Triangle of Sadness: Bitterböse Satire über ein Model-Paar, das auf einer Luxuskreuzfahrt sein blaues Wunder erlebt, als der Dampfer nach einem Piratenüberfall untergeht.
Pechschwarze Komödie über eine Edelkreuzfahrt, die auf einer Insel strandet.
Seit 2014 hat Ruben Östland jeden seiner Filme in Cannes vorgestellt. Es ist nicht vermessen zu sagen, dass es eine Szene aus seinem in Un Certain Regard gezeigten „Höhere Gewalt“ war, die ihn hat bekannt werden lassen: Eine schwedische Familie auf Urlaub in den französischen Alpen macht Zwischenstopp auf einer verschneiten Terrasse und wird Zeuge einer kontrollierten Lawine, die sich verdächtig in ihre Richtung wälzt. In der aufkommenden Panik ist es der Familienvater, der nicht einfach nur als erster vom Tisch flieht, sondern dabei auch noch seine Kinder beiseite stößt. Ausgangspunkt für die folgende satirische Untersuchung des männlichen Selbstverständnisses und Grundlage für alles, was Östlund seither gemacht hat, immer wieder Variationen dieser einen Szene, Kino, das erstaunt, hinterfragt und unerhört, unverschämt ist. Das ist bei „Triangle of Sadness“ nicht anders. Aber war bei „Höhere Gewalt“ und dem Goldene-Palme-Gewinner „The Square“ noch das Skalpell die Waffe der Wahl, setzt der Schwede nun den Vorschlaghammer ein. Das ist ein weniger treffsicheres Instrument, das Risiko ist höher, dass man daneben schlägt. Aber wenn man damit den Nagel auf den Kopf trifft, dann ist die Wirkung verheerend. „Triangle of Sadness“ trifft den Nagel auf den Kopf. Er haut auf die Kacke. Und lässt sie buchstäblich spritzen. Auf eine sehr komische, sehr bissige, betont unsubtile Weise. Aber sehr effektiv, als würde man „
Die 120 Tage von Sodom“ als pechschwarze Komödie über Klasse, Privileg und die Grenzen des menschlichen Körpers neu erzählen.
Aber nicht so vorschnell. Bevor die Reise auf einer Edelyacht losgehen und der Film ans Eingemachte kann, lernt man im ersten Kapitel, „Carl and Yaya“, ein attraktives, junges Pärchen, gespielt von Harris Dickinson und Charlbi Dean kennen. Er ist ein mäßig erfolgreiches männliches Model, sie verdientals Instagram-Influencerin Geld dazu. In einer typischen Östlund-Szene sieht man sie in einem teuren Restaurant, wie sie nach einem Abendessen in Streit darüber geraten, wer danach die Rechnung zahlen soll. Dass „Triangle of Sadness“ aber keine Kritik an der Modeindustrie sein will, die sich über deren Oberflächlichkeit lustig macht - eine viel zu einfache und offensichtliche Zielscheibe, auch wenn der Regisseur Spaß daran hat -, wird schnell klar, wenn es im zweiten Kapitel, „Die Yacht“, an Bord des Schiffs geht, wo Carl und Yaya eine ihr geschenkte Reise einlösen und wo sie sich in Gegenwart der wirklich reichen Menschen wiederfinden.
Es ist eine ganz schöne Galerie bedingt sympathischer Leute: das in die Jahre gekommene britische Pärchen, das mit Waffenhandel zu Reichtum gekommen ist, ein allein reisender, schüchterner Schwede, der anderen bei der Kontaktaufnahme versichert, er habe richtig viel Geld, der russische Emporkömmling, der es mit Dünger nach oben geschafft hat und freudestrahlend jedem erzählt: „Ich verkaufe Scheiße“. Damit’s auch wirklich jeder kapiert: Das Kapital ist in dieser Passage die Zielscheibe des heiligen Zorns von Östlunds Film, das liebe Geld, die immer weiter klaffende Sozialschere. Mit den bissigen Betrachtungen fühlt man sich ein bisschen an die HBO-Miniserie „White Lotus“ erinnert. Bis sich der Ton beim Captain’s Dinner wandelt, in dem Maße zur Raserei steigert, wie draußen sich ein Unwetter wie ein Gottesgericht über die Yacht ergießt und die feinen Gäste auf dem wankenden Schiff das Essen nicht länger bei sich behalten können, während der amerikanische Kapitän, gespielt von Woody Harrelson in einem Auftritt, der wenig mehr ist als ein Cameo, und der russische Düngermilliardär sich über die Sprechanlage ein verbales Duell mit mehr oder weniger berühmten anti- und pro-kapitalistischen Sinnsprüchen liefern. Während der Film explodiert in ein explizites Fanal der Kotze und des Durchfalls, die Gäste buchstäblich in ihrer Scheiße schwimmen - Respekt vor der unerschrockenen Sunnyi Melles -, läuft „New Noise“ von der radikalen schwedischen Hardcore-Punkband The Refused. Kapiert? Nennen wir es einfach Marx Python, ein Mix aus dem Auftritt von Mister Creosote in „Der Sinn des Lebens“, gepaart mit dem wütenden Humor von Richard Lester und Tony Richardson in deren Arbeiten in den späten Sechzigerjahren - the charge of the shit brigade.
Auf die Ruhe nach der Raserei wartet man vergebens: Nach einem Angriff von Piraten sinkt das Schiff, nur eine Handvoll Gäste und Bediensteten kann sich auf eine einsame Insel retten, darunter die wunderbare Iris Berben, die als deutsche Industriellengattin nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt ist und nur noch den Satz „In den Wolken“ sagen kann, was in einem perfekt gesetzten Moment für einen der befreiendsten Lacher des Films sorgt. Im dritten Kapitel, „Die Insel“, kehren sich die Vorzeichen nun um. Wo das Geld keine Bedeutung mehr hat, sind die Anführer, die für Nahrung und Sicherheit sorgen. Östlund lässt kurz die Utopie eines Matriarchats entstehen, macht sich aber keinerlei Illusionen darüber, dass die Menschen dafür sorgen werden, auch diese neue Hierarchie scheitern zu lassen. Wie das indes passiert, ist ebenso schlüssig wie komisch. Wie es der Regisseur eben perfekt versteht, seinen wilden, ungezügelten Film immer dann am lustigsten sein zu lassen, wenn das, was er zeigt, am allerschrecklichsten ist.
Thomas Schultze.