Michael hat sich umgebracht. Sechs Monate ist das nun her. Seine Eltern, Isabelle und Gérard, leben schon lange getrennt, beide haben einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Doch nun, im November des Jahres 2014, bringt sie der Tod ihres Sohnes im Death-Valley-Nationalpark wieder zusammen. Sowohl Isabelle als auch Gérard haben nach seinem Tod einen Brief von Michael erhalten. Darin bittet er sie, innerhalb eines genannten Zeitraums zu bestimmten Uhrzeiten an diversen Treffpunkten im Death Valley zu erscheinen. Und dort würde er sie dann treffen. Isabelle und Gérard wissen beide zunächst nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Mit der Nachricht aus dem Jenseits. Mit der Distanz zwischen sich, die sich mit Small Talk nun mal nicht verringert. Mit ihren eigenen Ängsten und der Trauer, als Eltern versagt zu haben. Und doch wissen beide, dass sie sich der Situation stellen müssen. Das sind sie Michael schuldig. Und vor allem sich selbst. Ein französisches Beziehungsdrama vor ur-amerikanischer Kulisse. Das Kunststück, dies miteinander zu vereinen, gelingt Regisseur Guillaume Nicloux in VALLEY OF LOVE - TAL DER LIEBE auf mühelose und faszinierende Weise. In einer Kulisse, die von Kargheit und dem grellen Licht der prallen Sonne geprägt ist, treffen Figuren aufeinander, die Suchende und Verlorene gleichermaßen sind, und die im Death Valley wieder zum Leben zurückfinden müssen. Mit Isabelle Huppert und Gérard Depardieu treffen zwei Schauspielgrößen aufeinander, die sich in ihrem beeindruckenden Spiel nichts schenken. Mit Entfremdung, Wut und fast schon Hass treffen sie zunächst aufeinander, reiben sich auf, machen sich Vorwürfe und legen dem Zuschauer ihre Wunden offen, die unheilbar scheinen. Doch in kleinen Gesten, in klugen Dialogen und in stillen Momenten nähern sie sich langsam einander wieder an und finden in der Aufarbeitung der gemeinsamen Trauer wieder zueinander. Kunstvoll und ganz natürlich webt Nicloux die Mystery-Ebene des verstorbenen Sohnes und seiner Nachricht aus dem Jenseits in die Geschichte ein, ohne jedoch daraus das große Drama zu machen. Es geht ihm nicht darum, die Frage, ob Michael seinen Eltern wirklich erscheint, klar zu beantworten. Dieser Strang der Geschichte ist vielmehr Katalysator für die Beziehung von Isabelle und Gérard. Sowohl auf visueller als auch erzählerischer Ebene ist VALLEY OF LOVE - TAL DER LIEBE ein Genuss. Eine schauspielerisch beeindruckende Tour-de-Force.
Jurybegründung:
Ein Kammerspiel als Roadmovie - mit diesem scheinbaren Widerspruch kann man VALLEY OF LOVE - TAL DER LIEBE auf den Punkt bringen. Zwei Menschen, die vor langer Zeit ein Paar waren und zusammen einen Sohn hatten, machen eine Reise zusammen, weil ihr Kind, das vor kurzem Selbstmord begangen hat, dies in seinem Abschiedsbrief von ihnen verlangt hat. Die beiden treffen sich im Death Valley in Kalifornien und folgen den absurd wirkenden Anweisungen ihres toten Kindes. Sie besuchen an jedem Tag eine der Sehenswürdigkeiten des Ortes, der zugleich mystisch und banal wirkt, weil er eine Touristenattraktion ist und die beiden das Gleiche tun wie Tausende andere Durchreisende. Zugleich sind sie aber auf einer Art von Pilgerreise, auf der sie Abbitte dafür leisten, dass sie ihrem Sohn keine guten Eltern waren. Und sie warten auf das von ihm in seinem Brief versprochene Zeichen, mit dem er sich ihnen in irgendeiner Form offenbaren wird. In diesem Sinne ist VALLEY OF LOVE auch eine Geistergeschichte, in der es an jedem Tag unerklärliche Erscheinungen und Irritationen gibt, und die von dem Regisseur und Drehbuchautor Guillaume Nicloux sehr klug, vieldeutig und ohne jeden Hokuspokus aufgelöst wird. Natürlich ist VALLEY OF LOVE auch ein Starvehikel für „Huppert“ und „Depardieu“, wie sie auf dem Filmposter in größeren Lettern als der Filmtitel angekündigt werden. Sie spielen Charaktere, die Isabelle und Gérard genannt werden, auf der Reise werden sie regelmäßig als bekannte Filmstars angesprochen und sie standen vor 35 Jahren (also zur der Zeit, als ihr fiktiver Sohn gezeugt wurde) das letzte Mal in dem Film LOULOU gemeinsam vor der Kamera. Wie viel von ihren realen Persönlichkeiten lassen sie in ihr Spiel einfließen? Ihre Vertrautheit miteinander scheint nicht gespielt zu sein, aber sie gehören zu den besten Filmschauspielern ihrer Generation, und deshalb können sie auch absolut glaubwürdig fiktive Versionen von „sich selbst“ spielen. Mit diesen Unschärfen arbeitet Guillaume Nicloux virtuos, indem er sich sehr auf das Zusammenspiel der beiden konzentriert. Um sie und darum, was sie nach all den Jahren füreinander empfinden, geht es. In Hotelzimmern, nebeneinander im Auto sitzend oder auf den Aussichtsplätzen im Valley auf die Erscheinung ihre toten Sohnes wartend, lässt er sie immer wieder miteinander spielen und in diesen Szenen inspirieren sie sich gegenseitig so, dass diese Momente schauspielerisch zu ihren besten seit langer Zeit zählen. In diesem Sinne ist VALLEY OF LOVE ein nahezu klassisches Kammerspiel, aber der Film ist auch als Roadmovie gelungen. Nicloux und seinem Kameramann Christophe Offenheim gelingt es, intensiv die Stimmungen der verschiedenen Orte einzufangen: Die Tristesse der Hotels, die Hitze und Trockenheit der Wüste, das Lauern des Unheimlichen auf einem nächtlichen Tennisplatz. Es gibt einige komplizierte Plansequenzen, die aber nie ausgestellt werden, sondern stattdessen für einen natürlichen Fluss der Bilder sorgen. So ist VALLEY OF LOVE zugleich ein intimer und ein großer Film, dem die Jury einstimmig das Prädikat „besonders wertvoll“ zuspricht.
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)