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Berlinale-Review 2018: „Utøya 22. Juli“

Berlinale-Review 2018: „Utøya 22. Juli“

Sommer, Zeltlager, Zeit mit Freunden – die Stimmung im alljährlichen Zeltlager der sozialdemokratischen Partei Arbeidernes Ungdomsfylking könnte nicht ausgelassener sein. Es wird gebadet, gespielt, geplaudert und sonstigen Freizeitaktivitäten nachgegangen. Das dieser geschützte Ort der wunderbaren, kindlichen Naivität Schauplatz eines grausamen Verbrechens wird, mag man sich gar nicht vorstellen.

Doch der Reihe nach: Am 22. Juli 2011 explodiert gegen 15:17 Uhr eine Autobombe im Regierungsviertel von Oslo und brachte acht Menschen den Tod. Davon zeugen in „Utøya 22. Juli“ Dokumentaraufnahmen, die Regisseur Erik Poppe zur Eröffnung seines Films einbaut. Es ist das „stille Grauen“, das sich bereits in den ersten Minuten etabliert und sich im Folgenden mit brutalem, schonungslosem Lärm auf die unschuldigste Gruppe von Menschen überträgt. Am Ende soll es noch einmal 69 Opfer geben, davon 32 unter 18 Jahren.

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Nach der kurzen zeitlichen und örtlichen Einleitung befinden wir uns direkt auf der Insel Utøya und schnell wird klar, wir sind Teil dieses Zeltlagers. Denn was nun folgt, ist eine 72-minütige Plansequenz – also eine „Szene“, die ohne Schnitt auskommt ­– in der wir durch die Kamera mittendrin sind. Wir beobachten nicht nur, wir agieren. Wir reagieren ungläubig, als die ersten Schüsse des Attentäters Anders Breivik fallen, laufen panisch der Protagonistin Kaja hinterher, als klar wird, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Später schmeißen wir uns auf der Suche nach Deckung in den Dreck, suchen verzweifelt nach Orientierung, drücken uns an die Felswände der Inselklippen. Fast schon zieht man selbst den Kopf im Kinosaal ein, wenn die Kugeln fliegen.

All das sorgt in „Utøya 22. Juli“ für eine bedrückende, grausame Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Es ist die Schonungslosigkeit, die einen nur leise atmen lässt, um gar nicht aufzufallen und die das gezeigte Grauen vor allem im Kopf stattfinden lässt. Denn mit jedem Schritt und jeder Bewegung der Kamera wird die Frage, was man selbst in der Situation tun würde, unbewusst ausgelöst. Das wiederum kann aber durchaus auch negativ aufgenommen werden. Die Perversion des Gezeigten kann wütend machen.

Jedoch stellt sich, wie bei vielen Aufarbeitungen von realen Ereignissen, hier die Frage, welche Darstellungsform nun „die richtige“, „die beste“ ist. Die Meinungen dürften klar auseinandergehen. Regisseur Erik Poppe entschied sich für einen radikalen Weg, der sich dadurch aber auch klar von dokumentarischen Erzeugnissen, die es, wie zu jeder Gräueltat, zuhauf gibt, abgrenzt und bewusst in die Köpfe der Zuschauer spielt. Wenn auch das Ende des Films eine Spitze der Dramaturgie zu viel, gar unnötig ist. Die Wirkung verfehlt es aber nicht.

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