Die Anfänge der Comicserie The Mighty Thor erinnern stark an den Hit Superman. Schöpfer Stan Lee kombinierte Charaktere der nordischen Sagenwelt mit Elementen des Superhelden-Genres. Zu Beginn stand der Konflikt zwischen dem hitzköpfigen Göttersohn Thor und seinem strengen Vater Odin, der zum erzwungenen Exil führte. Auf der Erde trat der Verbannte stets in Gestalt des verkrüppelten Chirurgen Dr. Donald Blake auf, der den mythischen Hammer Mjolnir in einer norwegischen Höhle fand. Wenn der Arzt seinen Krückstock einmal aufschlug, verwandelte er sich in Donnergott Thor, was aber nur für eine gewisse Zeitspanne möglich war. Heimlich verliebte sich die rothaarige Krankenschwester Jane Foster sowohl in den schüchternen Doktor als auch in den blonden Superhelden, bis er ihr eines Tages seine doppelte Identität offenbarte. Später verfiel zudem die Göttin Sif dem zwischen Erde und Asgard reisenden Prinzen, was zu neuen amourösen Verwicklungen führte.
Natürlich wurden in Kenneth Branaghs Verfilmung diese Plotelemente der Comicvorlage, die sich im Laufe der Jahrzehnte ohnehin mehrfach veränderten, den Hollywood-Gegebenheiten und dem aktuellen Geschmack angepasst. Längst dürfen die Damen emanzipierter agieren als vor vierzig Jahren: Gleichberechtigt kämpft Sif (Jamie Alexander), die einst häufig aus der Bredouille gerettet werden musste, nun in Thors Freundesschar gegen Asgards Gegner, während sich Jane Forster als talentierte Physikerin auf die Spuren des Übersinnlichen begibt. Nach wie vor zeigt sich die Frauenwelt aber von der Physis des blonden Hünen beeindruckt. Auf die zweite Identität verzichten die Autoren zwar, doch in Anspielung auf den Comic verschafft ihm Professor Andrews nun einen falschen Ausweis als Dr. Blake, obwohl man dem Muskelmann kaum den Gelehrten abnimmt.
Chris Hemsworth mag zwar wie ein Bodybuilder wirken, doch der Part gebietet auch nach einem Darsteller mit gehörigem Bizeps. Immerhin gestand Hollywood dem in den Comics glatt rasierten Krieger jetzt Bartbehaarung zu, was ihm aber kaum mehr Kanten verleiht. Davon ganz abgesehen schlägt sich der Australier ganz akzeptabel in der Titelrolle. Gewöhnlich versucht man der Größenunterschied zwischen den Hauptdarstellern zu kaschieren, doch hier ist die Umstand durchaus gewollt, dass Hemsworth seine Leinwandpartnerin Natalie Portman um einen Kopf überragt. Dagegen wirkt Tom Hiddleston als sein teuflischer Halbbruder Loki eher fehlbesetzt der Gott des Bösen tritt eher wie ein grüner Junge auf. Hiddleston dürfte es von Nutzen gewesen sein, dass er mit Regisseur Branagh schon mehrfach auf der Bühne und vor der Kamera stand zuletzt bei den Mankell-Neuverfilmungen.
Zunächst erscheint Shakespeare-Experte Branagh als ungewöhnliche Wahl, nachdem das Projekt über Jahre hinweg mehrere Regisseure verschließ. Doch angesichts der altertümlich angelegten Dialoge, reichlich geglättet in deutscher Übersetzung, sowie den Erfahrungen des Multitalents mit Kampfeinlagen im Finale seines Debüt Henri V mögen Marvel und Paramount dessen Affinität zum Stoff erkannt haben. Branagh gestand, als Kind ein Fan der Comicserie gewesen zu sein. Seine Kinoversion liefert die erwarteten spektakulären Schlachten, etwa im Eiskristallreich, oder einen Kampf der deutlich unterlegenen Waffenbrüder gegen den unüberwindlichen Zerstörer in New Mexico. Etwas gleichförmig wechselt seine Inszenierung im Mittelteil zwischen As- und Midgard hin und her, wobei das Götterreich mehr wie eine verschnörkelte Bahnhofsvorhalle wirkt. Erfreulicherweise peppte die Autorenschaft entgegen den oft bierernsten Comic Books den Plot mit reichlich Ironie auf.
Inzwischen hat Marvel bei seinen Verfilmungen stets das große Ganze im Blick, was die Zusammenführung aller Helden beim kommenden Avengers-Film betrifft. Daher tritt erneut Clarc Gregg als undurchsichtiger SHIELD-Agent Coulson auf, vertraut aus den Iron Man-Filmen. Ebenso wenig darf bei der obligatorischen Szene nach dem Nachspann Samuel Jackson als SHIELD-Chef Nick Fury fehlen, der auf zwei Charaktere des Films trifft, um die Fortsetzung vorzubereiten. Nicht unbedingt nötig gewesen wären die 3D-Effekte, aber diese braucht man wohl heutzutage, um einen solchen Blockbuster verkaufen zu können. Sicherlich legte Branagh nicht die beste aller Marvel-Verfilmung vor, doch sein Actiondrama um Generations- und Familienkonflikte, Identitätsfindung und Verantwortung zählt durchaus zu den gelungenen Beispielen der überschwappenden Superheldenwelle.
Fazit: Solides, humorvolles Fantasy-Heldenepos um einen (in Ungnade) gefallenen Göttersohn, bei dem Marvel-Fans auf ihre Kosten kommen.