zu befreien.
Es gibt jedoch einen Moment, in dem die Objektivität des Films ins Wanken gerät.
Der Polizeibeamte, der ihm immer wieder Kontrollbesuche abstattet, lässt Walter trotz eindeutiger Beweise für seinen Angriff auf den Mann vom Schulhof laufen. Er zollt ihm damit Respekt für seine Tat, die er für angemessen hält, da es sich bei dem Mann wirklich um einen gesuchten Vergewaltiger handelt. Hier lässt der Film eine Atmosphäre der plötzlichen heldenhaften Reinigung Walters durch die Bestrafung eines anderen aufkommen. Fast scheint es, als seien Walter alle seine Taten plötzlich vergeben.
Zum Glück überlebt dieser Eindruck nur kurzzeitig und der Film endet mit der Schlussfolgerung für den Betrachter, dass Walter gegen seine Pädophilie für den Rest seines Lebens wird ankämpfen müssen.
Es ist ein offenes Ende, das eine Möglichkeit andeutet, wie er seine Krankheit in den Griff bekommen und normal leben kann, aber die Möglichkeit, dass er dem gefährlichen Drang erliegt und alles zerstört, nicht ausschließt.
In seiner Begegnung mit Robin im Park sehen wir ihn zum Beispiel zunächst in erschreckender Weise einen Rückfall erleiden, als er sie fragt, ob sie sich auf seinen Schoß setzen wolle. Dass er sich fängt, als sie andeutet, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht wird und ihm so unbewusst den Spiegel vorhält, bedeutet nicht eine endgültige Heilung seiner Krankheit, sondern nur eine Brücke in die richtige Richtung, die noch sehr brüchig wirkt. Der schnelle Abschied von ihr bedeutet nicht den Beginn einer wunderbaren Freundschaft, sondern eher die Stärke seinerseits, weitere Treffen dieser Art zu vermeiden. Ganz bestimmt hat er noch nicht den herbeigesehnten Normal-Zustand erreicht, den er seinem Psychiater beschreibt: Normal is when I can be around a girl, talk to a girl without...
Fazit: Objektive Studie eines psychisch Kranken und dezente Liebesgeschichte