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Berlinale 2020: Christian Petzolds „Undine” – Berlin als Sagenwelt

Berlinale 2020: Christian Petzolds „Undine” – Berlin als Sagenwelt
© Schramm Film/ Hans Fromm

Im Rahmen des Wettbewerbs der 70. Internationalen Filmfestspiele von Berlin feierte Christian Petzolds Liebesfilm „Undine“ seine Premiere.

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„Man muss sich die Wahrheit sagen, wenn man sich liebt!“, erklärt Christoph (Franz Rogowski) seiner Freundin Undine (Paula Beer) am Telefon. Er behauptet, sie lüge, als es um den Tag ihres Kennenlernens geht. Undine bestreitet seinen Vorwurf und gerät schließlich in Panik, als Christoph das Gespräch abbricht. Sie kann ihn nicht mehr erreichen. Schon am nächsten Tag wird für die junge Historikerin eine Welt zusammenbrechen.

Christian Petzold lässt in „Undine“ die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmen. Wasser ist hierbei das verbindende Element: Es fließt überall, plätschert, rauscht, blubbert, überschwemmt. Eine der Schlüsselszenen zeigt, wie sich die beiden Protagonist*innen Undine und Christoph ineinander verlieben: In einem Berliner Café wechseln sie ein paar Worte, ehe Christoph versehentlich rücklings in ein Regal hineinläuft. Das darauf thronende Aquarium beginnt zu vibrieren, das Glas zerbirst und lässt eine gigantische Welle auf die beiden los, sie werden überschwemmt, liegen wie an Land gespülte Fische nebeneinander und verlieben sich – das Wasser hat sie untrennbar gemacht, es hat sie vermählt.

Dem Mythos treu

Undine ist ein berühmter romantischer Mythos über den gleichnamigen weiblichen Wassergeist, der erst eine Seele erhält, wenn er sich mit einem Menschen vermählt. Petzold hat sich des Mythos bedient, um eine melancholische Liebesgeschichte zu erzählen. Mit dem Industrietaucher Christoph hat Undine endlich ihr Glück gefunden. Doch das Märchenhafte ihrer Geschichte ist auch in einer wiederkehrenden Grausamkeit verankert: Zu Beginn des Films wird Undine von ihrem Exfreund verlassen, woraufhin sie ihm droht, ihn zu töten. Auch im Mythos bringt Undine untreuen Gatten den Tod.

„Undine“ ist nicht nur ein Liebes-, sondern auch ein Berlin-Film. Die Protagonistin hält als Historikerin faktenreiche und seltsam soghafte Vorträge über teils abgeschlossene, teils andauernde Bauvorhaben der Hauptstadt und erklärt dabei deren städtebauliche Auswirkungen. Vor nationalen und internationalen Gästen erläutert sie anhand riesiger Modelle, dass Berlin auf einem Sumpfgebiet gebaut wurde – zuerst war das Wasser, dann der Mensch. Dem Berliner Stadtschloss widmet sie schließlich ihren zweiten Vortrag und erörtert ihren Zuhörer*innen die Sprengung des berühmten Gebäudes und die dadurch entstandene Ödnis. Sie spricht von einem „Phantomschmerz einer gewaltsamen Amputation“. Anhand eines modernen Märchens erzählt die mythische Figur Undine in menschlicher Gestalt von der Zerstörung ihres eigenen Lebensraums, dem Wasser. Ein Großteil dessen wurde schließlich durch das heutige Berliner Stadtgebiet verdrängt.

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Amputiert wird durch ein Versehen auch das rechte Bein des kleinen Tauchers, der einst in dem von Christoph zerstörten Aquarium wohnte. Als Undine aus dem Schlaf gerissen wird, fällt die kleine Figur vom Schreibtisch und zerbricht. Undine ist traurig, schließlich war die Figur ein Geschenk ihres Liebsten. Das Unglück vermenschlicht sich kurze Zeit später auf grausame Weise, als Christophs rechtes Bein bei einem Tauchgang in eine Turbine gerät. Im Krankenhaus erfährt Undine, dass ihr Freund bereits hirntot ist. Sie verliert jegliche Hoffnung, ahnt dabei jedoch nicht, dass dies nicht das Ende der Geschichte, das Ende des Märchens bedeutet.

Schmerz und Linderung

Mithilfe märchenhafter Motivik übersetzt Petzold den uralten Undine-Mythos in die moderne Welt und bedient sich dem Element Wasser als Träger und Katalysator von ungreifbaren psychologischen Konzepten wie Sehnsucht, Hoffnung und Liebe. Berlin ist dabei nicht nur Schaupunkt einer einfühlsam erzählten Liebesgeschichte, sondern zugleich Sinnbild für Selbstzerstörung. Das moderne Stadtbild hat das einstige Sumpfgebiet längst verdrängt, sodass Undine hier nicht mehr überleben kann. Sie kehrt gezwungenermaßen in das Element zurück, das sie zugleich als mythische Figur verkörpert. Die Intensität und Prägnanz in Petzolds Inszenierung zeigt sich vor allem in den beeindruckenden Unterwasser-Aufnahmen. Wenn Rogowski und Beer sich im Widerstand des Wassers zueinander bewegen, mal in Tauchausrüstung, mal in Alltagskleidung, verschwimmen auch hier die Grenzen zwischen Märchen und Wirklichkeit.

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Undine bleibt keine Wahl, sondern nur das Verschwinden: Sie ist für Christoph unauffindbar. Die Stadt hat sie gewaltsam verdrängt und so begibt sich die Vertriebene auf die Suche nach Linderung ihres (Phantom-)Schmerzes: Am Ende ist es freilich das Wasser, das Undine rettet und die Liebenden wieder vereint.

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