Volker Sattel zeigt die Arbeit in einem Atomkraftwerk, unterhält sich mit Experten, Befürwortern und Kritikern und zeigt, was passiert, wenn ein solches Gebäude auf einmal nicht mehr „benötigt“ wird. Für all diese Vorgänge lässt sich Sattel ausreichend Zeit, wählt Einstellungen, die dem Zuschauer Raum für eigene Reflektionen lassen. Der sachliche Stil von Kamera und Inszenierung zeigt die Unnatürlichkeit der Arbeit in einem Atomkraftwerk auf, der Film dokumentiert eine streng mechanisierte Welt der alten Technik. Die Informationen haben enzyklopädische Ausmaße. Dabei enthält sich Sattel selbst jeglicher Wertung, er zeigt nur, lässt die Bilder der imposanten Gebäude und die Landschaften, in denen sie zu finden sind, sinnlich auf den Zuschauer wirken, ohne zu intellektualisieren. Die klassische Chronistenplicht des Filmemachers wird hier hundertprozentig erfüllt, der Zuschauer wird förmlich gezwungen hinzusehen und sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Eine werthaltige Dokumentation und eine gelungene filmische Zwischenbilanz zum Thema Atomkraft.
Jurybegründung:
Manchmal ist äußerste Sachlichkeit die effektivste Polemik. Volker Sattel zeigt 98 Minuten lang nur Technologie. Er zeigt sie so, dass man einen Eindruck von den Funktionen, dem Zustand und der Architektur der einzelnen Einrichtungen hat. Erklärt werden sie von den dort arbeitenden Spezialisten. Es gibt keinen Kommentar und wenn (wie einige Jurymitglieder meinten) eine Wertung in Bildauswahl und Montage spürbar werden sollte, ist sie so subtil, dass sie kaum zu analysieren wäre.
Sattel hat mit der Kamera eine unendlich scheinende Reihe von Atomkraftwerken, Urananreicherungsstätten und Atommülllager, Forschungsinstitute und Simulationsanlagen besucht, und so gibt sein Film einen im doppelten Sinn des Wortes erschöpfenden Eindruck von dem Aufwand, mit dem in Deutschland versucht wird, die Atomenergie unter Kontrolle zu halten. Die Leitstellen mit den Armaturen aus den 70er Jahren, die vielen Sensoren, Alarmanlagen, automatischen Abschaltvorgänge, Dekontaminierungsschleusen, die Vernebelungsmaschine, mit der im Fall eines Flugzeugangriffs die gesamte Anlage getarnt werden soll, die endlos lange Abfahrt in die Lagerstätte, in der Atommüll vermeintlich sicher gelagert wird - all das vermittelt den Eindruck, dass ständig die Katastrophe lauert, und nur mit den gezeigten monumentalen Anstrengungen verhindert werden kann. Trotz der modernen Forschungsansätze, von denen die Wissenschaftler in ihren Instituten reden, und den hoffnungsfrohen Prognosen bei einem Kongress der Atomindustrie wird hier die Archäologie der Atomkraftnutzung betrieben - man sieht die Kühltürme des ?Schnellen Brüters‘ in Kalkar, in denen heute das Karussell eines Vergnügungsparks aufgebaut ist und die Demontagearbeiten in einem stillgelegten Atommeiler, die noch jahrzehntelang weitergeführt werden müssen. Beängstigend daran ist, dass die Anlagen aus den 70er und 80er Jahren schon so offensichtlich veraltet sind, der Beton zu bröckeln beginnt und die damalige Aufbruchstimmung so offensichtlich versiegt ist, aber die dort geweckte radioaktive Strahlung über unvorstellbare Zeiträume hinaus wirksam sein wird. Sattels Film legt solch eine Folgerung nahe - suggeriert sie aber nicht, wenn man von dem so final wirkendem Alarm am Ende absieht. Dieses überdeutlichen Signals hätte es gar nicht bedurft - der Film beeindruckt durch seine stilistische Konsequenz und Materialfülle, sodass es auch hier ausreicht, die Instrumente zu zeigen.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)