Kurtztext:
Sommer 1943: Die deutsche Sicherheitspolizei kontrolliert das besetzte Ostpolen. Romek ist Heizer und träumt davon, als Lokomotivführer zu arbeiten. Er will das Herz von Franka erobern, die eine Anstellung als Küchenhilfe im deutschen Gendarmerieposten hat. Franka wiederum lernt dort den jungen Deutschen Guido kennen, der für das Hören von entarteter Musik in ihr Dorf strafversetzt wurde. Er soll die Bahnstrecke absichern, nach Flüchtlingen suchen und Partisanen aufspüren. Die Liebe zum Jazz bringt die Drei zusammen. Polen und Deutsche haben sich fernab der Ostfront in einer vermeintlichen Idylle eingerichtet. Der Krieg scheint weit weg, dafür ist der Sommer umso näher. Auf dem Weg zur Arbeit, entlang der Zugstrecke, findet Romek das verletzte jüdische Mädchen Bunia. Er beschließt ihr zu helfen. Für einen Moment in diesem Sommer ist der Wunsch nach Liebe größer als die Vorsicht vor der stetigen Bedrohung. Doch die Gefahr und die Auswirkungen des Krieges kommen immer näher. Am Ende muss jeder von ihnen eine lebenswichtige Entscheidung treffen. Mit exzellent eingefangenen Bildern gelingt der deutsch-polnischen Koproduktion, die latente Bedrohung, die auf die Bevölkerung einwirkt und die Willkür der Gewalt durch die Soldaten spürbar zu machen. Der Film erzählt eine Geschichte, die keiner Helden bedarf. Das Spiel der Jungdarsteller - allen voran Jonas Nay - Filip Piotrowicz, Maria Semotiuk und Urszula Bogucka - sowie der Schauspielgrößen Gerdy Zint, André M. Hennicke und Steffen Scheumann ist überzeugend und authentisch. Leise und lebendig erzählt UNSER LETZTER SOMMER von einem Stück Kriegsgeschichte, das vom Überleben, der Orientierungslosigkeit der Menschen handelt und seine beeindruckende und intensive Wirkung ohne überzogenes Drama erzielt.
Jurybegründung:
Sommer 1943 in der polnischen Provinz: es ist warm, und der Krieg scheint weit weg. Die deutschen Soldaten der Gendarmeriestation Wroblew und die Bewohner des kleinen polnischen Ortes haben sich mit den Verhältnissen arrangiert. Die Deutschen leisten Dienst nach Vorschrift, die Polen versuchen, irgendwie durchzukommen. Für Irritation sorgen verlassene Gepäckstücke entlang des Schienenstrangs der Eisenbahn, die aber auch willkommene Beute darstellen. Auch der junge Romek, der seinen Vater im Krieg verloren hat und als Heizer auf einer Dampflok arbeitet, nimmt einen Koffer an sich. Darin befinden sich nicht Kleidungsstücke, wie sonst üblich, sondern ein Grammofon und Jazzplatten. Die Klänge erwecken das Interesse von Guido, einem jungen Deutschen, der wegen des Hörens „entarteter“ Musik seinen Strafdienst bei der Wehrmacht ableisten muss. Die Begeisterung für die Musik verbindet ihn mit der jungen Polin Franka, mit der sich eine Liebesbeziehung anbahnt. Aber die Idylle ist trügerisch: Der Gendarmerieposten liegt in unmittelbarer Nähe eines Konzentrationslagers. Als Romek der Jüdin Bunia hilft, die während des Transports ins KZ entkommen konnte und gewillt ist, mit allen Mitteln um ihr Überleben zu kämpfen, entsteht eine gefährliche Situation. Sie wird verschärft durch das Vorrücken sowjetischer Partisanen und die Entschlossenheit der deutschen Besatzer, unter ihrem neuen Kommandanten hart durchzugreifen. Damit ist der Sommer schlagartig vorüber.
UNSER LETZTER SOMMER ist ein Film über den Krieg, in dem keine direkten Kampfhandlungen gezeigt werden, und ein Film über den Holocaust, in dem keine Vernichtungslager zu sehen sind. Michal Rogalskis Spielfilmdebüt, in deutsch-polnischer Koproduktion entstanden, ist eine differenzierte Studie über Deutsche und Polen während des Zweiten Weltkrieges und vor allem über junge Menschen, die auch in Zeiten des Krieges und der Gefahr versuchen, ein irgendwie normales und glückliches Leben zu führen. Der Film konzentriert sich ganz auf seine jungen Protagonisten und deren Erleben in ihrem unmittelbaren Umfeld. Er zeigt ihre Lebenslust, ihre Sehnsucht und ihre Naivität. Dennoch sind Willkür und Bedrohung von Anfang an spürbar, zunächst latent und diffus, dann immer direkter und bedrohlicher.
Regisseur Michal Rogalski, der sich auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, nimmt sich Zeit, seine Charaktere vorzustellen und seine Geschichte zu entwickeln. Sie ist eingebettet in eine wunderbare Szenerie im ländlichen Polen, die von der hervorragenden Kamera stimmungsvoll eingefangen ist. Die Handlung ist auf wenige Schauplätze begrenzt: die Wohnung, in der Romek mit seiner Mutter lebt, die Gendarmeriestation, den Lokschuppen, die Bahnlinie und die alles umgebende Wald- und Flusslandschaft. Das ist das Umfeld, in dem die Protagonisten sich bewegen, hier hat es sie hin verschlagen, hier können sie nicht weg, hier kreuzen sich ihre Wege. Guido und Romek sind keine Helden und keine Unmenschen. Beide leiden auf ihre Weise unter den restriktiven Verhältnissen und der Verachtung der älteren Kollegen. Trotz aller Gefahren und widrigen Umstände wollen sie etwas von ihrem Leben haben: Guido schleicht sich heimlich auf den Dachboden der Kommandantur, um Feindsender mit Swing-Musik zu hören. Als er Franka mit hinaufnimmt, wird ihm das zum Verhängnis. Romek scheint lange Zeit seltsam gleichgültig gegenüber dem Schicksal der deportierten Juden, bis er auf Bunia trifft und sich entscheidet, ihr zu helfen.
Die Charaktere sind differenziert angelegt und werden von Jonas Nay und Filip Piotrowicz mit großer Intensität verkörpert. Auch die übrigen Darsteller überzeugen in ihren Rollen. Die Musik ist wohltuend zurückhaltend und entwickelt ihre Tonalität aus Maschinen- und Umweltgeräuschen mit eingewobenen Jazzklängen und -stücken.
Der Regisseur hat den Film seiner Großmutter gewidmet, die ihm „ALLES erzählte“. Siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, zu dem gerade viele Filme veröffentlicht werden, gewinnt er dem Genre eine neue Facette ab, die von viel Mut und großer Menschlichkeit gekennzeichnet ist.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)