Die Gewerkschaft SAG-AFTRA streikt und hat damit die Hollywood-Maschinerie lahmgelegt. Mit ein Grund dafür ist das Vorhaben der Studios, KI zu nutzen.
Im finalen Abenteuer von Harrison Fords Dr. Henry Walton „Indiana“ Jones Jr. mit „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ spielt ein nicht unerheblicher Teil des Films zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und zeigt den wagemutigen Archäologen so, wie ihn seine Fans und das Kinopublikum kennen und lieben. Wäre der Film bereits in den 1990er-Jahren gedreht worden, die Effektschmieden hätten die Illusion eines jungen Indy mithilfe von alten Archivaufnahmen, Body-Doubles, Kamerapositionierungen und möglichst wenig Einsatz der damals noch recht rudimentären Computereffekte erschaffen müssen.
Selbstverständlich ist der sogenannte Uncanny-Valley-Effekt noch nicht überwunden; also die Akzeptanzlücke, durch die eine allzu realistische, aber noch nicht komplett immersive Darstellung eines Menschen beim Publikum auf instinktive Ablehnung stößt. Zugegeben, auf Standbildern sieht der junge Indiana Jones spektakulär aus, man muss schon zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass es sich hierbei um digitales De-Aging handelt. Bei dieser Technik werden Personen mittels Künstlicher Intelligenz (KI) verjüngt. Während diese Methode bei Martin Scorseses Netflix-Gangsterepos „The Irishman“ noch sehr unausgereift gewirkt hat, beeindruckt das Ergebnis bei „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ definitiv. Hut ab!
Eines ist klar: Es dürfte nicht mehr allzu lange dauern, bis die Milliardenindustrie Hollywood – mit etwas Schützenhilfe durch die noch größere Videospielindustrie – in der Lage sein wird, ganze abendfüllende Spielfilme mit Stars zu produzieren, die dafür gar nicht vor der Kamera stehen müssen: James Dean und Johnny Depp gemeinsam mit Timothée Chalamet als junges Rebellentrio gegen das System – und alle als 23-Jährige. Kein Problem mit der Generativen KI. Die ist schon längst im Einsatz und sorgt in sozialen Medien (noch) für amüsante Bilder, die etwa die Verhaftung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump oder die Tech-Milliardäre Elon Musk und Mark Zuckerberg in trauter Zweisamkeit am Strand zeigen.
Noch handelt es sich dabei um mehr oder weniger harmlosen Spaß, doch wie Chefunterhändler Duncan Crabtree-Ireland von der Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA bei der Pressekonferenz zur Verkündung des ersten Schauspielstreiks seit 1980 wissen ließ, verfolgen Studios wie Streamingdienste offenbar das Ziel, das digitale Konterfei und die Statur Schauspielender per Klausel frei zu nutzen – für alle Zeiten:
„Sie schlugen vor, dass unsere Hintergrund-Darstellenden gescannt werden und dafür einen Tageslohn erhalten sollten; und dass ihre Firma Eigentümer dieser Scans, ihres Bildes und ihres Abbildes sein sollte, um es bis in alle Ewigkeit in jedem Projekt, ohne Zustimmung und ohne Vergütung zu verwenden.“
Im Endeffekt würde das also bedeuten, dass Studios wie Disney und Streamingdienste wie Netflix in der Lage wären, komplette Filme mit eingescannten Schauspielenden zu erstellen, ohne sie dafür bezahlen zu müssen – wann sie wollen, wie oft sie wollen. Damit würde man jungen und aufstrebenden sowie sich mit kleinen Rollen gerade einmal so über Wasser haltende Statist*innen jeglicher Grundlage berauben. Mehr noch, es stellt sich unweigerlich die Frage, wie verfahren werden soll, wenn so jemand eines Tages den Hollywood-Olymp erklimmt. Kann das Studio das Gesicht dieser Person dann weiterhin für eigene Produktionen nutzen, ohne diesen Star zu bezahlen? Relativ unbekümmert war dagegen die Zeit, als Effekte in Hollywood wie im Video noch keine Schauspieljobs zu gefährden drohten.
Generative KI: Studios lassen Schauspielende angeblich im Dunkeln
Im Gespräch mit Rolling Stone äußert sich Schauspielerin Jamie Miller besorgt über dieses Vorhaben. Es würde junge Schauspielende unnötig behindern:
„Das macht es unmöglich, in der Branche Fuß zu fassen. Wenn man kein Sprungbrett hat, wenn man nicht bereits über Beziehungen verfügt und nicht aus reichem Haus stammt, fängt man ganz unten an und arbeitet sich mit Hintergrundarbeit nach oben. Das zu eliminieren, ist eine Tragödie. Denkt nur an all die Schauspielenden, die es in der Branche nicht schaffen werden, weil dieser erste Schritt wegfällt.“
Und offenbar sind die Studios schon längst fleißig dabei, ihre Darstellenden zu scannen, wie Reddit-Nutzer Spencerforhire83 auf der Plattform in einem langen Beitrag enthüllt. Nach eigener Aussage ist er Schauspieler und wurde bereits digital erfasst, ohne dass man ihm mitgeteilt hätte, dass er damit quasi die Rechte an seiner eigenen Person auf unbestimmte Zeit abgetreten haben könnte:
„Bei drei verschiedenen Produktionen in den vergangenen zwei Jahren wurde ich nach der Kostümprobe gescannt. Um das zu bewerkstelligen, müssen Stand-Ins, Hauptdarstellende und Hintergrundschauspielende in einer ziemlich langen Schlange warten und werden dann getrennt in ein großes Zelt gebracht, wo Bilder aus acht verschiedenen Richtungen mit jeweils 45-Grad-Drehung gemacht werden, bis sie eine 360-Grad-Ansicht der Person haben.“
Ihm sei erklärt worden, dass der einzige Zweck darin bestehe, Szenen „aufzufüllen“. Ihm sei durchaus bewusst, dass es manchmal schwierig sein könne, ausreichend Leute für Hintergrundarbeit zusammenzutrommeln, aber er habe Angst, dass sein Konterfei ohne sein Wissen in anderen Produktionen auftauchen könnte – ohne dass er dafür bezahlt oder im Abspann genannt würde. Beispielbilder, die er angefügt hat, zeigen, dass er sowohl am Kriegsdrama „Devotion“ als auch an der Horrorsatire „The Menu“ und an der Netflix-Hitserie „Stranger Things“ mitgewirkt hat. In 2022 habe er als Schauspieler 14.000 US-Dollar verdient und musste in der Zeit in einem Minivan schlafen und sich teilweise von weggeworfenen Lebensmitteln ernähren (Dumpster Diving).
Dieses Quiz testet euer Wissen in Sachen Oscars: