Unter Nachbarn: Wer solche Nachbarn hat, braucht keine Feinde: Subtiles Psycho-Debütdrama mit Charly Hübner.
Auf den ersten Blick macht der Mann einen harmlosen Eindruck. Polohemd, Seitenscheitel, Bundfaltenjeans, dazu eine Wohnungseinrichtung aus den Siebzigern: Robert ist zwar ein wunderlicher Spießer, aber als er erst mal Zutrauen zu dem neuen Bewohner im Nebenhaus gefasst hat, entpuppt er sich als zuverlässiger Freund. Allerdings legt das subtile Spiel Charly Hübners von Anfang an nahe, dass hinter Roberts harmloser Fassade etwas schläft, das man besser nicht wecken sollte.
Das kann David (Maxim Mehmet), ein Berliner Zeitungsjournalist, den es in die südwestliche Provinz verschlagen hat, natürlich zunächst nicht ahnen. Da man als Zuschauer im Gegensatz zu David auch Roberts andere Seite kennen lernt, entsteht die Spannung dieses Dramadebüts von Stephan Rick durch den Wissensvorsprung: Robert duldet keine anderen Götter neben sich.
Natürlich ist die Idee, einen seelischen Abgrund durch ein unscheinbares Äußeres zu kaschieren, nicht neu. Aber Rick, der das Drehbuch gemeinsam mit Silja Clemens schrieb, fädelt die Geschichte derart trickreich ein, dass erst nach einer Weile klar wird, worin Roberts Abgründigkeit besteht: Wie ein verzogenes Kind erwartet er die völlige Hingabe. Verstöße ahndet er mit Liebesentzug und kleineren Racheaktionen. Als sich David dann auch noch verliebt, entpuppt sich der freundliche Nachbar als höchst gefährlich. Richtig interessant aber wird die Konstellation erst durch eine Perfidie des Schicksals: Robert ist Beifahrer, als David nach einem Discobesuch eine Radfahrerin überfährt, und überredet ihn dazu, abzuhauen. Nun hat er den Nachbarn in der Hand.
Sieht man davon ab, dass Kameramann Felix Cramer die Geschichte angemessen düster gestaltet, ist die Inszenierung nicht weiter auffällig. Das muss sie auch nicht, weil Rick gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern äußerst glaubwürdige Charaktere geschaffen hat. Hübner hat dabei naturgemäß die dankbarste Rolle, aber er spielt sie auch ausgezeichnet. Wie er Roberts Distanz unmerklich in Nähe umwandelt, wie er unsicher von einem Bein aufs andere hampelt, wie man das freundliche Babylächeln später, wenn man Roberts wahre Natur kennen gelernt hat, als Haifischlächeln empfindet: Das ist große Schauspielkunst.
Außerdem bietet die Handlung eine Vielzahl überraschender Wendungen. Oft sind es bloß Details, die den Reiz ausmachen; so wird zum Beispiel ausgerechnet David auserkoren, über den nächtlichen Unfall mit Todesfolge und Fahrerflucht zu berichten. Folgenreicher ist da schon die Liebelei zwischen ihm und Vanessa (Petra Schmidt-Schaller), der Schwester des Opfers. Und weil man im Gegensatz zum Reporter von Roberts krankhafter Eifersucht weiß, steuert die Handlung unaufhaltsam aufs letale Finale zu. Beiläufig sorgt Rick am Ende dafür, dass sich der Kreis schließt, als er mit Schlussbild die erste Einstellung des Films aufgreift. tpg.