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Über uns das All: Da lebt Martha also in einer glücklichen Beziehung. Hat ein Zuhause. Weiß, wo sie hingehört. Teilt Bett, teilt Tisch, hat Vertrauen. Kennt ihren Mann Paul in- wie auswendig. Und blickt sie nach vorn, dann sieht sie die Zukunft. Aber dann stehen plötzlich zwei Polizistinnen vor der Tür und auf einmal ist alles anders. Der Mann, mit dem Martha jahrelang gelebt hat: Ein Phantom. Marthas Leben, in dem nichts mehr ist...

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Handlung und Hintergrund

Martha und Paul Sabel sind ein glückliches Paar. Die Lehrerin und der frischgebackene Arzt lieben sich und wollen gemeinsam nach Marseille ziehen, wo ihn eine gut bezahlte Stelle erwartet. Bevor sie in einer Woche nachkommen kann, erfährt sie von seinem Selbstmord auf einem Parkplatz in Frankreich. Erst leugnet die junge Frau die Tatsachen, bis sie erkennen muss, dass ihre Gemeinsamkeit auf Lügen basierte. Statt in gesellschaftlich angemessener Form zu trauern, verlangt sie ihr eigenes Leben zurück und sucht mit einem neuen Partner einen Neuanfang.

Besetzung und Crew

Regisseur
  • Jan Schomburg
Produzent
  • Claudia Steffen,
  • Christoph Friedel
Darsteller
  • Sandra Hüller,
  • Georg Friedrich,
  • Felix Knopp,
  • Kathrin Wehlisch,
  • Valerie Tscheplanowa,
  • Stephan Grossmann,
  • Aljoscha Stadelmann,
  • Piet Fuchs,
  • Martin Reinke,
  • Verena Plangger,
  • Julia Wieninger,
  • Laura Sundermann,
  • Clemens Dönicke,
  • Anja Herden,
  • Anja Laïs,
  • Robert Dölle,
  • Lina Beckmann,
  • Floriane Eichhorn
Drehbuch
  • Jan Schomburg
Musik
  • Tobias Wagner,
  • Steven Schwalbe
Kamera
  • Marc Comes
Schnitt
  • Bernd Euscher
Casting
  • Susanne Ritter,
  • Regina Tiefenthaller

Kritikerrezensionen

    1. Sandra Hüller, bekannt durch Hans Christian Schmids Meisterwerk „Requiem“, legt in „Über uns das All“ eine weitere schauspielerische Meisterleistung ab.

      Ihre Figur der Martha ist zu Anfang des Films in einer glücklichen Beziehung, die Ehe mit Paul besteht aus Liebe und Vertrauen. Doch Regisseur Jan Schomburg inszeniert dies nicht als kitschige Soap, nein: er verweist schon, ohne dass man es merken würde, auf das Kommende. Martha nämlich ist sauer, als ihr Mann einmal nach Hause kommt, eifersüchtig fordert sie von ihm endlich die Wahrheit – und es war nur ein Spiel, ein kleines freundschaftliches Foppen unter Liebenden. Sandra Hüller ist dafür genau die Richtige: auf ganz natürliche Weise kann sie gegensätzliche Emotionen auf den Punkt bringen, mit 180°-Kehrtwendungen innerhalb eines Satzes, von 0 auf 100 in 0,1 Sekunden – und das ohne prätentiös zu wirken, ohne künstlich zu forcieren, sondern ganz aus ihr selbst, von innen heraus.

      Was zu Anfang spielerisches Necken eines Liebespaares war, wird drastischer Ernst. Als zwei Polizistinnen vor der Tür stehen und Martha die Nachricht überbringen: Ihr Mann hat sich umgebracht, auf einem Rastplatz kurz vor Marseille. Und auch nun: Sandra Hüller. Wie sie hier den Schock spielt, indem sie ihn gerade nicht spielt! Sie will es nicht wahrhaben, lässt es nicht an sie heran, ignoriert die veränderte Situation einfach. Bei der Polizei fordert sie, dass die gefälligst ihren Job machen und den Fehler ausbügeln: Paul hat sich nicht umgebracht! Und erst beim Bestatter, beim Aussuchen eines Sarges, zeigt sie so etwas wie Emotion.

      Das glückliche Leben ist nun vorbei. Die Zukunft ist abgebrochen, die so glänzend vor Martha und Paul stand. Eine Zukunft, die reine Illusion war, wie Martha nun langsam erkennen, anerkennen muss. Paul hat keine Dissertation geschrieben, hat keinen Doktorgrad erlangt, hat auch keine Stelle in Marseille erhalten. Paul hat ein Doppelleben geführt, war nie der, für den Martha ihn gehalten hat, den sie zu kennen glaubte, den sie geliebt hat. Sie will herausfinden, was wirklich hinter ihrem Paul gestanden hatte – und hier vollführt der Film eine Wendung, einen radikalen Perspektivwechsel, und das hängt nur daran, dass sich Martha und Alexander zufällig begegnen, in einem Fahrstuhl. Und dass Alex seine Haare zurückstreicht, wie Paul es getan hatte.

      Nun folgt „Über uns das All“ Alex, dem Professor in Köln mit Wiener Dialekt, gespielt von Georg Friedrich, der sonst eher die Rolle des österreichischen Prolls ausfüllt. Davon zeugt nun nur noch das große Tattoo an seinem Arm – tatsächlich ist er hier Dozent für deutsche Geschichte. Da Martha an der Uni über Pauls wirkliches Leben nachforscht, begegnet sie Alex wieder. Und nimmt ihn mit, spielt mit ihm das Spiel einer langjährigen Beziehung, ersetzt den von ihr gegangenen Paul durch den ihr zugelaufenen Alex. Füllt mit ihm die Lücke in ihrem Leben.

      Und führt nun selbst ein Doppelleben, führt ein Leben, das in die Vergangenheit gerichtet ist. Benutzt Alex als Ersatz-Paul, verschweigt ihm den Vorgänger, führt vielmehr das glückliche Leben, die glückliche Liebe mit ihm fort, die sie mit Paul erfahren hatte. War zuvor sie die Wahrhaftige gewesen und ihr Partner ein Lügner, dreht sie nun diese Konstellation um. Was bedeutet: ihr Leben ist nun nur noch eine Simulation ihres früheren Lebens, ohne dass Alex davon wüsste. Wobei diese Simulation nochmals gedoppelt wird: indem sie und Alex ein ironisches Spiel spielen, so tun, als würden sie sich schon immer kennen, als steckten sie in einer jahrelangen Beziehung, mit zwei imaginären Kindern…

      Schomburg weiß genau, was er tut in diesem Film; der souveräne Umgang mit dem Stoff ist umso erstaunlicher, als es sich um seinen Debütfilm handelt. Man merkt, dass er das richtige Talent für den Umgang mit Schauspielern hat – mit Sandra Hüller und Georg Friedrich hat er zwei Hochkaräter an der Hand, die großartig miteinander spielen. Und Schomburg gelingt es, aus dieser Geschichte um Glück und Trauer, um Vergangenheit und Zukunft, um Wahrheit, Lüge, Geheimnisse und Doppelleben eine poetische Meditation über das Wesen der Liebe zu machen, über die Frage, wen wir warum lieben, ob wir den, den wir lieben, kennen, und ob das Nichtwissen über den anderen irgendetwas ausmacht.

      Große Ereignisse ereignen sich immer zweimal, zitiert Alexander in einer Vorlesung einmal Hegel – der Film exerziert diese These gekonnt, dramaturgisch geschickt durch. Eine zweite These wird einmal in einem Kneipengespräch geäußert: dass Liebe im Grunde faschistoid sei, weil der eine Partner den anderen immer vereinnahme, ihn verändern und nach seinem Bilde formen wolle. Kann Liebe entstehen trotz der Geheimnisse des anderen, obwohl man den anderen niemals richtig kennen kann? Muss man alles über den anderen wissen; muss man überhaupt wissen, dass man nicht alles vom anderen weiß? Schomburg schafft es, diese Thesen einzubauen, ohne einen trockenen Thesenfilm zu inszenieren; sondern eben tatsächlich einen Liebesfilm. Denn wie formuliert es Alex: „Ich liebe den Menschen, den du aus mir machst.“

      Fazit: Ein dramatischer, emotionaler, beglückender Liebesfilm, souverän inszeniert bei all den dramaturgischen Schwierigkeiten, eine glückliche Beziehung filmisch zu etablieren, dann zu zerstören, und dann eine ganz neue Perspektive einzurühren, die sich rund in den Filme infügt.
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      1. Es könnte alles so schön sein. Paul ist erfolgreicher Arzt, Martha glücklich in ihrem Beruf als Lehrerin. Gemeinsam will das junge Ehepaar nach Marseille auswandern. Doch einen Tag, nachdem Paul vorausgefahren ist, ereilt Martha die Nachricht, ihr Mann habe sich das Leben genommen. Akzeptieren kann Martha diese Tatsache nicht. Nach und nach muss sie feststellen, dass das Leben, an das sie bisher geglaubt hatte, auf Lügen aufgebaut war. Doch Martha will genau dieses Leben zurück. Der Debütfilm von Jan Schomburg beschreibt die Dynamik zwischen Illusionen, Wunschträumen und Zerrbildern der Realität. Sandra Hüller spielt die Figur der Martha überwältigend intensiv zwischen lebensbejahendem Optimismus und dem wütend-verzweifelten Kampf um ihre heile Welt. Vielschichtig, spannend und authentisch erzählt der Film von Trauerarbeit, die die Trauer verweigert. Das kluge Drehbuch regt an und gibt genug Raum für tiefe Gefühle und die Aussicht, dass sich das Glück unverhofft wieder einstellen kann.

        Jurybegründung:

        Der Selbstmord ihres Mannes löst bei der jungen Witwe zunächst konsequente Verweigerung und Leugnung aus. Zugleich wird ihr das Ausmaß der Illusion ihrer gemeinsamen Liebe offenbar. Anstatt Trauer zuzulassen, stürzt sie sich in ein neues Leben, sogar in eine erneute Partnerschaft. Aber ist das einfach so möglich?

        Martha - gespielt von Sandra Hüller - macht es sich nicht unbedingt leicht. Nach dem allerersten Schock nimmt sie die Spurensuche auf und muss hilflos zur Kenntnis nehmen, dass Paul nicht der erfolgreiche Mediziner gewesen ist, für den er sich ausgegeben hatte. Sie will wissen, wer er denn nun wirklich war und wie er sich in seine Lügen verstrickt hat. Erst als sie realisiert, dass niemand von Paul weiß, dass sie keinen Ansatz hat, um dieser Illusion auf den Grund gehen zu können, fasst sie den Entschluss, ihre gemeinsame Liebe nicht einfach so in der Unendlichkeit des Raumes verpuffen zu lassen.

        Sie trifft auf Alexander und projiziert abrupt ihre Erinnerungen an Paul auf ihn. Eine neue Illusion, was dem nicht eingeweihten neuen Liebhaber anfangs trotzdem nicht völlig entgeht. Aber auch er lebt gewissermaßen in einer Scheinwahrheit, wenn auch mit bedeutend geringerer Fallhöhe: Seine meist abwesende Geliebte, die wie ein flüchtiges Gespenst in seinem Leben wirkt, tanzt ihm frivol auf der Nase herum. Diese Figur ist nur eine der vielen Nuancen des Films, aber wie alles andere auch von genau gesetzter elementarer Bedeutung. Erst über diese eigene Illusion ist Alexander überhaupt in der Lage, sich auf das rätselhaft traumwandlerische Wesen Martha einzulassen. Und gegen Ende ist es ausgerechnet jene Geliebte, die ganz beiläufig Alexander ein Foto von Paul reicht, das Martha in der Uni ausgehängt hatte, als sie noch nach Anhaltspunkten suchte.

        Der Perspektivenwechsel auf Alexander mitten im Film, macht unter anderem auch aus diesem Grund Sinn. Er verdeutlicht vor allem aber auf sehr geschickte Weise die Innenansicht und zugleich den Blick von außen auf Martha. Dies ist psychologisch äußerst interessant und verleiht dem Film eine noch größere thematische Tiefe.

        Die mit zahlreichen Zeichen, Doppelungen und Zufällen gespickte Handlung weist über Marthas eigene Wahrnehmung in ihrer Ausnahmesituation hinaus. Diese Ebene erscheint wie ein Wink bezüglich der unabhängigen autarken Kraft der Liebe an sich, welche hier auf so grundlegende Weise verhandelt wird.

        In der Diskussion nach dem Film, kristallisierten sich alsbald die großen und teils schmerzhaften Fragen heraus, die der Film ohne Frage aufwirft: Wo ist der Ausweg aus dieser enormen Lebensverletzung, bestehend aus Verlust und aufgedecktem Scheinleben? Gibt es eine zweite - komplett neue - Chance und wie gestalte ich sie? Lässt sich ein geleibter Mensch ersetzen? Kann ich meine Erinnerung an ihn auf jemand anderes übertragen? Oder lieben wir am Ende doch nur zweckgebunden, ohne wirkliche Bindung an eine Person?

        Bei aller Offenheit des Films, deutet die Entwicklung der neuen Liebe zwischen Martha und Alexander eine gewisse Haltung an: Die Illusion mag als Mittel zum Zweck legitim erscheinen, um Ungeheuerliches zu bewältigen. Für einen nachhaltigen Neuanfang braucht es allerdings Überwindung: Erst als Alexander von Paul und seiner Geschichte erfährt, und er selbst die letzten Hemmnisse seines alten Lebens hinter sich lassen kann, ist der Weg für beide wirklich frei. So kann auch das imaginierte Kind zu einem realen werden.

        Einhellig wurde nicht nur die große schauspielerische Leistung des gesamten Ensembles gewürdigt: Sandra Hüller im Besonderen verleiht der Seelenverletzten mit zugleich nach außen gekehrter Beherrschtheit eine große, fast ungeahnte Menschlichkeit. Sie nimmt den Zuschauer mit in ihre Wahrnehmung hinein. Doch ist es auch der Regie zu verdanken, ihr und den weiteren Protagonisten diesen schauspielerischen Raum zu lassen. Das großartige Drehbuch konnte dadurch seine Wirkung entfalten. Ganz einig war man sich nicht darüber, ob die Kompaktheit der Bedeutungsfülle innerhalb der Erzählung nicht ein klein wenig zu raffiniert und damit vielleicht zu konstruiert auf den Zuschauer wirken könnte.

        Dem Publikum wird in der Tat etwas zugemutet, aber vor allem auch zugetraut! Hier ist ein spannender und bewegender Film gelungen, offen für mehr als eine Lesart, dessen Tonfall dabei so eigentümlich herzlich ist. Ein Werk, das nicht nur als Debütfilm außerordentlich überzeugt.

        Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
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